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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

316–318

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Remenyi, Matthias [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Amt und Autorität. Kirche in der späten Moderne

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2012. 219 S. m. 5 Abb. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-77539-9.

Rezensent:

Stefan Tobler

Dieses Buch spannt einen sehr weiten Bogen. Form und Legitimation des Amtes und dessen Autorität in der römisch-katholischen Kirche sollen in drei Themenkreisen behandelt werden: die »theologische Dimension«, seine »geschichtliche Gewordenheit« und die »aktuelle Situiertheit in pluralen gesellschaftlichen Kontexten« (7). Ein Sammelband, der aus einer Tagung hervorgeht, ist oft fragmentarisch und die Auswahl seiner einzelnen Themen dem zufälligen Forschungsinteresse der beteiligten Autoren geschuldet. Im vorliegenden Fall – er geht auf eine Tagung in Berlin 2011 zu Ehren von Kardinal Sterzinsky zurück – wird dies vor allem im historischen Teil sichtbar.
Den Anfang macht ein Beitrag des Herausgebers Matthias Remenyi, der auf 18 Seiten Geschichte und Theologie des Papstamtes zusammenfasst – ein nützlicher Text für eine Einführung in das Christentum, eher nicht für einen Forschungsband. Es geht ihm dabei um eine ökumenisch anschlussfähige Stoßrichtung: Der Petrusdienst sollte – mit Pottmeyer gesprochen – nicht »alles bestimmende Regelungsinstanz«, sondern »ein Wächteramt in subsidiärer Funktion, als Zentrum der communio« (31) sein. Günther Wassilowsky untersucht das Verhältnis von Amt und Autorität anhand der symbolischen Repräsentation, wie sie im Papsttum sichtbar wird. Zurückgreifend auf eine Differenzierung von Max Weber unterscheidet er traditional-formale, legal-funktionale und charismatisch-personale Papstautorität (35) und untersucht, wie diese »primär durch symbolische Handlungen immer wieder aufs Neue hergestellt und stabilisiert« (33) wird. Er tut dies unter anderem durch eine Analyse der rituellen Abläufe, die eine Sedisvakanz prägen, im Kontrast zwischen der Sterblichkeit des einzelnen Papstes und der Kontinuität, ja Ewigkeit der Institution. Ab dem 19. Jh. ist eine »ungehemmte Fixierung auf die jeweilige Person des Papstes« zu beobachten, ein »Charismatisierung der Papstfigur« (46), die in Papst Wojtyla einen Höhepunkt erreicht hat. Sie bedeutete eine zunehmende Zentralisierung, einen »schleichenden Kompetenzverlust auf Seiten der Bischöfe« und die »Etablierung einer religiösen Eventkultur«, weshalb der Autor abschließend fragt, ob die beiden Instanzen Charisma und Amt in der Kirche nicht nur zu unterscheiden, sondern geradezu auseinanderzuhalten wären, da­mit »das Charisma aller Getauften sich entfalten kann« (51).
Markus Thurau untersucht den Autoritätskonflikt zwischen Kirche und Wissenschaft in der »Pianischen Epoche« in Deutschland. Es geht um den Streit um die Freiheit der Wissenschaft (vor allem der Theologie), der anlässlich der Initiative zur Gründung einer katholischen Universität in Deutschland entbrannt war. Auf der einen Seite standen Vertreter des Reformkatholizismus (Ignaz von Döllinger, Herman Schell), auf der Seite Wissenschaftler, die sich der Neuscholastik verpflichtet fühlten (Georg von Hertling). Während das Breve von Pius IX. Tuas libenter von 1863 den »Alleinzuständigkeitsanspruch des kirchlichen Lehramts« (68) betonte, argumentierte die im 1. Vatikanischen Konzil verabschiedete Konstitution Dei Filius ausgewogener und wurde danach auch unterschiedlich ausgelegt, weshalb der Streit sich fortsetzen konnte.
Arnold Angenendt bietet eine lehrreiche Übersicht über die Modalitäten der Bischofsernennungen im Verlaufe der Kirchengeschichte, unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach der Rolle des Metropoliten bzw. Erzbischofs. In der alten Kirche als primus inter pares der Organisator von Bischofswahlen und -weihen, wurden sie im Frühmittelalter von den Königen zur Ausübung staatlicher Macht (inkl. Bischofsernennungen) über die Kirche missbraucht. Mit Gregor dem Großen begann eine Entwicklung, die – durch das Symbol des päpstlichen Palliums – das Erzbischofsamt an den Papst binden sollte. Der lange Weg führte vom Investiturstreit bis zum gegenwärtigen System der freien Ernennung der Bischöfe durch den Papst. Kritisch gegenüber dieser zentralis-tischen Autoritätsausübung, sieht der Autor in der alten metropolitanen Struktur die Möglichkeit, die Kollegialität der Bischöfe auszudrücken bzw. zu stärken. Eine kleine Korrektur: Der Losentscheid von Apg 1,26 findet sich im Osten sehr wohl durch die ganze Kirchengeschichte hindurch (anders 85: er habe sich »nirgends sonst wiederholt«).
Der kurze soziologische Teil ist wenig ergiebig. Zum einen (Michael Hochschild) finden wir, strukturiert durch die Begriffe Selbstreferenz und Fremdrev(f)erenz, eine meta-theoretische Reflexion zum Verhältnis von Soziologie und Theologie, das jenseits von Ablehnung oder Assimilation neu geordnet werden müsse, im Sinne eines gegenseitigen Lernprozesses, der mit der Komplexität der Verflechtung rechnet. Dieser skizzenhafte Deutungsversuch hat wenig mit dem Thema des Buches zu tun. Zum anderen (Michael N. Ebertz) wird unter dem Stichwort der funktionalen Demokratisierung (verstanden als Verringerung von Machtdifferenzen) eine Übersicht geboten, inwiefern die römisch-katholische Kirche nach außen (durch ihren schwindenden Einfluss in der Gesellschaft) und nach innen (»gebremste Laisierung«, 130) einen Wandel durchlebt, den das Papstamt allerdings durch eine »charismatisch-plebiszitäre Legitimation« mithilfe von Heiligsprechungen und Großveranstaltungen zu kompensieren sucht. Eine Übersicht über so viele Themen auf wenigen Seiten kann nichts substantiell Neues bieten – der Autor nennt sie selber »impressionistische Vorüberlegungen« (117).
Ergiebiger ist der systematisch-theologische Teil mit vier Beiträgen. Darunter sticht der Aufsatz von Matthias Remenyi heraus. Unter dem Titel »Die Autorität des Dienens. Der Diakonat als Paradigma des kirchlichen Amtes« macht er anhand der Unterscheidung von auctoritas und potestas deutlich, dass Autorität »ein paradox anmutendes Dienstverhältnis anzeigt«, das als Anerkennungsverhältnis auf freier Einwilligung beruht, wobei gilt: »Der im eigentlichen Sinn Dienende, einen Dienst Erweisende ist nämlich jener, der mit Autorität ausgestattet einen verbindlichen Rat gibt oder eine Handlungsoption aufweist« (162).
Autorität entsteht aus Kommunikation und schließt – gegen Hannah Arendt – das Argumentieren keineswegs aus. Ausgehend von Aussagen des 2. Vatikanischen Konzils skizziert der Autor aus dieser Perspektive ein Verständnis des kirchlichen Amtes, das in seinem Wesen gerade dort, wo Autorität im Spiel ist, nur als Dienst recht verstanden werden kann. Darum ist der Diakonat kein Weiheamt zweiten Ranges, sondern geradezu das Paradigma des Am­tes; gegenläufige Tendenzen (wie in einem Motu proprio von Benedikt XVI. aus 2009) entsprechen den Weichenstellungen des Konzils nicht. Ähnlich wie Remenyi geht es auch Anja Middelbeck-Varwick um ein Verständnis von Autorität, das sich von Macht unterscheidet und von Zustimmung lebt; es ist ein »asymmetrisches, irreflexives personales Verhältnis« (186) der Anerkennung. Da theologisch alle Autorität von Gott herkünftig ist, schafft dies auch die Möglichkeit der Autoritätskritik. Kirchliche Autorität muss jedenfalls von »Pluralität und Relationalität« (188) geprägt sein. Somit stehen Autorität und Freiheit einander nicht entgegen. Dem Verständnis der Kirche als communio entspricht der Einbezug der Laien in deren Sendung.
Das Anliegen von Dorothea Sattler ist ebenfalls die Stärkung der Rolle aller Getauften, besonders auch der Frauen; dabei skizziert sie deren Verhältnisbestimmung zum dreifachen Weiheamt. Ihr Interesse ist die Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation der Kirche und die Frage nach deren Glaubwürdigkeit in einer sich schnell wandelnden Gesellschaft (»Bewährung durch Erfahrung«, 153; »Glaubwürdig durch den Lebensstil«, 156). Dass dieses wachsende Bewusstsein für die Rolle jedes Christen in der Kirche im Gewissensbegriff von Thomas von Aquin ein starkes theologisches Fundament hat, zeigt Ludger Honnefelder im abschließenden Aufsatz. Wer »nicht seinem Gewissen folgt, sündigt« (209) – somit ist die höchste irdische Autorität für den Menschen nicht eine äußere, sondern eine ihm von Gott gegebene, die ihn zum Handeln in Freiheit ermächtigt.
Die Zeitangabe »späte Moderne« im Untertitel bleibt dem Leser bis zum Schluss rätselhaft, da es den meisten Beiträgen entweder um eine große geschichtliche Linie oder um eine Gegenwartsanalyse geht. Diese ist jedoch zweifellos aktuell: Wie sehr ihr Thema einer christusgemäßen Ausübung von Autorität in der katholischen Kirche mit der Wahl von Papst Franziskus in den Vordergrund rücken und zu Verschiebungen führen würde, konnten die Autoren des Bandes noch nicht wissen.