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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

622-624

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Haralambakis, Maria

Titel/Untertitel:

The Testament of Job. Text, Narrative and Reception History.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2014. 183 S. = Library of Second Temple Studies. Kart. US$ 37,95. ISBN. 978-0-567-54164-2.

Rezensent:

Leonie Ratschow

Ist Hiob ein heiliger Dulder, der beharrlich gegen jedes un­menschliche Leid an Gott festhält? Oder wendet er sich als wütender Streiter gegen Gott? Kann Hiob als ein integerer Kämpfer für Gott beschrieben werden oder dürfen wir ihn gar als eine Christusfigur deuten?
Die im Dezember 2009 als Doktorarbeit an der Universität Manchester eingereichte, 2012 in überarbeiteter Fassung veröffentlichte und 2014 erstmalig als Taschenbuch herausgegebene Studie zum Testament Hiobs stellt sich diesen Fragen, ohne vorschnell einseitige Antworten zu versprechen. Denn Maria Haralambakis macht zu Beginn deutlich, dass es nicht ihr Anliegen ist, das Testament Hiobs als Interpretation des biblischen Hiobbuches zu analysie-ren. Die umfassende Untersuchung zum Testament Hiobs, deren Initiation George Brooke und deren erfolgreiche Betreuung bis zur Fertigstellung Philip Alexander sowie Grant Macaskill verdankt wird, widmet sich einer Gesamtdarstellung der behandelten Topoi seiner umfangreichen Textüberlieferung in griechischer, koptischer und slawischer Sprache. Insbesondere die Aufarbeitung und kritische Auswertung aller verfügbaren Textdokumente schließt eine Lücke in der Forschung zum Testament Hiobs.
Daher setzt die gelungene Arbeit H.s bei einem informativen Überblick über die einzelnen Handschriften zum Testament Hiobs an (Kapitel 1.2), um im Anschluss in eine Einführung seiner Forschungsgeschichte zu münden (Kapitel 1.3). Bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzungen haben sich auf eine oder meh-rere, bevorzugt die griechischen Manuskripte beschränkt. Dass der älteste griechische Codex jedoch um 1000 Jahre nach dem vermutlich ursprünglichen Text des Testaments zu datieren ist, blieb dabei in der Regel unbeachtet (29). Entsprechend waren vergan-gene Arbeiten an einzelnen Aspekten wie der Veränderung der Sa­tansfigur, der Rolle der Frauen oder der Darstellung Hiobs als Schutzherr der Witwen, Waisen und Fremden interessiert.
Im Bemühen um einen Überblick über die einzelnen Codices, ihre Entstehungshintergründe, die Hörer- oder Leserschaft sowie ihre genuine Darstellung des hellenistisch-römischen Testamententextes trägt H. alle verfügbaren Informationen mit sorgfältiger und umsichtiger Sensibilität für die Eigenheiten eines jeden Ma­nuskripts zusammen (Kapitel 2). Dabei sieht sie sich nicht von der Intention geleitet, einen möglichen »Urtext« zu rekonstruieren (26.29–30.75). Im Gegenteil stellt H. nachvollziehbar heraus, dass jede Textfassung bereits einen Beitrag zu der zeitlich langen und geographisch weit verzweigten sowie vielschichtigen Rezeptionsgeschichte des Testaments Hiobs darstellt. Abgesehen von diesem sachlogisch einleuchtenden Forschungsinteresse bewegt sich H. mit diesem Ansatz vorwärts, »because to some extent each tradi-tion, and within that each manuscript, tells its own story« (75).
Daran anschließend gibt H. zu bedenken, dass die simplifizierte Festlegung der Gattung des Testaments Hiobs als »Midrash« oder unter Inanspruchnahme seiner charakteristischen Evidenz als »Testament« möglicherweise der eigentlichen Form nicht ausreichend gerecht wird. Denn unabhängig und sich abgrenzend von seinem masoretischen Nachbartext besteht die besondere Gestalt dieser späten Hiobsgeschichte in ihrer Gestaltung als Erzählung. Insofern führt H. den Zusammenhang zwischen der narrativen Struktur des Textes mit seiner großen Vielfalt an Themen, Details und Untergattungen (z. B. Hymnen, Gedichten und Reden) ausführlich vor (Kapitel 3) und stellt abschließend fest: »It is the narrative that holds all the sub-genres and literary forms together.« (109) Ihr Vorschlag, im Testament Hiobs eine »example story« (108 ff.) zu sehen, gesteht sowohl dem erzählenden Genre als auch den sich wiederholenden und als Rahmengeschichte gestalteten Paräne-sen ihr Recht zu (109). Letztgenannte Charakteristika weisen dem Tes­tament Hiobs nicht zum ersten Mal einen Platz in der hellenis­ tisch-jüdischen Erbauungsliteratur zu, die sich in ihrer didak-tischen Struktur als verlängerter Arm alttestamentlicher Weisheitsliteratur wahrnehmen lässt.
Hiob als Exempel frommen Lebensvollzugs macht allerdings aus dem Protagonisten des Testaments eine Kernfigur, die sich in ihrer Vorbildfunktion von dem kanonischen Vorgänger abzuheben scheint. Einschließlich dieser auf der Figurenebene ausbuchstabierten Eigenheit erforscht H. die narratologische Gestalt des Textes (Kapitel 4), um auch und im Besonderen auf die Frage nach den jeweiligen Rezipienten antworten zu können. Mit einem latenten Blick auf die Rezeptionsästhetik kommt die Narrationsanalyse zu dem Ergebnis, einen ambitionierten Helden im Mit-telpunkt einer zur Nachahmung anregenden Beispiel-Erzählung zu wissen (136–139). Der Rezipient aber kann bereits in diesem Kapitel als die Hauptfigur des Testaments Hiobs als auch H.s engagierter Textuntersuchung erkannt werden. Denn eine »Beispiel-Erzählung« würde jeglicher spezifischer Voraussetzung so­wie Intention entbehren, bliebe sie nicht prominent am Leser und seiner individuellen als auch intersubjektiven Beteiligung orientiert. Das Testament Hiobs ist narratologisch auf die Aufmerksamkeit der Rezipienten ausgerichtet, »for example by gradually feeding their desire to know more« (139). Allerdings darf nicht von einer bestimmten oder gar der einen Leserschaft ausgegangen werden, so dass H. die Arbeit mit einer Darstellung der »variety of audiences of different times, geographical locations and religious identity« (140) abschließt.
Bei einer knappen Rekapitulation bekannter Differenzen zwischen der hebräischen und der griechischen Version des biblischen Hiobbuches setzen die abschließenden Betrachtungen zur Rezeptionsgeschichte ein (Kapitel 5). Bevor H. jedoch den erwartbaren Durchmarsch durch die verschiedenen, den überlieferten Handschriften zugehörigen Traditionen (der spät-antike Kontext des koptischen Manuskripts und die byzantinischen sowie christlichen Kontexte der griechischen und slawischen Codices) antritt, stellt sie drei unterschiedliche Positionen von Überlegungen zur ursprünglichen Rezeption des Testaments Hiobs vor. Dem hohen Grad an Spekulation Rechnung tragend, hatten Berndt Schaller von »Erbauungsliteratur«, Dankwart Rahner von dem missionierenden Charakter und Irving Jacobs von den Spezifika der Märtyrerliteratur in Bezug auf das Testament gesprochen (144–149). Zusammenf assend ergeben die vorgetragenen Untersuchungen offensicht-liche Gemeinsamkeiten mit Darstellungen Heiliger. Der Held ist grundsätzlich als Personifizierung von Werten und Tugenden gezeichnet, die folglich in ihrer Vorbild gebenden Funktion auf Nachahmung angelegt sind (151–171). Insofern hält H. einen konkreten Gebrauch des Testaments Hiobs in monastischen Kontexten für denkbar, womit sie die das Kapitel einleitenden Spekulationen Berndt Schallers durch fundierte Recherchen stützt (144.172).
Der Zusammenfassung (Kapitel 6) ist ein umfangreicher An­hang angefügt, der einen Vergleich slawischer Handschriften von Kapitel 32, eine kritische Ausgabe der Kapitel 1–5 in slawischer Sprache sowie die Übersetzung des slawischen Testaments Hiobs enthält. Eine Bibliographie, ein Index antiker und mittelalterlicher Parallelliteraturen und ein Autorenindex machen die vorliegende Arbeit auch für weiterführende Untersuchungen benutzerfreundlich.
Der vorgenommene Rundgang H.s vom nicht vorhandenen »Urtext« bis zur dennoch annehmbaren »Urrezeption« nimmt sich dem Testament Hiobs in seinen überlieferten Handschriften un­ter authentischen wissenschaftlichen Gesichtspunkten an. Keine innovative These oder unorthodoxe Perspektive dient als Ausgangspunkt ihrer soliden Fragestellung. Vielmehr ist das Anliegen von H.s Studie, eine Lücke in der Testament-Hiob-Forschung zu füllen: sich an einen Text zu wagen, der aus vielen Texten besteht, dessen Vielgestaltigkeit jedoch nicht ausreichend erschlossen war. Jene Vielgestaltigkeit deckt die Arbeit sukzessive und mit angemessenem Feingefühl für jeden einzelnen Text und seinen indi-viduellen Kontext auf und entdeckt dabei die unverzichtbare Gestalt, Funktion und Wirkung des Rezipienten. In ihren Ergebnissen wächst die Arbeit über ihre eigene Aufgabenstellung hinaus.
Unklar bleibt jedoch, wie mit diesem Zeugnis frühjüdischer Glaubensgemeinschaften grundsätzlich umzugehen ist. Bereits die ertragreiche Narrationsanalyse (Kapitel 4) erweckt eine sublime Unsicherheit, ob der so schwer zu erfassende Text tatsächlich in dieser Weise zum Forschungsgegenstand werden kann. Steht das Testament Hiobs weiterhin der Mannigfaltigkeit innovativer wie solider Fragestellungen zur Verfügung, die über einen Hiob und seine vielen Gesichter zu spekulieren nicht müde werden? Oder ist jedem Forschungsinteresse an der unsichtbaren Grenze eines unverfügbaren »Urtextes« Einhalt geboten, um in der Durchsicht der zugänglichen Handschriften eine an das Testament Hiobs gerichtete Frage aus dem Blick zu verlieren? Dürfen sich die theologischen Disziplinen weiterhin mit diesem zwischentestamen-tarischen Text als Teil einer reichen Rezeptions-, Wirkungs- und Glaubensgeschichte eines frommen Dulders und wilden Kämpfers, eines ambitionierten Streiters für und gegen Gott als auch eines aus seiner Gottverlassenheit heraus Schreienden auseinandersetzen?