Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

774–776

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Fine, Steven

Titel/Untertitel:

Art, History and the Historiography of Judaism in Roman Antiquity

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2014. XVIII, 234 S. = The Brill Reference Library of Judaism, 34. Geb. EUR 101,00. ISBN 978-90-04-23816-9.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Der Band versammelt zwölf Artikel aus der Feder des renommierten Autors Steven Fine, Professor of Jewish History der New Yorker Yeshiva University, die »each touch on the relationship between texts and artifacts for the interpretation of ancient history – in our case, the Jewish experience under Rome and New-Rome, leading up to the Islamic transformation of the eastern Mediterranean world during the seventh and eight centuries« (XV). Jeder der nach der »Introduction« (1–19) folgenden Artikel beginnt mit der Diskussion eines »iconic artifact«, das F. im Lauf der Erörterung als Linse ge­braucht, die das komplexe Verhältnis zwischen Dingen, Wörtern und ihren modernen Interpreten sichtbar werden lässt. Einige der Artikel sind neu, andere entstanden nach der Publikation von F.s monographischer Darstellung Art and Judaism in the Greco-Roman World. Toward a New Jewish Archaeology (Cambridge 2005, 22010, s. meine Rezension in ThLZ 132 [2007], 145 f.) und stellen ein facettenreiches Nachwort zu dort zu kurz gekommenen Fragen der Methodologie dar. Alle Essays sind getragen vom – angesichts des das Altertum umhüllenden »tiefen Nebels« – so unerfüllbaren wie notwendigen Wunsch »to project flesh and blood into three-dimen-sional spaces and in so doing to imagine the lost world in which those people thrived« (8).
In »›See, I Have Called the Renowned Name of Bezalel, Son of Uri …‹: Josephus’s Portrayal of the Biblical ›Architect‹« (21–36) beschreibt F. die Wandlung des von Gott inspirierten »Architekten« aus Ex 31–38 zum »menschlichen Experten für das Bauwesen« und präsentiert die Ergebnisse der Untersuchung als Beitrag zu einer breiteren Diskussion über »craftmanship in Greco-Roman antiquity« (36). »A Note on Ossuary Burial and the Resurrection of the Dead in First-Century Jerusalem« kritisiert die landläufige Verbindung von Ossuarbestattung mit dem pharisäischen Glauben an die Auferstehung. Vielmehr sei die neue Bestattungsart im Kontext allgemeiner sozialer Umbrüche in der griechisch-römischen Welt zu verstehen (37–49). Die Rekonstruktion der farbigen Fassung einer Caligula-Büste gibt F. Anlass zur Reflexion der jüdischen Ängste und der römischen Motivation, sollte ein derartiges Bildnis im Tempel aufgestellt werden (51–62: »Caligula and the Jews: Some Historio graphic Reflections Occasioned by Gaius in Polychrome«). In »›When I Went to Rome […] There I Saw the Menorah‹: The Jerusalem Temple Implements in Rabbinic Memory, History and Myth« (63–86) untersucht F. rabbinische Traditionen zum Verbleib der goldenen Tempelmenorah in Rom und kommentiert recht rezente jüdische Hoffnungen auf deren Wiederauffindung kritisch. Besondere Bedeutung erhalten diese Überlegungen durch das von F. mitinitiierte und -durchgeführte »Arch of Titus Digital Restora-tion Project« der Yeshiva University. In »Coloring the Temple: Polychromy and the Jerusalem Temple in Late Antiquity« (87–100) greift F. das Thema Polychromie wieder auf und setzt die talmudischen Traditionen über die vielfarbige Pracht des herodianischen Tempels (bSuk 51b; bBB 4b) in Beziehung zu »Herod’s eventual reha-bilitation through architecture« seitens der Rabbinen (90) sowie zur römischen und persischen Sakralarchitektur. Aufgrund ihrer Lage direkt an der Grenze der verfeindeten Mächte Rom und Persien stellt Dura Europos einen besonders vielversprechenden Ort zum Studium »jüdischer Identität« im 3. Jh. n. Chr. dar. Die dortige Synagoge bestätigt das bereits aus der rabbinischen Literatur bekann te Bild großer Unterschiedlichkeit jüdischer Identität(en), fügt aber nun noch eine »local, non-elite«-Perspektive einer»›hybrid‹ community« hinzu (101–121; 121: »Jewish Identity at the Cusp of Em-pires: The Jews of Dura Europos between Rome and Persia«).
»›Epigraphical‹ Study Houses in Late Antique Palestine: A Second Look« (123–137), »Furnishing God’s Study House: An Exercise in Rabbinic Imagination« (139–159), »The Jewish Helios: A Modest Proposal Regarding the Sun God an the Zodiac on Late Antique Synagogue Mosaics« (161–180) und »Between Liturgy and Social History. Priestly Power in Late Antique Palestinian Synagogues?« (181–193) untersuchen verschiedene architektonische und sozialgeschichtliche Aspekte der spätantiken Synagoge.
Der Fund einer mit einer Menorah verzierten Säule im antiken Laodikeia, auf die zusätzlich (nachträglich?) ein Kreuz eingemeißelt wurde, gibt Anlass für kritische Überlegungen »on the ways that ideology has affected the interpretation of Jewish-Christian relations in late antiquity« (195–214; 214: »The Menorah and the Cross: Historiographic Reflections on a Recent Discovery from Laodicea on the Lycos«). F. sieht die Säule nicht als Relikt eines (ohne hin fraglichen) Judenchristentums oder als Beleg für die »ways that never parted«, sondern gerade als Produkt des strukturellen Ungleichgewichts im Verhältnis zwischen einer jüdischen Minderheit und einem supersessionistischen, zeitweise gewalttätigen Christentum. Die Säule gehört damit in eine ganze Reihe von Ob­jekten im spätantiken Kleinasien, die entweder als Spolien in christliche Gebäude integriert und so angeeignet und umgedeutet wurden oder durch die Zeichnung mit dem Kreuz ihrem alten Kontext symbolisch entzogen wurden. Der Artikel »Jews and Ju­daism under Byzantium and Islam« bildet nicht nur chronologisch den Schlusspunkt des Bandes (215–227). Der Beginn islamischer Herrschaft über zahlreiche jüdische Gemeinden brachte zwar eine Änderung in deren rechtlichem Status, führte aufgrund des Schutzes als Inferiore faktisch aber dazu, dass sich jüdisches Leben praktisch ungestört entwickeln konnte und u. a. zahlreiche Synagogen gebaut oder umgebaut wurden.
Ein allgemeiner Sach-, Orts- und Eigennamenindex beschließt das mit 64 meist farbigen Illustrationen ausgestattete Buch.
F. gibt mit seinen Aufsätzen nicht nur interessante Einblicke in die Wandlungen seines eigenen Denkens, sondern reflektiert die Zeit- und Interessengebundenheit seiner ganzen Disziplin. Trotz aller Gelehrsamkeit, die sich zuweilen in sehr materialreichen Fußnoten niederschlägt, bleiben die Aufsätze stets inspirierend und gut zu lesen. F. hat nicht nur ein Buch vorgelegt, das hinsichtlich der von ihm diskutierten konkreten Objekte zahlreiche neue Einsichten und Daten bietet, sondern das gerade durch die Reflexion darüber, wie Interpretationen zustande kommen, nicht nur für Judaisten von Bedeutung ist. Das Studium der Antike hat es eben nicht nur mit vergangenen Kulturen zu tun, sondern wird von Menschen betrieben, die mit ihren eigenen Fragen und Überzeugungen an die Materie herangehen, die sich in Antworten und Interpretationen dann oft genug wieder spiegeln. Insofern hat F. sein Versprechen, »to project flesh and blood into three-dimensional spaces« nicht nur für die »lost world in which those people thrived« eingelöst, sondern auch für den modernen wissenschaftlichen Diskurs, den er selbst mit der vorliegenden Aufsatzsammlung wie auch mit seinen früheren Arbeiten mit großem Erfolg befördert hat.