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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1140-1142

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wenzel, Knut, u. Thomas E. Schmidt[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Moderne Religion?Theologische und religionsphilosophische Reaktionen auf Jürgen Habermas.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2009. 377 S. Geb. EUR 35,00. ISBN 978-3-451-302221-3.

Rezensent:

Hermann Düringer

Jürgen Habermas’ Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche im Oktober 2001 markiert eine Zäsur im Verhältnis von Religion und säkularer Moderne. Ein Schlüsselbegriff dieser Zäsur heißt »postsäkular«.
In der seitdem anschwellenden Diskussion ist der von Knut Wenzel und Thomas M. Schmidt herausgegebene Aufsatzband »Moderne Religion? Theologische und religionsphilosophische Re­aktionen auf Jürgen Habermas« ein herausragender Beitrag. Er ist aus einem Workshop hervorgegangen, der 2008 an der Goethe-Universität Frankfurt auf Einladung des Instituts für Religionsphilosophische Forschung und des Excellenzclusters »Die Herausbildung normativer Ordnungen« stattgefunden hat.
In der Gesamtheit der Einzelbeiträge lassen sich zwei thematische Schwerpunkte feststellen. Da sind zum einen die vorrangig akademisch-apologetischen Fragestellungen, die der Diskurs zwischen Theologie und der Philosophie Habermas’ aufwirft. In der Einleitung werden sie genannt:
1) Bedarf eine säkulare Gesellschaft religiöser »Überzeugungstraditionen« zur »lebensweltlichen Einbettung der sie tragenden Werte«?
2) Dürfen religiöse Überzeugungen in der Öffentlichkeit in religiöser Sprache geltend gemacht werden – oder müssen sie in eine säkulare Sprache übersetzt werden?
3) Kann Religion überhaupt ein Thema nachmetaphysischer Philosophie sein?
4) Steht Theologie in der Pflicht, eine Glaubensbegründung zu den Bedingungen nachmetaphysischen Denkens zu erbringen?
5) Muss auch die Philosophie ihre eigene Limitierung unter Anerkennung eines theologischen Anteils an der gemeinsamen Vernunft anerkennen?
6) Müssen Religionen eine grundsätzliche Zustimmung zur Säkularität aus den Quellen der eigenen Glaubensüberlieferung entwickeln?
Die Diskussion dieser Themen hat einen deutlich apologetischen Charakter. Sie geht aus von dem Begriff des Postsäkularen, der einerseits einen neuen Gesprächsraum eröffnet hat, aber selbst nicht unproblematisch ist. Die Autoren nutzen diesen Gesprächsraum, um geltend zu machen, was aus theologischer und reli-gionsphilosophischer Perspektive für ein neues Verhältnis auf Augenhöhe zu beachten ist.
Zum anderen werden die Beiträge der (mit Ausnahme von Ge­sche Linde) allesamt katholischen Verfasserinnen und Verfasser– manchmal explizit, manchmal eher im Subtext – von der ka­tholisch konfessionellen Auseinandersetzung mit einer klerikalen Altlast bestimmt: dem immer noch vorhandenen Antimodernismus. Mehrere Beiträge können gelesen werden als das Bemühen, ihn endgültig zu überwinden und mit Bezug auf Habermas’sche Diskursangebote Katholizismus und Moderne zu versöhnen. Analog zu diesen Zuordnungen weisen die Beiträge eine gewisse gegenläufige Tendenz auf, was die Beurteilung der Habermas-Position an­geht.
Im Bereich der akademischen Debatte zwischen Theologie und Religionsphilosophie einerseits und Habermas’ nachmetaphysischer Philosophie andererseits werden Kontroversen verhandelt. Wo eine Neuausrichtung des Katholizismus im Verhältnis zur Moderne thematisiert wird, geht es stärker um Anschlussfähigkeit als um Kontroverse.
Eine hohe Wertschätzung für sein Bemühen, als »religiös Un­musikalischer« an einer neuen, fairen Ortsbestimmung von Reli-gion in der Moderne zu arbeiten, bringen alle Verfasser Jürgen Ha­bermas entgegen. Das gilt auch für die, die in ihren Beiträgen die Kontroverse in den Vordergrund stellen. In ihren Argumentationen versuchen sie u. a. zu zeigen,
– dass auch nachmetaphysisches Denken nicht ohne einen Rest Metaphysik auskommt (Thomas E. Schmidt);
– dass alle Geltungsansprüche, auch nicht-religiöse, einen nicht vollständig rationalen Kern haben (Maeve Cook);
– dass Offenbarung auch außerhalb von Religion eine welterschließende Qualität hat (Maeve Cook);
– dass die strikte Unterscheidung von säkular und religiös nicht sinnvoll ist und auch nicht durchgehalten werden kann (Gesche Linde);
– dass religiöse Erfahrung (als unbedingtes Anerkannt- und Bejahtsein) einen allgemein anthropologischen Bedeutungsgehalt hat (Markus Knapp);
– dass Habermas einen bloß empirischen, aber begrifflich unterbestimmten Religionsbegriff hat (Saskia Wendel).
Folglich geht es ihnen vor allem darum, die für Habermas bestehende kategoriale Trennung zwischen Glauben und Wissen, Religion und Wissenschaft, Vernunft und Glauben zu problematisieren, bzw. beide Gestalten der Vernunft in Beziehung zu setzen.
Von dieser Diskursstrategie unterscheiden sich die Überlegungen, die von der Frage ausgehen, ob nicht dem Projekt der Moderne – gerade angesichts der Gefährdungen und pathologischer Entgleisungen, denen es ausgesetzt ist – von der Religion, ihrem eins­tigen bitteren Gegner, unverzichtbare Hilfestellung zukommen kann. So argumentiert vor allem Hermann-Josef Große Kracht, der von einer »Konkurrenzhermeneutik« zwischen Religion und Moderne wegkommen möchte und stattdessen für eine Komplementarität von Religion und säkularer Moderne plädiert. Die pluralistische Republik beruhe auf einem formal-egalitären säkularen Gerechtigkeitsprinzip. Gleichzeitig aber bleibe sie dabei (»auf Gedeih und Verderb«) angewiesen auf Moralbestände der Lebenswelt, zu denen vorrangig die Religion gehört. Dieses Plädoyer richtet sich an den säkularen Staat und Vertreter einer nachmetaphysischen Philosophie, den wertvollen, ja unverzichtbaren Beitrag der Religion für eine gelingende, humane Moderne anzuerkennen. Gleichzeitig richtet sich dieses Plädoyer an die eigene (katholische) Kirche, »pluralismusoffen« ( K. Wenzel) die Säkularität des Staates anzuerkennen. Es könne nicht mehr darum gehen, »Staat und Politik letztlich doch wieder auf religiös fundierte Wahrheitsansprüche zu verpflichten.« Dass diese Anerkennung keine Selbstsäkularisierung, kein notgedrungenes Klein-Beigeben gegenüber der Moderne ist, sondern »aus dem Zentrum heraus, das sie (die Theologie, H. D.) antreibt« erfolgt, davon ist Knut Wenzel überzeugt und gibt in seinem Beitrag eindrucksvolle Impulse für eine »Theologie der Säkularität«. Wenn er sich dabei für eine »moderneoffene« Selbstbestimmung des Christentums ausspricht, statt für eine »moderneabgewandte« Schließung, dann bezieht er das ausdrücklich nicht nur auf eine antimodernistische Vergangenheit des Katholizismus, sondern auf die Beobachtung, »wie sich unter dem ungemütlichen Wind der Globalisierung überall die Reihen schließen und Formationen des Selbstidentischen gebildet werden.«
Dem Katholizismus zu einem selbstgewissen Anschluss an die Moderne zu verhelfen, ist auch die Intention des Textes von Ottmar John, Geschäftsführer der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz. Er ist der einzige nichtuniversitäre Autor. Sein Beitrag fällt zudem durch den deutlich größeren Umfang aus dem Rahmen. Auch er sucht eine neue Verhältnisbestimmung zur Moderne – zwischen Verwerfung und Affirmation. Dabei stellt er sich den drei Errungenschaften der Moderne, die für die katholische Kirche eine besondere Herausforderung sind: die Trennung von Staat und Kirche, die Inkraftsetzung des Naturrechts statt des offenbarten Rechts und drittens Freiheitsbewusstsein und Eigenverantwortung.
Zum Schluss eine kritische Anmerkung zu diesem überaus anregenden, die Diskussion befördernden, Akzente setzenden Aufsatzband: Die Verfasser sprechen durchgängig von Religion und Moderne, verhandeln aber genau betrachtet überwiegend Katholizismus und Moderne. In einer zunehmend religions- und konfessionspluralen Welt wäre eine differenziertere Begrifflichkeit wünschenswert.