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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

939–941

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Kelly, Christopher [Ed.]

Titel/Untertitel:

Theodosius II.Rethinking the Roman Empire in Late Antiquity.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2013. XV, 324 S. m. 1 Abb. = Cambridge Classical Studies. Geb. £ 65,00. ISBN 978-1-10-703858-5.

Rezensent:

Konstantin M. Klein

Für fast jeden römischen Kaiser lässt sich der Allgemeinplatz feststellen, dass das Bild, welches die Quellen (wie auch die Forschung verschiedener Zeiten) von ihm zeichnen, ein widersprüchliches ist. Gute Kaiser werden nicht einstimmig positiv, schlechte keineswegs nur als blutrünstige Tyrannen dargestellt. Bei Theodosius II. ist dies nicht anders, jedoch scheinen die Parameter der Bewertungen verschoben zu sein: Die negativ beurteilte kaiserliche Willkür eines Domitians, Neros oder selbst Konstantins findet nun gewissermaßen eine Entsprechung in der scheinbaren Introvertiertheit und Unauffälligkeit des Ostkaisers. Seit der Chronik des Johannes Malalas hat sich ein Bild festgesetzt vom machtlosen Herrscher, welches Historiker bis ins späte 20. Jh. nur allzu bereitwillig aufgegriffen haben: ein Monarch, dessen Hofstaat einem Kloster gleicht, der ohne vorherige Lektüre Schriftstücke unterschreibt und so seine eigene Frau als Sklavin an die berechnende Schwester verschenkt, während besagte Gattin ihm sowieso kurze Zeit später Hörner aufsetzen sollte. Kurzum, ein bibelkundiger Kapaun in einem Hühnerstall voll von machtbesessenen und religiös übermotivierten imperialen Hennen (so vor allem K. Holum: Theodo-sian Empresses. Berkeley 1982 – ein durchaus wichtiges Buch, das aber in seiner Überbewertung der Rolle der Theodosierinnen die Forschung nachhaltig fehlgeleitet hat). Auf der anderen Seite stehen die nur auf den ersten Blick unscheinbaren Erfolge des Theodosius: eine überaus lange und fast usurpationsfreie Herrschaft, ein verhältnismäßig hohes Zusammengehörigkeitsgefühl der verschiedenen christlichen Parteien, kultureller Aufschwung und nicht zuletzt die Kodifizierung des Rechts in dem nach diesem Kaiser benannten Codex. Vor allem F. Millars eingehende Studie zur Verwaltung des Reiches unter Theodosius (A Greek Roman Empire, Berkeley 2006) lässt sich hier als Wende in der jüngeren Forschung nennen.
Der hier anzuzeigende Sammelband nimmt sich vor, eine Neubewertung des vermeintlich schwachen Kaisers vorzunehmen – ein Unterfangen, das vollends erfolgreich und in einer die Forschung bereichernden Weise geglückt ist. C. Kellys Einleitung zum Band bietet eine Rückschau auf die bisher zu Theodosius geleistete Forschung, und zeigt auf, wie dessen Hof zwischen den Parametern von eigenständiger kreativer Dynamik und notwendigem Konservativismus (d. h. dem Bewahren älterer Traditionen und antiken Wissens) changierte. Weit über das erforderliche Maß einer Einleitung hinausgehend entwickelt sich der etwa 60 Seiten lange Text so zur umfassendsten, quellenkritisch präzisesten und aktuellsten Einzelstudie zum Kaiser aus heutiger Zeit. Zehn kürzere Aufsätze schließen sich an: J. Harries’ Beitrag zum Beraterstab und D. Lees Aufsatz zu den Generälen des Theodosius ergänzen sich vorzüglich, gerade auch, da sich beide sehr stark gegen das vorherrschende Bild wenden. Bezeichnenderweise ist Harries’ Beitrag so auch mit »Men without women« überschrieben, wobei sie aufzeigt, wie eng die Führung der Regierungsgeschäfte an ältere römische Vorbilder angelegt ist. Keine kaiserlichen Prinzessinnen bestimmten die Politik, sondern der Kaiser im Kreise seines Consistoriums, das gerade deswegen so effektiv arbeiten konnte, da es nicht in Opposition zum zurückhaltenden, aber keineswegs machtlosen Princeps stand. Ähnliches stellt T. Graumann in seinem Beitrag zum Konzil von Ephesus fest. Anders als seine Vorgänger habe Theodosius sich weitgehend aus der Konzilspolitik herausgehalten, dies nicht aber als Zeichen von Schwäche, sondern um dadurch die Bevorteilung einer Partei zu vermeiden und den kircheninternen Frieden, so gut dies möglich war, zu wahren. Auch P. Van Nuffelens Beitrag zum Historiker Olympiodor bietet Anknüpfungspunkte zu Harries’ Aufsatz. Er sieht das bei diesem Autor gut fassbare Überlegenheitsgefühl des Ostens gegenüber dem Westen in der dynastischen Politik der Theodosier begründet: Ganz anders als etwa Arcadius (oder Stilicho) im Westen wählten Theodosius II. und seine Familie im Osten keine konstantinopolitanischen Eliten zu kaiserlichen Partnern, was von Olympiodor als stabilisierender Faktor gewertet wurde. In einer vorbildlichen Untersuchung zeigt R. Flower auf, wie das Gesetz CTh. 16,5,65 (De haereticis, 428 AD) auf bestehendes häresiologisches Schriftgut (etwa Epiphanius und Augustinus) zurückgreift und so in einem literarischen Kontext steht mit einer zu diesem Zeitpunkt erst sehr jungen theologischen Disziplin. M. Whitbys Beitrag zu verschiedenen literarischen Gattungen und Werken aus der langen Regierungszeit des Theodosius bietet einerseits einen nützlichen, wenngleich etwas eklektischen Survey der Literatur der Zeit, zeigt zudem aber auch auf, wie wenig haltbar die bislang oft vorgetragene These eines Widerstreits zwischen heidnischen und christlichen Autoren sei (so etwa bei Holum). Der Herausgeber des Bandes C. Kelly betrachtet in seinem Beitrag die öffentliche Darstellung der kaiserlichen Demut, etwa wenn Theodosius als Antwort auf die erfolgreiche Niederschlagung einer Usurpation die im Hippodrom anwesende Bevölkerung zu einer spontan inszenierten Bußprozession aufrief. Wenngleich dieser Aspekt bereits früh von B. Croke und später von S. Diefenbach untersucht wurde, kann Kelly hier mit dem Aufzeigen von Bezügen zum Panegyricus des Plinius noch eine interessante Note hinzufügen. L. Gardiners Studie zum Kirchenhistoriker Sokrates zeigt eindrücklich, mit welchen Schwierigkeiten ein Panegyriker zu Lebzeiten des Herrschers zu kämpfen hatte. Gardiner entwirft ein Pano-rama der Methodik des Sokrates, das den Schriftsteller und sein Werk in knapper Form weit umfassender und präziser charakterisiert, als das bisher in monographischer Form (etwa H. Leppin, Von Constantin dem Großen zu Theodosius II., Göttingen 1996) geschehen ist. Vielleicht die innovativste Leistung des Beitrages ist die Erkenntnis, dass genauso wenig, wie die Politik des Kaiser nur eine Linie verfolgte, auch sein Historiker mit unterschiedlichen und einander widersprüchlichen Methoden ebenso unterschiedliche und bisweilen in sich widersprüchliche Handlungen des Theodo-sius beschreiben konnte. Anhand von vier antichalkedonischen Texten (darunter auch späte Texte wie die Chronik des Johannes von Nikiu und das koptische Synaxarion) zeigt am Ende des Bandes E. Watts überzeugend auf, wie Theodosius als Kontrapunkt zu seinem Nachfolger Marcian verklärt wurde, welcher das zum Schisma führende Konzil des Jahres 451 einberufen hatte. Auch wenn die Religionspolitik des Theodosius zumindest in der zweiten Hälfte seiner Herrschaft klar eine dyophysitische Linie aufwies, erscheinen die Jahre seiner Regentschaft auch in der monophysitischen Rückschau als paradiesische Zeit. Die von Watts getroffene Textauswahl ist stimmig, trotzdem hätte man sich hier vielleicht ein etwas größeres Corpus wünschen mögen.
Mit einer Sammlung von erfreulich ausführlichen und bisweilen auch provokativen Beiträgen ist C. Kelly ein Sammelband ge­lungen, der zurecht die bisherige Forschung zu Theodosius II. in Frage stellt und zu einem wissenschaftlichen Überdenken der ersten Hälfte des 5. Jh.s anregt. Dass die lange Einleitung viele Erkenntnisse der Beiträge vorwegnimmt, und dass sich die Beiträge von G. Traina zur theodosianischen Sicht auf die Geographie und von M. Whitby zur Literatur etwas weniger in die Sammlung einfügen als die weiteren, ändert nichts daran, dass der Band einen Meilenstein der Forschung zu dieser Zeit darstellt, an dem sich künftige – vielleicht in bestimmten Punkten detailliertere – Studien zu messen haben werden.