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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

383–385

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schwáb, Zoltán S.

Titel/Untertitel:

Toward an Interpretation of the Book of Proverbs. Selfishness and Secularity Reconsidered.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2013. XV, 280 S. = Journal of Theological Interpretation. Supplements, 7. Kart. US$ 37,95. ISBN 978-1-57506-707-0.

Rezensent:

Bernd U. Schipper

Das Proverbienbuch galt lange als Fremdkörper im Alten Testament. Bereits die Forschung des 19. Jh.s nahm Anstoß an der scheinbar eindimensionalen Ausrichtung auf den Menschen. Passagen wie Prov 16,21; 22,1 oder 25,24 wurden als Ausdruck einer Theologie verstanden, die nicht Gott, sondern ausschließlich den Menschen und sein Wohlergehen im Blick hat. Die bei Walter Moberly an der Universität Durham (UK) eingereichte Dissertation setzt bei der Frage an, inwiefern Selbstbezogenheit des Menschen (»Selfishness«) sowie der säkulare Charakter des Proverbienbuches (»Secularity«) tatsächlich im Sinne der älteren Forschung verstanden werden können.
Zoltán Schwáb legt einen neuen Interpretationsansatz zur Theologie des Proverbienbuches vor, der bewusst die Begriffe verwendet, an denen die ältere Forschung Anstoß nahm. Denn diese Begriffe (»Selfishness« und »Secularity«) sind, so die Grundthese von S., dazu geeignet, in das theologische Zentrum des Proverbienbuches zu führen: das Verhältnis zwischen Mensch und Gott (68).
S. setzt mit einem forschungsgeschichtlichen Überblick ein (Part I), in dem er sowohl das Verständnis der Gelehrten des 19. Jh.s als auch die Interpretationen aus dem 20. Jh. vorstellt. Dieser Überblick mündet in die Erkenntnis ein, dass die oftmals von der Forschung genannten Kategorien »Ordnung« und »Schöpfung« nicht für das Proverbienbuch geeignet seien, sondern vielmehr die Perspektive der Gottesbeziehung des Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden müsse. Auch wenn es im Proverbienbuch aufgrund der weisheitlichen Gattungen nicht um Themen wie Bund, Exodus oder das Königtum Davids gehe, so stehe doch im theologischen Zentrum des Buches der Mensch vor Gott (68).
Der hermeneutische Schlüssel für diese Interpretation ist die Theologie des Thomas von Aquin. S. vertritt in methodischer Hinsicht einen »canonical approach« (Part II, besonders 72), innerhalb dessen die Auslegungsgeschichte zentral ist. So sind im Gegensatz zu einer »kantianischen« Lesart, die den menschlichen Eigennutz als a-religiös ansieht, für S. gerade die Schriften Thomas von Aquins zur Ethik geeignet, der Selbstbezogenheit des Menschen einen klaren theologischen Ort zuzuweisen: »Self-preservation is the most basic human end in Thomas’s system of ends, and it is perfectly natural and good for a human being to strive for that end.« (97)
Ausgehend von diesen Grundentscheidungen bieten die beiden inhaltlichen Hauptkapitel der Arbeit (Part III »Does Proverbs promote selfishness?«; Part IV »The ›Secular‹ in Proverbs«) eine Interpretation ausgewählter Texte des Proverbienbuches, die S.s Auffassung zufolge dem zuvor entfalteten Konzept zugeordnet werden können (Prov 2; 8). Hinzu kommen thematische Überblicke zu »Self-Interest in Proverbs and Deuteronomy« (7.1.1 mit tabellarischer Motivliste auf S. 101–104), zu dem Ertrag des »weise Seins« (8.1 mit Tabelle auf S. 111–114) oder den »Besser-Als-Sprüchen« (Table 5, 118–122). Jeweils leitend für die Auslegung ist die zuvor genannte Theologie des Thomas von Aquin, welche die Fragerichtung vorgibt: »Do we find the same checks of self-interest there [im Proverbienbuch, BUS] as in Thomas’s moral theology?« (99)
Entscheidend ist für S., dass beide Sachverhalte, an denen die ältere Forschung Anstoß genommen hat, letztlich nicht nur we­sentliche Charakteristika des Proverbienbuches beschreiben, sondern theologisch neu gedeutet werden können. Dabei zeigt S. zu­gleich auch die Grenzen der Begriffe auf. So endet der erste Gedankengang zum »Säkularen« im Proverbienbuch (Part IV) mit der Einsicht, dass das Proverbienbuch gerade nicht als »säkular« be­zeichnet werden könne. Es gehe vielmehr um das Sein des Menschen mit Gott (»about being with YHWH«, 188). Die Frage, wie diese Theologie inhaltlich näher beschrieben werden kann, beantwortet S. in Form einer Auseinandersetzung mit Walter Brueggemanns Konzept des »verborgenen Gottes« (»The Hidden God«). S. hält Brueggemanns Konzept einer impliziten Theologie des Proverbienbuch für nicht weiterführend, da zentrale Themen des Proverbienbuches wie die Gottesfurcht oder die Frage, wie Weisheit gefunden werde, dabei vernachlässigt würden (239). Vielmehr plädiert S. für ein Verständnis von »Verborgenheit« (hiddenness) im Sinne von »Unbegreiflichkeit« (»incomprehensibility«, 235). Er folgt damit klassischen Ansätzen von Martin Buber und Karl Rahner, denen zufolge Gott als für den Menschen unbegreiflich und im Letzten nicht verfügbar anzusehen sei (»This ›classical hiddenness‹ describes God as incomprehensible and as someone who cannot be possessed.«, 239). Die Studie schließt mit einer Zusammenfassung, die nochmals zu Thomas von Aquin zurückführt. Konsequent der bisherigen Argumentationslinie folgend, bestimmt S. die von ihm so benannten zentralen Charakteristika des Proverbienbuches, »Self-Interest and the Secular« streng von dem hermeneutischen Fluchtpunkt der Studie aus: »Thomas taught that care for oneself in a proper, wise way, means participation in divine providence, that is, participation in the divine mind.« (243)
S. geht es in seiner Studie darum, ein Problem zu lösen. Entgegen der älteren Forschung will er aufzeigen, dass das Proverbienbuch eine Theologie enthält, die nicht im Gegensatz zu anderen alttestamentlichen Texten steht, sondern ein genuiner Teil einer Theologie des Alten Testaments ist. Dieses Anliegen verdient un­eingeschränkte Anerkennung. Wenn der Rezensent das Buch trotzdem mit einer gewissen Skepsis aus der Hand legt, so hat dies drei Gründe:
1) Das Buch bemüht sich nicht um eine Exegese des Proverbienbuches, sondern liest dieses vor dem Hintergrund eines mittelalterlichen Theologen. Die Frage, inwiefern diese Theologie, gerade hinsichtlich ihrer systematischen Voraussetzungen (z. B. die Providentia Dei oder die Imitatio Dei), einfach so auf das Proverbienbuch übertragen werden kann, scheint dabei keine Rolle zu spielen.
2) S.s Interpretation kommt so gut wie ohne Exegese des biblischen Textes aus. Streng genommen werden lediglich zwei Kapitel des Proverbienbuches ausgelegt: Prov 2 und Prov 8. Der Rest ist eine theologisch durchaus anregende Spekulation über die Möglichkeit, die von der Forschung oftmals benannten Probleme des Proverbienbuches mittels scholastischer Theologie zu lösen. Dabei werden bisherige Erklärungsansätze wie z. B. Schöpfung und Weltordnung als leitende Kategorien recht schnell beiseitegeschoben (59–61). Diese Kategorien wurden jedoch gerade vor dem Hintergrund des Proverbienbuches als Ganzem ausgebildet. Auch wenn S. auf Einzelsprüche aus Prov 10–22 Bezug nimmt, seine Interpretation hängt an den sowohl inhaltlich wie theologisch herausragenden Kapiteln 2 und 8. Die Möglichkeit, mit Hilfe der neueren Forschung den theologischen Gehalt des Proverbienbuches anhand von Textexegesen herauszuarbeiten (vgl. z. B. die Bezüge in Prov 3; 6 und 7 auf das Shema in Deut 6, in Prov 28 auf die Bundestheologie oder in Prov 30 auf den Dekalog), nutzt S. nicht.
3) Den wenigen Exegesen stehen umfangreiche Referate der Sekundärliteratur gegenüber, bei denen S. im Zweifelsfall den Be­treuern seiner Arbeit folgt. Mit welchen Gründen das geschieht, wird oftmals nicht angegeben (vgl. z. B. die Liste von Zitaten auf S. 68 und S. 163–174 sowie die ausführlichen Zitate des jeweiligen »Re­ferenztextes« auf S. 180–181 oder 183).
Letztlich bietet S. eine Interpretation des Proverbienbuches, die auf einer recht schmalen Textbasis beruht. Gleichwohl wird das Buch mit Gewinn zur Hand nehmen, wer an einem theologisch anregenden und die Auslegungsgeschichte des Proverbienbuches berücksichtigenden Überblick interessiert ist.