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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

297–299

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Neijenhuis, Jörg

Titel/Untertitel:

Liturgik. Gottesdienstelemente im Kontext

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 160 S. = Elementar. Arbeitsfelder im Pfarramt, 2. Kart. EUR 17,99. ISBN 978-3-525-62004-5.

Rezensent:

Jochen Arnold

Jörg Neijenhuis legt mit seinem Bändchen Liturgik eine kleine Elementarliturgik vor, die den gottesdienstlichen Stücken entlanggeht, darüber hinaus aber auch Querschnittsthemen (wie Alternative Gottesdienste oder liturgische Kleidung) und Grundsätzliches (wie Theologie der Liturgie bzw. liturgische Theologie) behandelt. Das Buch ist eine klug angeordnete Zusammenstellung einzelner Vorträge, die meist auch schon als einzelne Aufsätze publiziert wurden.
Dem Heidelberger Praktischen Theologen ist anzumerken, dass er beides kennt und kann: Gottesdienst feiern und Gottesdienst verständlich erklären. Viele Elemente des Gottesdienstes sind in ihrer Geschichte und in ihren gegenwärtigen Gestalten bzw. Gestaltungsmöglichkeiten knapp, meist verständlich und bisweilen sogar detailliert dargestellt. Da finden sich auch für Fachleute noch einzelne neue Einsichten. Exemplarisch seien einige Texte zum Grundsätzlichen, zur Eröffnung und zum Abendmahl herausgegriffen.
Der Vf. versteht den Gottesdienst als Fest der Auferstehung Jesu Christi. Deshalb kommt die Gemeinde am Sonntag zusammen. Er grenzt sich in diesem Zusammenhang immer wieder von aktueller Event-Kultur ab und definiert Gemeinde von CA VII her klassisch als zum Gottesdienst versammelte Gemeinde. Dies wird jedoch nicht parochial enggeführt: Gemeinde ist ein »Leib, der die notwendige Vielfalt integrieren kann und natürliche Ortsgrenzen übersteigt.« (31) Differenziert, ja überraschend positiv steht der Vf. zum Thema Moderation im Gottesdienst. Auch wenn die Gefahr bestehe, dass die Moderierenden selbst zum Mittelpunkt würden, hält er kleine Moderationen für wichtige Hilfestellung, dass die Kommunikation des Evangeliums im Gottesdienst gelingt (vgl. 105–110).
Etwas eng geführt scheint mir dagegen die Sichtweise des Vf.s im Blick auf alternative Gottesdienste, die er offenbar samt und sonders als Angebote für das Unterhaltungsmilieu versteht. Ihre theologische Tiefe scheint ihm dabei ebenso fragwürdig wie ihre Nachhaltigkeit: »Wohl bestand die Hoffnung […] dass sich nun Menschen beteiligen, die sich sonst nicht beteiligen. Diese Hoffnungen haben sich wohl nicht bewahrheitet.« (24) Provokativ und anregend ist der grundsätzliche Text zum »Burnout« – doch des Gottesdienstes: Kann der Gottesdienst selbst ausbrennen und sich totlaufen? Zuversichtlich hält der Vf. dagegen: »Der Gottesdienst, die Liturgie ist eine Glaubensfeier. Diese Erwartung […] hat sie immer erfüllt und kann sie auch weiterhin erfüllen. Mit ihr kann die Gottesbegegnung gefeiert werden und Freude am Glauben und Freude an Gott auslösen. [sic] Das ist ihre Stärke.« (21)
Paradigmatisch zur Eröffnung ist Abschnitt 5: Der Gottesdienst ist eröffnet – die Bedeutungen beginnen zu spielen. Der Vf. zeigt hier – nach der etwas müßigen Diskussion, wann die Eröffnung denn nun abgeschlossen ist –, wie vielfältig im Gottesdienst Beziehung hergestellt wird: unter den Feiernden, zwischen der Gemeinde und dem Liturgen, hinsichtlich des Ortes und der Zeit und natürlich gegenüber Gott. Der Vf. grenzt sich dabei von einem einlinigen Konzept ab, das die Predigt als einzigen Höhepunkt des Gottesdienstes versteht.
Beim Kyriegesang wählt der Vf. den originellen Weg über ein Gespräch des Pfarrers mit den Konfirmanden, um dann die exegetischen, historischen und musikalischen Facetten des Kyrie darzulegen. Dabei finden sich Verweise auf verschiedene Fundstellen im EG sowie auf den (durchaus differenten) Gebrauch des Stückes in der lutherischen und unierten Form (vgl. Preußische Agende) des Gottesdienstes. Wohltuend ist dabei, dass der Vf. nicht auf eine normative Lösung hinarbeitet, sondern unterschiedliche Optionen formuliert, die von einer (liturgisch) mündigen Gottesdienstgemeinde – dazu gehören dann wohl auch die Konfirmanden! – durchaus unterschiedlich entwickelt werden können. »Der besondere Sinn des Kyrie erschließt sich dann aus dem Zusammenhang des Gottesdienstes.«
Als Schlüsselpassage für das Gottesdienstverständnis des Vf.s lese ich den Abschnitt zu Gloria und Glorien (Kapitel 8). Der Vf. zeigt hier eindrücklich, dass nicht nur eine isolierte Liedstrophe von Allein Gott in der Höh sei Ehr die Bezeichnung Gloria verdient, sondern der ganze Gottesdienst von doxologischen Elementen durchzogen ist. In ihnen sieht er einen Abglanz der »Herrlichkeit« Gottes. Die Doxologie ist für ihn die »Grundmelodie des Gottesdienstes«. An dieser Position hält der Vf. auch im Blick auf die – seit der Erprobung des EGb – immer wieder umstrittenen Abendmahls- oder Eucharistiegebete fest. Er hält sie für zentral, ohne damit den Verkündigungscharakter der Einsetzungsworte in Frage zu stellen, und beschreibt die Spannung so: Im EGb wird »nach der Verkündigung der Einsetzungsworte das Gebet fortgeführt. […] Damit soll deutlich bleiben, dass Christus sich uns schenkt – aber viel deutlicher wird es immer noch dadurch, dass Brot und Wein als Leib und Blut Christi ausgeteilt werden und dass die Lob-, Dank- und Verehrungslieder genau dies singend aussagen.« (115) – Abschließend fällt ein Blick auf das Verhältnis von Liturgischer Theologie ( theologia prima) und Theologie der Liturgie (theologia secunda). Liturgische Theologie beschreibt laut dem Vf. das, was sich im Gottesdienst zwischen Gott und Mensch geistlich ereignet. Theologie der Liturgie wagt dagegen den Versuch – von Schrift und Bekenntnis, dogmatischen, anthropologischen und kulturwissenschaftlichen Einsichten ausgehend –, Praktiken des Gottesdienstes zu korrigieren und damit auch ein stückweit normativ zu sein. Demnach sagt die erste Theologie, wie Liturgie ist und die zweite, wie sie sein soll (157).
Das Buch schließt mit einer Beschreibung des Gottesdienstes im reformatorischen Sinn (CA V): Indem »Menschen Liturgie feiern, vertrauen und hoffen sie darauf, dass Gott in, mit und unter dieser Feier wirkt. Sie können und wollen um Gottes Wirken beten – aber Gottes Wirken bleibt ihnen unverfügbar. Er­eignet es sich, zeigt die Liturgie ihren Eigensinn und ihr Eigenleben.« (158)