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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

285–287

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hilpert, Konrad [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christliche Ethik im Porträt. Leben und Werk bedeutender Moraltheologen

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2012. 901 S. m. Abb. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-451-34114-4.

Rezensent:

Frank Mathwig

Der Sammelband über »Leben und Werk bedeutender Moraltheologen« schreitet auf 900 Seiten 2000 Jahre katholische Theologie- und Kirchengeschichte ab. Angesichts des Fehlens einer aktuellen historischen Darstellung der katholischen Moraltheologie stellt der vorliegende Band den Versuch dar, »die Geschichte der Christlichen Ethik exemplarisch anhand herausragender Vertreter zu erschließen« (10). Die Beiträge des Bandes verfolgen ein theologisch-wissenschaftliches Interesse.
Das Kompendium beginnt mit dem Apostel Paulus und endet mit Richard A. McCormack. Die Theologenauswahl orientiert sich einerseits an deren Erwähnung »in den Handbüchern der katholischen Moraltheologie […] als grundlegend und stilbildend« und andererseits an »ihrer tatsächlichen Bedeutung und ihrer Wirkung« sowie der »systematische[n] Kraft, Originalität« (10) für die theologisch-kirchliche Nachwelt. Die 32 katholischen Theologen plus Paulus werden in einzelnen Kapiteln porträtiert und ihr ethisches Werk dargestellt und kommentiert. Der Titel überspielt, was der Untertitel nahelegt: Es geht um katholische Moraltheologie, »wenn ›christlich‹ in diesem Buch in seiner katholischen Version interpretiert und vorausgesetzt wird« (11). Die Vorentscheidung, grundsätzlich nur verstorbene Personen aufzunehmen, führt de facto zur Absenz theologischer Ethikerinnen. Wenngleich ungefähr ein Drittel der Beiträge Theologen gewidmet ist, die im oder in das 20. Jh. hinein gewirkt haben, handelt es sich um eine Ethikgeschichte und nicht um eine aktuelle systematische Standortbestimmung. Der geistes- und kulturgeschichtliche Horizont beschränkt sich für die Neuzeit – mit zwei Ausnahmen – auf deutschsprachige Theologen. Der Band komplettiert damit – als eine Art Fundament – die 2007 und 2009 erschienenen Bände des Herausgebers »Theologische Ethik – autobiographisch« mit 19 Selbstdarstellungen zeitgenössischer katholischer Theologen aus dem deutschsprachigen Raum.
Die Beiträge weisen eine weitgehend einheitliche Struktur auf. Auf einen überblicksartigen Einstieg zu Leben und Werk folgen systematisch-theologische Abschnitte zum theologisch-ethischen Denken der behandelten Person. Diese Hauptteile unterscheiden sich im Blick auf Länge, Differenziertheit, einen stärker historischen oder systematisch-theologischen Zugang. Bis auf einen Beitrag bieten alle Porträts einen kurzen Blick in die Wirkungsgeschichte. Die Kapitel schließen mit einer ausführlicheren Bibliographie, aufgeteilt in Angaben zum Werk und Sekundärliteratur.
Eine kritische Würdigung der einzelnen Beiträge würde den Rahmen einer Rezension sprengen. Dagegen scheinen einige Be­merkungen zur Konzeption des Bandes angebracht. Das Genre theologischer Profile ist resp. war eine verbreitete Darstellungsform in der Kirchen- und Theologiegeschichte, so etwa in ökumenischer Sicht die von Martin Greschat herausgegebenen Gestalten der Kirchengeschichte in 14 Bänden, die zweibändige, von Stephan H. Pfürtner et al. herausgegebene Ethik in der europäischen Ge­schichte oder der von Wolfgang Lienemann et al. herausgegebene Band Schweizer Ethiker im 20. Jahrhundert. Hinzu kommen zahlreiche Publikationen mit unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung aus konfessioneller Perspektive. In diesem Rahmen bieten die Kapitel des vorliegenden Bandes lesenswerte und informative lexikalische Beiträge von unterschiedlicher systematischer Differenziertheit und Aktualität.
Das Buchprojekt versteht sich selbst nicht nur als biographisch-moralgeschichtliches Kompendium. Der Herausgeber hebt im Vorwort als »wichtigsten Ertrag« des Buchprojekts die Herausarbeitung der »wirkungsgeschichtliche[n] Bedeutung und Prägung« (13) der Porträtierten hervor und ergänzt: »Die Darstellungen […] gewinnen […] unter dieser Hinsicht erst ihre eigentliche Bedeutung.« (Ebd.) Dieser Zielsetzung kommen die Autoren mit unterschiedlicher Stringenz nach. Entscheidender ist aber die Frage, ob historisch-theologische Porträts ein geeignetes Mittel für die Um­setzung des konzeptionellen Anliegens darstellen.
Die Schwierigkeiten beginnen bei der Orientierung der Auswahlkriterien an der theologischen Tradition. Wenn als wichtig gilt, was die Tradition für relevant gehalten hat, sind kaum Neubewertungen und -kontextualisierungen zu erwarten. Denn wenn die Bedeutung eines moraltheologischen Beitrags für die Ethikgeschichte (und die gegenwärtige Moraltheologie) an Personen festgemacht wird (die für ein spezifisches moraltheologisches Programm stehen), dann fallen die Grundentscheidungen bereits bei der Auswahl der Porträtierten (die grundsätzlich von der Tradition vorgegeben ist). Die im zweiten Auswahlschritt vorgenommene kritische Gegenprobe dieser Vorgaben an der kirchlichen und theologischen Realität nimmt dagegen bereits das vorweg, was – gemäß dem Vorwort – Thema des Buches sein sollte: eine kritische Re-Lektüre theologisch-ethischer Konzepte aus der Geschichte im Blick auf ihre aktuelle Relevanz bzw. ihre Bedeutung für die Ausprägungen und Eigenarten gegenwärtiger theologisch-ethischer Diskurse.
Hinzu kommt ein zweites Problem. Die historisch richtige Beobachtung, dass theologische Ethik lange Zeit weitestgehend konfessionell-abgeschottet betrieben wurde, ist kein Argument dafür, eine Aktualitätsprüfung nach den gleichen Spielregeln vorzunehmen. Theologische Aktualitätsansprüche müssen sich – nicht erst heute – an der Realität der Ökumenizität ethischer Diskurse – im kirchlichen Binnenraum und erst recht im Rahmen der weit ausdifferenzierten Bereichsethiken – orientieren und bewähren. Die ausschließliche Konzentration auf die katholische Moraltheologie begründet der Herausgeber damit: »Eine auch nur exemplarische Berücksichtigung der Ethik der Reformatoren und der Protestantismen hätte angesichts ihrer Produktivität und ihres Eigenprofils den Band sprengen müssen.« (11) Das ist plausibel und angesichts der Materialfülle nachvollziehbar. Daraus folgt aber nicht, sich bei der Darstellung der ausgewählten Theologen auf den theologisch-konfessionellen Binnenraum zu beschränken. Le­diglich zwei Beiträge greifen explizit auf Literatur protestantischer Provenienz zurück (zu Ockham auf Volker Leppin und zu Böckle auf Wolfgang Nethöfel), ohne die ökumenische Bedeutung beider katholischen Theologen herauszuarbeiten. Daraus resultiert eine den Porträtierten nicht angemessene Beschränkung ihrer Wirkungen.
Die These, dass im ökumenischen Dialog unüberwindbar er­scheinende dogmatisch-ekklesiologische Hürden im ethischen Diskurs übersprungen werden können, wird breit und kontrovers diskutiert (von katholischer Seite aktuell etwa die Positionen von Kurt Kardinal Koch und Hanspeter Schmitt). Ein wirkungsgeschichtlich ausgerichtetes moraltheologisches Kompendium hat nicht die Aufgabe, diesen Streit zu schlichten. Aber das Projekt hätte die Beiträge in diesen Diskurshorizont rücken und die spannende Diskussion mit historisch-theologischen Einsichten bereichern können. Das entspräche nicht zuletzt den konstruktiven Impulsen aus dem Paulusporträt am Anfang des Bandes, die die Theologie des Apostels weder konfessionell einengen noch mit seiner Sexualmoral und seiner Haltung zur Stellung der Frau in der Gemeinde »zwei neuralgische Einzelpunkte« (39) seines Denkens (und der theologisch-kirchlichen Adaption) unterschlagen.