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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

1003–1005

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bümlein, Klaus, Feix, Marc, Henze, Barbara, u. Marc Lienhard[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte am Oberrhein. Ökumenisch und grenzüberschreitend. Hrsg. im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen.

Verlag:

Ubstadt-Weiher u. a.: verlag regionalkultur 2013. 648 S. m Abb. Geb. EUR 36,00. ISBN 978-3-89735-773-0.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

In zwölf Kapiteln legen die Herausgeber unter unterschiedlichen thematischen Aspekten eine regionale Kirchengeschichte vor. Komplexe historische Entwicklungen in dem schwer abzugrenzenden Gebiet stellen an die Darstellung einige Anforderungen. So betonen die Herausgeber im Vorwort, das Buch sei das Ergebnis jahrelanger »ökumenischer und grenzüberschreitender Zusammenarbeit«. Sie sind sich bewusst, damit erst einen Anfang ge­macht zu haben, und bedauern, dass es bisher nicht gelungen sei, Basel in die Darstellung einzubeziehen. Marc Lienhard beschreibt in seiner Einführung mit Blick auf die konfessionelle Vielfalt der Region Oberrhein, dass die Abgrenzung gegenüber Andersgläubigen, wie sie seit dem 16. Jh. zwischen Lutheranern, Reformierten und Katholiken zum Teil leidvoll praktiziert wurde, mit einem Modell versöhnter Verschiedenheit zu überwinden sei.
Das erste, von Hans Ammerich, Hermann Ehmer und Frank Hennecke verfasste Kapitel beschäftigt sich mit dem geographischen, kulturellen, historisch gewachsenen und kirchlichen Raum, der unter dem Begriff Oberrhein zu fassen ist. Die Autoren zeigen das Gebiet als Natur-, Siedlungs- und Wirtschafts- sowie – stark historisch fundiert – als religiös-kirchlichen Kulturraum. In der durch historische Karten illustrierten Darstellung wird deutlich, dass von einer ethnisch-kulturellen Einheit der Bevölkerung in dem den Rheingraben von Basel bis Bingen sowie Vogesen und Schwarzwald umfassenden Gebiet nicht die Rede sein kann. So verläuft etwa in der Mitte des Gebietes die Grenze zwischen alemannischer und fränkischer Bevölkerung. Die im 4. Jh. beginnende Geschichte des Christentums in diesem Raum ist zunächst von der Vielzahl der Klostergründungen, aber auch von Eingriffen weltlicher Gewalten in das religiöse Leben geprägt. Im 19. und 20. Jh. hat sich das Gebiet zu einem modernen Wirtschaftsraum entwickelt, dokumentiert wird dies auch durch die Reproduktion einer Postkarte, die die BASF um 1900 zeigt.
Im 2. Kapitel widmet sich Hermann Ehmer der politischen Ge­schichte des oberrheinischen Raumes und erarbeitet damit auf 34 Seiten wichtige Voraussetzungen für die weitere Darstellung in den folgenden zehn Kapiteln. Reformation, Humanismus und Bauernkrieg spielen in der Region eine wichtige Rolle, ebenso die in dieser Region zu beiden Seiten des Rheins entstandene »konfessionelle Mischsituation«, in der auch das in dieser Region – im Gegensatz zum späteren Münster – friedliebende Täufertum eine wichtige Rolle spielt. Interessant ist von der Reformationszeit bis in die Gegenwart die besondere Situation des Elsass, das im Westfälischen Frieden vor den Folgen der Widerrufung des Edikts von Nantes durch Ludwig XIV. geschützt war. Letztlich verfolgt Ehmer die wechselvolle Geschichte der Region, insbesondere aber des Elsass bis ins 20. Jh. Der Rolle, die Geistliche in den einzelnen Phasen spielen, widmet er eine besondere Aufmerksamkeit, so dem Jakobi-ner und ehemaligen württembergischen Hofprediger Eulogius Schneider. Eine Radierung, die seine Hinrichtung im Jahre 1794 zeigt, ist als Illustration aufgenommen.
Im 3. Kapitel vertieft Bernhard Vogler den historischen Ansatz, indem er die Wechselbeziehungen zwischen Religion und Kultur am Oberrhein diachronisch vom 15. Jh. bis in die Gegenwart verfolgt. Dabei spielen sowohl die Baukultur als auch Literatur und Musik eine wichtige Rolle. Den größten Raum innerhalb dieses Kapitels beanspruchen fünf Exkurse zu: Kirchenbau, Literatur und Religion im Elsass des 19. und 20. Jh.s, moderne christliche Schriftsteller in Baden und in der Pfalz, zu den Schriftstellern Georg Friedrich Blaul und Georg Wilhelm Molitor im Besonderen sowie zu religiöser Musik im 19. und 20. Jh. Zu den Autorinnen, die eine besondere Würdigung erfahren, gehört die katholische Alzeyerin Elisabeth Langgässer.
Johannes Ehmann widmet sich im 4. Kapitel »Kirchen, Konfessionen und anderen geistigen Strömungen«. Auch in diesem Kapitel wird die Darstellung durch Exkurse von verschiedenen Autoren vertieft. Dabei spielen die Täufer, Methodisten, Altkatholiken, Baptisten, Lutheraner in Baden, selbständige lutherische Gemeinden in Frankreich, die Orthodoxie und Pfingstgemeinden eine Rolle. Von Bedeutung für den Einfluss des Humanismus in der Region sind die Städte Freiburg und Basel, vor allem aber auch Straßburg. Letztere zeigt der Autor besonders als frühes reformatorisches Zentrum. Als Vermittler zwischen der Schweizer und der Wittenberger Reformation spielt der in Straßburg wirkende Martin Bucer eine wichtige Rolle. Ebenso wird die Stadt zu einem Zufluchtsort für Täufer. In diesem Kapitel erhalten die Hinwendung der Pfalz zur reformierten Konfession, der Heidelberger Katechismus sowie die Rekatholisierung in Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges besondere Aufmerksamkeit. Wenn auch die Rückkehr zum katholischen Glauben aufgrund der Bestimmungen des Westfälischen Friedens nicht völlig durchgesetzt werden konnte, so sind die vielen Simultankirchen in dieser Zeit in der Region zwangsweise eingeführt worden. Ebenfalls findet sich in diesem Kapitel die Vorgeschichte der Altkatholiken, wobei die Bezeichnung »altkatholisch« erstmals in der »Badeischen Landeszeitung« vom 7. September 1865 verwendet wurde. Auch der Streit um die Konfessionsschulen seit dem 19. Jh. ist in der Darstellung berücksichtigt.
Das relativ knappe 5. Kapitel richtet den Blick auf Versuche ökumenischer Verständigung vor dem Hintergrund der Bürde des 19. und 20. Jh.s. Eindrucksvoll sind vor allem die nach beiden Weltkriegen durch ökumenische Kontakte geförderten Versuche, Feindschaften zu überwinden und zur Versöhnung der Völker beizutragen.
Das 6. Kapitel widmet sich dem interreligiösen Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen. Leider ist dieses von Marc Lienhard bearbeitete Kapitel angesichts der Bedeutung der Thematik mit zehn Seiten sehr kurz geraten. Die Geschichte jüdischer Einwanderung im Mittelalter, die Bedeutung der SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz, der (teilweise mittelbare) Einfluss der Juden auf das Erlernen der hebräischen Sprache und die Bibelexegese im Sinne des sensus literalis, das alles kommt nicht vor. Nach Angabe des vermuteten Siedlungsbeginns der Juden am Oberrhein im 4. Jh. fehlt die Angabe für den aus Quellen gesicherten Beginn. Eigentlich konzentriert sich das Kapitel lediglich auf die Dialogbemühungen nach 1945, und zwar die mit Muslimen und Juden.
Klaus Bümlein behandelt im 7. Kapitel Frömmigkeit und Spiritualität. Bümlein wiederum legt für seine Ausführungen ein solides historisches Fundament und geht auf Meister Eckart, Heinrich Seuse und Johannes Tauler als Mystiker ein, die in Straßburg und am Bodensee zu Hause waren. Somit zeige das Spätmittelalter am Oberrhein bereits eine »vielgestaltige, in Andachtsformen und Initiativen der Caritas vitale Landschaft der Frömmigkeit.« (278) Reformatorische Neuansätze, katholische Antworten werden his­torisch bis in die Gegenwart hinein entfaltet. Einzelpersönlichkeiten und ihre Verdienste finden reichlich Berücksichtigung. Schade ist, dass zwar Johannes Schwebel und Martin Bucer gewürdigt werden, ihr Aufenthalt auf der Ebernburg bei Bad Münster am Stein aber so wenig Berücksichtigung findet wie der Reichsritter Franz von Sickingen. Offensichtlich war dafür kein Raum.
Die Kapitel 8–12, von Jean-Luc Hiebel, Marc Feix, Barbara Henze, Albrecht Knoch und Frank Hennecke verantwortet, beschäftigen sich mit Schule und Jugendarbeit, sozialem Engagement und Diakonie, Friedensbemühungen, Migrationsbewegungen und der Behandlung von Umweltfragen in den Kirchen. Sie weisen in ihrer Problemorientierung in die Moderne, wobei insbesondere beim Thema »Migrationsbewegungen« die weiter zurückreichende his­torische Dimension wieder zum Tragen kommt.
In einem Nachwort zeigt Elisabeth Parmentier die »Berufung zur Versöhnung« als Perspektive für die Kirchen am Oberrhein auf. In zwei mehrfach untergliederten Anhängen findet sich ein reiches Materialangebot, das von weiteren Autoren bearbeitet wird. Der Band ist reich ausgestattet. In der Mitte (305–352) sind zur Illustration 52 Farbdrucke eingefügt. Am Schluss des Bandes finden sich ein umfangreiches Autorenlexikon sowie ein Orts- und Personenregister. Insgesamt liegt mit der Publikation ein reich ausgestatteter, instruktiver, für die ökumenische Arbeit wertvoller Band vor.