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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

859–861

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Gabriel, Ingeborg, u. Petra Steinmair-Pösel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gerechtigkeit in einer endlichen Welt. Ökologie – Wirtschaft – Ethik.

Verlag:

Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2013 (2. Aufl. 2014). 264 S. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-7867-3002-6.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Der Band, der am Institut für Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien entstand, behandelt Herausforderungen der Ökologie, näherhin den Klimawandel. Die Autoren sind überwiegend Vertreter der katholischen Theologie. Jedoch kommen ebenfalls Vertreter der orthodoxen und evangelischen Theologie oder Stimmen aus Wirtschaft, Politik, Sozialforschung zu Wort. Die Beiträge schildern die aktuelle Zuspitzung der Klimaproblematik, das anhaltende Scheitern politischer Steuerungsbemühungen sowie bereits eintretende oder potenzielle soziale Auswirkungen des Klimawandels. Auf Dauer wird sich Armut noch weiter verschärfen und wird Migration dramatisch zunehmen.
Kategorial wird das Klima als kollektives Gut eingeordnet (z. B. P. Steinmair-Pösel, 181); ethisch wird die Klimaproblematik im Horizont der Gerechtigkeitsidee interpretiert. Dies gilt schon deswegen, weil die Industrienationen, auf die die Klimaveränderungen überwiegend zurückgehen, von den zu erwartenden Umweltkatastrophen und Armutsauswirkungen voraussichtlich weniger stark betroffen sein werden als die Nichtverursacher. Hauptleidtragende wird die Bevölkerung in Entwicklungsregionen sein. Die Autorinnen und Autoren stimmen überein, den Klimawandel nicht als natürliches oder schicksalhaftes Ereignis, sondern als »menschenverursacht« aufzufassen. Im Kontext der Industrialisierung stelle er die Folge – genauer gesagt: eine unintendierte negative Nebenfolge – kollektiven menschlichen Handels dar. Beachtung verdienen die Überlegungen, die zum Klimawandel im Horizont der Menschenrechte vorgetragen werden. Sie weisen darauf hin, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte bedroht werden und auf Dauer eine sehr hohe Zahl von Menschen in ihrem Recht auf Leben, Nahrung oder Gesundheit gefährdet sein wird ( M. Vogt, 67). Darüber hinaus zeigt sich zunehmend, dass die legale Gerechtigkeit, nämlich das Gebot der Gesetzesbefolgung ausgehöhlt wird. Denn Regulierungen, die zur Klimaschutzprävention getroffen wurden, werden inner- und zwischenstaatlich unterlaufen (73). Insofern steht beim Klimaproblem letztlich die Funktionsfähigkeit des Staates als Institution auf dem Spiel. Diesen Punkt hatte in den 1980er-Jahren schon Hans Jonas angesprochen (I. Gabriel, 20). Der Sache nach lassen sich die staatsethischen und politisch-ethischen Implikationen des Klimawandels noch sehr viel eingehender durchdenken, als es in den fragmentarischen Überlegungen Jonas’ der Fall war oder jetzt im vorliegenden Band geschieht (zu dem Thema auch G. Glatzel, 107 f.).
Im Schwerpunkt fragt das Buch nach dem Beitrag der Kirchen, namentlich der römisch-katholischen Kirche zur Bewältigung des Klimawandels. Die Autoren beurteilen das bisherige Engagement äußerst skeptisch. Die katholische Kirche und die Soziallehre hätten es insgesamt versäumt, sich des Themas anzunehmen (M. Vogt, 75). Heute sei es an der Zeit, Nachhaltigkeit als neues Sozialprinzip anzuerkennen (76 f.). Dieses Postulat verdient Interesse. Eigentlich spielte es sogar schon vor Längerem in einem katholischen Dokument eine Rolle, das im vorliegenden Band – soweit ersichtlich – nicht rezipiert wird, und zwar im Jahr 1998 in der Schrift »Handeln für die Zukunft der Schöpfung« der Kommission für gesellschaft-liche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. Das Do­kument wollte die vier klassischen Sozialprinzipien um ein fünftes, das Nachhaltigkeits- oder Retinitätsprinzip, anreichern. Das vorliegende Buch lässt zutagetreten, dass frühere Initiativen versandet sind, die auf römisch-katholischer Seite im Blick auf das Klimaproblem durchaus vorhanden gewesen waren. Dieser Entwicklung möchten die Autoren entgegensteuern.
Thematisch liegt ihnen daran, Verantwortung für Umwelt und Klima im engeren Sinn religiös zu fundieren. Daher plädieren einige Autoren für eine Schöpfungsspiritualität. Die ökologische Krise beruhe auf einer spirituellen Krise (P. Steinmair-Pösel, 190). Um diese These zu untermauern – aus Sicht des Rezensenten bleibt sie allerdings sehr einseitig und ist schwer zu belegen –, werden Stimmen aus der christlichen Orthodoxie zu Rate gezogen. Dem Metropoliten von Österreich Arsenios Kardamakis zufolge ist die Um­weltkrise eine Folge der Sünde; Umweltschädigung sei Gotteslästerung (149 f.; ähnlich der rumänisch-orthodoxe Geistliche Dorin Oancea, 172). Dass aus orthodoxer Sicht Liturgie und Kosmologie christologisch fundiert seien und die Welt zur Vergöttlichung bestimmt sei, lasse sich für Umwelt und Klima fruchtbar machen. Ein Entrinnen aus der Umweltkatastrophe sei »nur« durch religiöse Reue und »nur« durch Gemeinschaft mit Christus erreichbar (173).
Der Band bringt noch andere, darunter »weltliche« Aspekte zur Geltung. So wird angesprochen, ob sich im Zuge des Klimawandels das Eigentumsverständnis verändern wird, so dass es bezogen auf Mobilität statt auf Privateigentum (privater Besitz von PKWs) vielmehr auf den Zugang zu Dienstleistungen ankomme (St. Rammler, 117). Insofern enthält das Buch Impulse, die unterschiedlich gelagert sind und gesondert zu diskutieren wären. Die Vorstellungen, die zur Schöpfungsspiritualität genannt werden, können im kirchlich gebundenen Teil der Gesellschaft möglicherweise zu umweltorientiertem Denken und Handeln motivieren. Der Sache nach bleiben sie allerdings unscharf, hängen von bestimmten konfessionell-dogmatischen Vorentscheidungen ab – darunter der orthodoxen Sicht des Göttlichen in der Welt –, stehen zum Teil in der Gefahr der Moralisierung – dies betrifft etwa die Verknüpfung des Klimaproblems mit dem Sündenbegriff – und sind in einer pluralistischen Gesellschaft und im weltanschaulich neutralen Staat nicht universalisierbar. Grundsätzlich erinnert der Band speziell die Kirchen und Kirchenmitglieder allerdings ganz zu Recht an ihre Umweltverantwortung. Sollte es zutreffen, dass dieses Anliegen in der katholischen Kirche so sehr in den Hintergrund getreten ist, wie die Autoren es schildern, dann wäre dem Buch im kirchlichen Bereich die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu wünschen.