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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

999–1001

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bräker, Jürg

Titel/Untertitel:

Kirche, Welt, Mission. Alexander Schmemann – eine ökumenisch relevante Ekklesiologie.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2013. 398 S. = Kirche – Konfession – Religion, 60. Geb. EUR 59,99. ISBN 978-38471-0113-0.

Rezensent:

Thomas Bremer

Der orthodoxe Theologe Alexander Schmemann (1921–1983), der russischer Herkunft war, seine theologische Ausbildung vor allem in Paris genossen hat und dessen Wirkungsschwerpunkt New York war, zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten orthodoxen Theologen des 20. Jh.s. Die Betonung der liturgischen Dimension der Theologie seiner Kirche geht entscheidend auf ihn zurück. Insofern ist es zu begrüßen, dass sich eine Dissertation (Heidelberg 2012, bei M. Welker) des Denkens dieses bedeutenden Mannes annimmt, zumal sie – das sei vorweggenommen – die an sie gestellten Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllt.
Jürg Bräker, selbst mennonitischer Theologe, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Schmemanns Ekklesiologie zu untersuchen, und zwar genauer, inwieweit sie Implikationen für eine Ethik hat. Im Hintergrund stehen die Diskussionen über (sozial-)ethische Fragen in der ökumenischen Bewegung, an denen sich Schmemann auch beteiligt hat. Zu Recht erkennt der Vf., dass der Ausgangspunkt der Ekklesiologie Schmemanns in seinem Liturgieverständnis gesucht werden muss, und beginnt daher seine Untersuchung hier.
Ein erstes einleitendes Kapitel befasst sich mit der Biographie Schmemanns (wobei die letzten Jahre und der Tod nicht behandelt werden), den Grundlagen seiner Theologie und dem Forschungsstand, der äußerst sorgfältig und differenziert wiedergegeben wird. Weiterhin diskutiert der Vf. hier die Beziehung zwischen liturgischer Erfahrung und Theologie und gibt einen Einblick in den Aufbau seiner Arbeit.
Im zweiten Kapitel wird die Beziehung zwischen Liturgie und Zeit behandelt; hierbei vergleicht der Vf. die Ansätze von Schmemann, G. Dix und O. Cullmann – Letzterer hat Schmemann entscheidend beeinflusst. Die Fragestellung ist von Wichtigkeit, weil nicht nur die Prägung der Zeit durch die liturgischen Vorgänge zentral ist, sondern weil hier vor allem die Beziehung zwischen menschlichem Tun und eschatologischer Erfahrung zum Ausdruck kommt. Durch die Anamnese als der zentralen Kategorie des liturgischen Handelns wird der Bruch zwischen der Welt und dem Eschaton überwunden; die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit der irdischen Zeit wird für Schmemann im liturgisch gegenwärtigen Christus aufgehoben.
»Symbol und Sakrament« sind die Kernbegriffe des dritten Kapitels, das das Verständnis der Sakramentalität der Welt bei Schmemann erörtert. Vor allem das Symbolverständnis Schmemanns erhebt der Vf. unter Beachtung der theologischen Entwicklung seines Referenzautors. Dieser spricht von der »Bezogenheit« der Welt zu einem Anderen als ihrer Sakramentalität und versucht so einerseits eine radikale Weltablehnung, andererseits aber auch eine Sakralisierung der Welt zu vermeiden. Er gelangt so zu einem Verständnis von der Welt als »Sakrament«, in dem der geistige und der materielle Aspekt sich nicht konträr gegenüberstehen. In Taufe und Eucha-ristie konkretisiert sich dieses Verständnis, und der sakramentale Charakter der Welt erhält eine soteriologische Di­mension.
Daran schließt sich ein viertes Hauptkapitel an, das die Beziehung der Kirche zur Welt bei Schmemann thematisiert und damit in gewisser Weise eine Konkretisierung der Überlegungen aus dem vorhergehenden Abschnitt darstellt. Schmemann lehnt vor dem Hintergrund seiner frühen kirchenhistorischen Arbeiten ein säkulares, immanentes Verständnis des Engagements der Kirche in der Welt ab und betont vielmehr die Bedeutung der (eucharistischen) Liturgie. Der Vf. macht das anhand der liturgischen Abläufe deutlich, wie sie Schmemann auch in seinem Hauptwerk über die Eucharistie, »The Eucharist«, darstellt. Die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde wird zum Symbol für die Welt, die damit in der Liturgie präsent ist, sie wird in die eucharistische Feier mit hineingenommen. Der Begriff der »Mission« erhält damit eine andere Dimension und theologische Grundlage; er wird aber keineswegs reduziert, wie das Schmemanns Biographie ja auch zeigt.
In seinem letzten Kapitel fasst der Vf. seine Darstellung der Theologie Schmemanns zusammen und deutet sie ökumenisch, indem er sie mit der mennonitischen Tradition, in der er selber steht, in einen Dialog bringt. Trotz aller auf den ersten Blick offenbaren Unterschiede sieht der Vf. in der Betonung der liturgischen Gemeinde und ihrem ekklesiologischen Gewicht einen Ansatzpunkt, der mit dem paulinischen Leib-Christi-Verständnis kompatibel sein könnte, welches für die mennonitische Theologie zentral ist. Der mennonitische Wahrheitsfindungsdiskurs wird ebenso geistgewirkt verstanden wie die orthodoxe Liturgie. Der ganzheitliche Ansatz Schmemanns kann daher hilfreich für ein Verständnis des Engagements der Kirche in dieser Welt sein. – Ein Literaturverzeichnis und ein Register beschließen die Arbeit.
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine äußerst interessante und gedankenreiche Arbeit, die vom mennonitischen Hintergrund des Vf.s vielleicht mehr profitiert, als das im letzten Kapitel deutlich wird. Der Aufbau ist kohärent und entspricht sowohl der Logik des Schmemannschen Denkens als auch der Absicht der Untersuchung. Die einzelnen Denkschritte sind nachvollziehbar argumentiert und überzeugend. Der Vf. kann aus der profunden Kenntnis des Werkes seines Autors schöpfen, das er in der notwendigen chronologischen Differenzierung analysiert. Er bleibt dabei nicht auf einer oberflächlichen Darstellung, sondern es gelingt ihm eine Konzeptualisierung, mit der er dem Denken Schmemanns gerecht wird.
Die Studie ist sehr sorgfältig gearbeitet, die wenigen Druckfehler fallen kaum ins Gewicht. Merkwürdig ist zuweilen das Nebeneinander von lateinischer Umschrift (in den Titeln) und kyrillischer Schreibweise russischer Texte, ebenso das von Transliteration und Transkription (»Puschkin« und »Čechov« in einer Zeile, 256). Doch schmälern diese Kleinigkeiten den Wert des Buches nicht. Insgesamt ist dem Vf. zu bescheinigen, dass er eine gründliche und überzeugende Studie vorgelegt hat, mit der er einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der immer noch zu wenig bekannten und wahrgenommenen Theologie Schmemanns geschlagen hat und an der die Forschung nicht mehr vorbeikommen wird.