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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

838–840

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Böttigheimer, Christoph, Dziewas, Ralf, u. Martin Hailer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Was dürfen wir hoffen? Eschatologie in ökumenischer Verantwortung.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 223 S. = Beihefte zur Ökumenischen Rundschau, 94 (Veröffentlichungen des Interkonfessionellen Theologischen Arbeitskreises, 4). Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-03322-5.

Rezensent:

Christof Gestrich

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Anglet, Kurt: Auferstehung und Vollendung. Würzburg: Echter Verlag 2014. 126 S. Kart. EUR 12,80. ISBN 978-3429-03683-6.


Kurt Anglet, Fundamentaltheologe u. a. am Berliner Priesterseminar Redemptoris Mater, legte schon eine Reihe von Büchern vor, die – auch ausgreifend in Literaturzusammenhänge der Germanistik – von der christlichen Eschatologie aus Deutungen und »Zeitdiagnosen« versuchen. Hier nun geht es um die innere Struktur von »Geschichte«. Hat sie eine Aussicht auf Vollendung? Etwa Nietzsche und Heidegger widersprechen teleologischen Geschichtsverständnissen. Doch die christliche Erwartung einer allgemeinen Totenauferstehung am Jüngsten Tag impliziert auch die Vollendung der Weltgeschichte. Dass dies nicht immer klar erkannt wird, ist der Anlass für die hier vorgelegte Studie. A. will die christlich verstandene Vollendung herausholen aus oft vorgenommenen individualistischen Verengungen. Seine Darlegungen werden be­gleitet von Philosophie- und Theologiekritik sowie von der Berufung auf den prophetischen Geist der Bibel. Beides bewegt sich nahe bei Karl Barths vor hundert Jahren vollzogener Absetzbewegung von einer liberal-theologischen, historistischen wissenschaftlichen Weltdeutung mit ihrer Ablehnung von Dogmen wie »Auferstehung des Fleischs« oder »Wiederkunft Christi«. Die historistische Weltdeutung »entsorgte« die überindividuellen biblischen »Mythen« und baute im Namen einer »intellektuellen Redlichkeit« auf das, was ein heutiger Mensch subjektiv religiös erfahren könnte (= der Gottesbegriff entspricht unserem jeweiligen Selbstverständnis).
Dass aber der Graben zur Transzendenz hin in Wahrheit un­überbrückbar bleibt, findet A. auch z. B. bei Franz Kafka ausgesagt oder bei Philosophen wie Walter Benjamin und Theodor Häcker, dem Kierkegaard-Übersetzer und geistlichen Mentor der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« um die Geschwister Scholl. Vom rumänisch-französischen Skeptiker Emile M. Cioran übernimmt A. die Beobachtung: In unserer durch historisches Erfassen aller Entwicklungen gedeuteten Welt stellt man nicht mehr die Frage nach Gott, sondern fragt nach den Erscheinungsformen Gottes bzw. den Gottesverständnissen im Lauf der Geschichte. Letztlich bedeute dies, dass wir den von außen kommenden Gott, der uns angesichts unserer von uns nicht lösbaren Schuld- und Weltverstrickungen rechtfertigt und erlöst, verlieren im Zuge einer Selbstrechtfertigung (18). Gegenwärtig sei es zu einer großen Krise des christlichen Glaubens durch Verlust der prophetisch-eschatologischen Dimension gekommen. Um dem zu begegnen, hebt A. das messianische biblische Fokussieren der geistgewirkten Neuerschaffung aller Dinge heraus. Dieser Fokus müsse das Rückgrat heutigen christlichen (und auch jüdischen) Glaubens und Ge­schichtsverständnisses bilden. Es gehe in der Geschichte nicht – wie von Hegel bis hin zu Heidegger angenommen – um unsere »Reifung« in Auseinandersetzung mit dem Todesgeschick. Sondern hinter der biblisch gesehenen und geglaubten Vollendung steht Gottes Überwinden des Todes. Dies und den entsprechenden Einfluss des Hl. Geists stellt A. gegen die katastrophale Apokalyptik der versuchten menschlichen Selbstvollendung.
Alle diese Fragen haben ihre Aktualität nicht verloren. Doch bricht A.s eindringlich geschriebene Studie mit ihren vielen als systematisch-theologische dicta probantia ausgewählten Bibelzitaten zu radikal mit der historisch-kritisch orientierten Theologie. Sofern letztere die im 20. Jh. längst erhobenen Einwände gegen historistisch fehlgeleitete Glaubensbegründungen heute kennt und berücksichtigt, sollte auch ihr Aufklärungspotential und ihre Befähigung, veraltete Glaubensformen aufzudecken und zu de­struieren, gewürdigt und in Anspruch genommen werden. Die Wahrnehmung auch dieses Anliegens hätte A.s Darlegungen zu noch mehr Differenzierung verholfen.
Der von Christoph Böttigheimer (katholischer Theologe), Ralf Dziewas (baptistischer Theologe) und Martin Hailer (evangelischer Theologe) herausgegebene Sammelband »Was dürfen wir hoffen?« präsentiert nicht eine komplette Eschatologie, die zudem »ökumenisch verantwortet« wäre. Sondern untersucht wird das Grundverständnis und der Stellenwert des Eschatologischen in den gegenwärtigen konfessionellen Theologien. Gezeigt wird, dass es ökumenische Gemeinsamkeiten gibt, angefangen bei der Einsicht, dass die Eschatologie nicht mehr länger als dogmatisches Anhängsel gesehen werden darf, sondern die Textur eines jeden theologischen Lehrstücks prägen muss, bis hin zum Verständnis Gottes selbst in folgender Hinsicht: Zwar steht Gott jenseits von Geschichte und Welt, wo diese »zuende« sind. Aber gerade von hier aus betrifft Gott die konkreten Einstellungen, die wir zum jetzigen Weltgeschehen einnehmen. Das Buch weist auch auf gleichwohl bestehende konfessionelle Unterschiede bei der Wahrnehmung der Eschatologie hin. Sie betreffen z. B. die jeweiligen Auffassungen von der »Vorwegereignung« des Letzten (bzw. des »Endes«) etwa im Vollzug der Gottesdienstliturgie (orthodox) oder der Sakramente (katholisch) oder (evangelisch) im verkündigten und geglaubten Jetzt schon in seiner Spannung zu dem, was von Gottes eschatologischer Vollendung noch aussteht. »Die Studien des vorliegenden Bandes ma­chen es sich ausdrücklich nicht zur Aufgabe, diese Differenzen zu überwinden.« »Was sie eint, ist die Überzeugung, dass die jeweilige Arbeit nur dann richtig getan wird, wenn sie mit dem Blick auf theologische Traditionen anderer Konfessionen geschieht« (8).
Im Vorwort gibt das Büchlein einen gedrängten Überblick über die in ihm versammelten Beiträge. Leider fehlen am Ende Bibelstellen- und Namenregister zur Erleichterung der Rezeption der durchweg ein gutes und zeitgerechtes fachliches Niveau einhaltenden Texte.
Neben Texten der drei Herausgeber bietet diese Studie zur Frage der christlichen Hoffnung (auch über den Tod hinaus und für die ganze Welt) weitere Beiträge von Andrea Strübind, Johanna Rahner, Astrid Heidemann, Ottmar Fuchs, Reinhard Thöle und Günter Thomas. Insgesamt ist das Buch, entgegen seiner Selbstvorstellung, doch auch eine »inhaltliche Eschatologie« geworden, weil es sich zu einer ganzen Reihe aktueller Fragen der christlichen Hoffnung über den Tod hinaus differenziert (auf der Ebene heutiger Diskussionsstände) äußert. Dabei ist es kaum mehr von Bedeu tung, dass man jeweilige Äußerungen in den Beiträgen auf ihre unterschiedlichen konfessionellen Ursprünge zurückführt. Er­freulich ist, dass sich Lesende dieses Buchs, welcher der größeren christlichen Konfessionen sie auch angehören mögen, angesprochen fühlen und eine Förderung ihres eigenen Verständnisses der Sache erhalten werden. Eine wissenschaftliche Primärunter-suchung kirchlicher eschatologischer Lehren ist hier natürlich nicht intendiert gewesen. Das Buch versammelt im Januar 2012 im Augustinerkloster zu Erfurt vorgetragene Symposiumsvorträge von der sechsten Jahrestagung des Interkonfessionellen Theologischen Arbeitskreises (ITA). Die Vortragenden haben meistens über eigene Forschungsschwerpunkte berichtet. Die Veröffentlichung ihrer Beiträge lässt nicht eine fortschreitende Linie erkennen, die einen systematischen Aufbauplan des Buches verrieten. Es gibt sowohl sachliche Überschneidungen wie auch kleinere Gegen-sätz e– vor allem bei der Einschätzung der Frage, ob das Jüngste Gericht das Ziel einer ausgleichenden Gerechtigkeit verfolge. Aber viel bemerkenswerter ist die große sachliche Übereinstimmung in der praktischen Aufbereitung der Eschatologie für heutige Chris­tenmenschen.
Immer wieder fokussieren die Texte die Frage, wie christlicher Glaube mit der – nicht zuletzt im Neuen Testament begegnenden– Apokalyptik umgehen sollte. Ferner, wie er gleichzeitig von der Welt befreit und dennoch der Welt gerade so entschieden und in Liebe »operativ« zugewandt sein kann. Dem entsprechend werden neu durchdachte Modelle des Reich-Gottes-Glaubens, des Sinngehaltes des Jüngsten Gerichts, der »neuen Schöpfung« und auch des Verständnisses der (unsterblichen?) menschlichen Seele vorgetragen.