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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

261–264

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Knaup, Marcus

Titel/Untertitel:

Leib und Seele oder mind and brain? Zu einem Paradigmenwechsel im Menschenbild der Moderne

Verlag:

Freiburg u. a.: Karl Alber Verlag 2013. 664 S. m. Abb. = Alber Studienausgabe. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-495-48626-9.

Rezensent:

Andreas Klein

Das Werk von Marcus Knaup, das 2011 als Inauguraldissertation an der Philosophischen Fakultät Freiburg i. Br. angenommen wurde, reiht sich in die beinahe unüberschaubare Literatur zum Leib-Seele-Problem und zur Willensfreiheitsdebatte ein. Schon dieser Gesichtspunkt lässt die Frage aufkommen, ob aufgrund der ungeheuren Textproduktion zu diesen Themen, und das vorliegende Buch hat selbst deutlich über 600 Seiten, noch mit Neuerungen in den Debatten gerechnet werden darf, sind doch die diesbezüglichen Positionen längst bekannt und weitgehend bezogen. Neuere Publikationen zu diesen Themenschwerpunkten dürften es schwer haben, in dieser Theorielandschaft Fuß zu fassen. Davon ist auch das vorliegende Werk nicht ausgenommen. Zwar werden vom Vf. recht kampfeslustig und selbstbewusst »neue Denkwege« (219) in Aussicht gestellt, dieses Neuerungspathos wird allerdings dadurch konterkariert, dass hauptsächlich bereits bekannte und dem Vf. liebgewordene Traditionen reaktiviert werden. Dabei lässt sich bei der Lektüre feststellen, dass die einzelnen Kapitel unterschiedliche Qualität aufweisen, was wohl darauf zurückzuführen sein dürfte, dass der Vf. nicht in allen diesen Materien gleich beheimatet ist. Insbesondere das Willensfreiheitskapitel lässt hier doch zu wünschen übrig. Gewöhnungsbedürftig mag auch die Sprachgestalt des Werkes erscheinen, so dass über Strecken hinweg ein recht umgangssprachlicher Ton gewählt wurde, der gerne auch zu rhetorischen Verunglimpfungen und Abkanzelungen unliebsamer Positionen greift, während die eigenen und liebgewonnenen An­sätze glühend und leuchtend mit einem geradezu Selbstverständlichkeitsgestus herausgehoben werden. Diese sprachliche Diktion dürfte nicht jedem Leser liegen, zumal die derzeit verbreiteten Positionen ihrerseits ein enormes Reflexionsniveau aufweisen.
Das Buch ist in zwei »Gänge« gegliedert, wobei sich der erste Gang den Positionen des Leib-Seele-Problems zuwendet, während sich der zweite Gang mit Fragen der Gehirnforschung und den daraus resultierenden Folgediskursen, wozu dann auch die Willensfreiheitsdebatte zählt, beschäftigt. Der erste große Block widmet sich zunächst den großen Traditionen von Dualismus und Monismus (Physikalismus), wobei beiden letztlich ein negatives Urteil ausgestellt wird. Beide Theoriestränge seien nicht in der Lage, das Leib-Seele-Problem befriedigend zu lösen. Während der Dualismus (auf Plato wird hier nicht eingegangen, sondern es wird bei Descartes begonnen) letztlich das Leibliche als konstitutive Basis für mentale Prozesse unterschlägt, greifen sämtliche physikalistische Ansätze (auch Emergenz-, Identitäts- und Supervenienztheorien) darin zu kurz, als sie dem Physischen ontologische Primordialität zusprechen und somit das Gesamtphänomen des Lebendigen bzw. die »leib-seelische Einheit« untergraben. Demgegenüber empfiehlt der Vf. einen Rückgang auf Aristoteles und dessen Hylemorphismus (216 ff.). Es ist erstaunlich, welch breiten Raum bereits die ersten Kapitel einnehmen, bieten sie doch über weite Strecken deskriptiv Materialien, die andernorts längst ausführlich und zum Teil auch ausgewogener dargestellt sind. Demgegenüber wird man sich als mit diesen Diskussionen Vertrauter mit der vom Vf. vorgeschlagenen Lösung recht schwer tun, lassen doch auch die aristotelischen Bestimmungen die zentralen Fragen gerade unbeantwortet. Dieser Umstand dürfte dann auch dafür verantwortlich sein, dass die aristotelischen Distinktionen teilweise fast gebetsmühlenartig wiederholt werden. Jetzt solle es keine »Grabenkämpfe« (217) mehr geben, weil sich die Probleme in ein multiperspektivisches Einheitsmodell überführen ließen. Die Seele als formgebendes Prinzip und die Materie gehören komplementär zueinander (224), die Form (Seele) gibt der Materie Struktur. »Wo der Stoff ist, ist eben auch die Formkraft. Materie und Formkraft gibt es nicht losgelöst voneinander.« (225) Die Seele ist Ursache und Prinzip des Lebens (227). Gelegentlich, und das ist auch nicht überraschend, finden sich dann doch quasi-dualistische Formulierungen: »Ein toter Körper ist nicht (mehr) beseelt« (227), beim toten Körper fehlt die »Be­seeltheit« (228), »fehlt die Seele, gibt es keine Lebensvollzüge mehr« (ebd.). Man möchte ergänzen: Nach einer Reanimation kehrt die Seele offenbar wieder zurück. Aber wo war sie in der Zwischenzeit? Mittlerweile klassisch stellen sich diese Fragen etwa in bioethischen Debatten, also z. B. dann, wenn gefragt wird, was mit einer Seele geschieht, wenn es zu Mehrlingsbildungen kommt oder wenn totipotente Zellen entnommen werden, wenn doch die formgebende Seele bereits beim »Einzeller« (460) gegeben sein soll? In analoger Weise kann man diese Fragen bei der gesamten Stammesgeschichte aufwerfen, also gerade dort, wo es zu Übergängen in der Natur kommt. Die Seele jedenfalls, so der Vf., ist die »Fundamentalvoraussetzung für unsere Lebensvollzüge« (231). Gemäß aristotelischer Lehre ist auch der Vf. nicht abgeneigt, Tieren oder sogar Pflanzen eine Seele als formgebendes Prinzip zuzusprechen (z. B. 233); aber warum gibt es so etwas dann nicht schon auf rein physikalischer Ebene, was dann in Richtung eines Panpsychismus weisen würde, dem man gar nicht ablehnend gegenüberstehen muss? Die eigentlich spannenden ontologischen Fragen und Probleme werden aristotelisch »umschifft«.
Die anschließenden Kapitel drehen sich um die Gehirnforschung und die hieran anknüpfenden Folgefragen. Dazu wird zunächst eine Bestandsaufnahme über das aktuelle Wissen über die Funktionsweisen des Gehirns geboten, sodann eine Geschichte der Gehirnforschung nachgezeichnet, die durchaus auch kritische Stoßrichtungen verfolgt, etwa mit Blick auf das mittlerweile be­rühmte »Manifest« führender Gehirnforscher von 2004 oder die Rede von einer neuen narzisstischen Kränkung durch die Neurobiologie. Hieran schließen sich Überlegungen zu den Prämissen und Grenzen der Hirnforschung an, wobei vom Vf. dringend eine »Perspektivenvielfalt« (332 ff.) gefordert wird.
Ein weiteres Kapitel ist der »Wiederentdeckung des Leibes« (339ff.) gewidmet, womit eine ganzheitliche, nicht-reduktionistische Perspektive auf den Menschen verbunden sein soll, die sich stark an phänomenologische Gesichtspunkte (vor allem Edith Stein) anlehnt. Es geht also auch hier darum, über einen verkürzten reinen Körperbezug hinauszugehen und demgegenüber den Menschen als Leib und Leiblichkeit in den Blick zu bringen, was wiederum Beziehung und Bindung ermöglicht. »Der Leib ist nicht ohne die Seele und die Seele nicht ohne den Leib« (372). Das folgende Kapitel geht dann der Frage nach dem Bewusstsein nach, wobei auch hier zuerst unterschiedliche Modelle vorgestellt und kritisch befragt werden, bevor der Vf. neuerdings für eine Perspektivenvielfalt und den aristotelischen Hylemorphismus plädiert (425 f.), die alleine das Phänomen Bewusstsein erschöpfend behandeln können sollen. Denn die Erste-Person-Perspektive, also das Selbsterleben von Menschen, lässt sich »nicht in Gänze ausloten und objektivieren« (426). Im Anschluss hieran wird das mittlerweile gängige Mind-Brain-Denken (427 ff.), welches immer wieder auch bei bioethischen Fragen Platz greife (etwa bei der Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens: 453 ff.), kritisch aufs Korn genom men und demgegenüber neuerlich eine Ganzheitsperspektive aktualisiert. In dieser Perspektive bedeutet natürlich auch die Embryonen verbrauchende Stammzellforschung die Tötung von »Menschen« (459), da »schon der Einzeller eine lebendige Ganzheit darstellt« und insofern »geformt«, also beseelt ist (460). Denn »forma gibt es von Anbeginn an« (461). Am Lebensende wiederum wird auch das Hirntodkriterium einer Kritik unterzogen. Der gängig gewordenen Mind-Brain-Rhetorik werden letztlich Kategorienfehler attestiert.
Das abschließende Kapitel ist nun der Frage nach der Willensfreiheit gewidmet (leider ohne die äußerst ausführliche Monographie des Rezensenten zur Kenntnis genommen zu haben). Hier wird zunächst auf die bekannten Libet-Experimente und ihre Nachfolger kritisch eingegangen mit dem Ziel, neurobiologisch motivierte Einwände gegen Freiheit als nicht haltbar zu erweisen. Sodann wird der philosophischen Diskussion zwischen Inkompatibilisten und Kompatibilisten nachgegangen, mit dem zu erwartenden Ergebnis, dass der Vf. ein Freiheitsverständnis jenseits dieser Alternative anvisiert.
Hier werden aber leider einige holzschnittartige Gegenüberstellungen produziert, die gerade die zentralen Probleme vernachlässigen. Weder sind Kompatibilisten auf das »Credo eines vollständigen Determinismus« (541 f.) festgelegt noch Inkompatibi-listen auf das Konsequenzargument. Es ist auch nicht zutreffend, dass in der Diskussion häufig ein Bogen um die Problematik des Anders-Handeln-Könnens gemacht wird (542 f.), vielmehr gibt es reichlich Positionen, die diese Bedingung für Willensfreiheit überhaupt ablehnen. Ebenso unzutreffend und eigentlich unzumutbar ist, dass etwa bei der Position von Michael Pauen Menschen lediglich noch »Figuren in einem determinierten Welttheater« seien (560). Dass nun aber die Quantenphysik schon gegen einen »starren Determinismus« (563; was soll aber beim Determinismus »starr« sein?) spreche, bleibt völlig unausgewiesen, zumal deterministische Interpretationen der Quantenphysik gleich gänzlich verschwiegen werden.
Der Vf. teilt dann auch die Auffassung des Konsequenzarguments, dass man unter Heranziehung des »überaus abwegig[en]« Determinismus (»wir seien vollkommen determiniert«) eigentlich »gelebt wird«, was unserer Alltagserfahrung völlig widerspricht (564). Offenbar ist dem Vf. nicht klar, dass er sich damit selbst auf einen Inkompatibilismus festlegt, weil die Zurückweisung des Determinismus notwendig einen Indeterminismus impliziert (»Ein durchgängiger Determinismus leugnet, dass wir frei sind und unser Leben gestalten können«: 568). Nicht berücksichtigt wird außerdem, dass das Konsequenzargument von vielen Seiten erfolgreich angegriffen wurde. Folglich verwehrt sich der Vf. auch gegen eine gouvernementale, deterministische Interpretation der Naturgesetze und auch die alte Gründe-versus-Ursachen-Debatte wird kurzerhand zugunsten des Gründe-Sprachspiels entschieden. Die Frage freilich, wie dann aber Gründe, wenn sie keine Ursachen sein sollen, dennoch in der physischen Welt der Ursachen wirksam werden sollen, bleibt ausgespart. Nur weil wir unterschiedliche Sprachspiele verwenden (müssen), ist damit noch keine ontologische These präjudiziert. Es würde also gar nichts dagegen sprechen, einen Kompatibilismus zu vertreten, wenn man sich nicht schon zuvor – mit schwachen Argumenten – dagegen verwehrt hätte. Die »bedingte Freiheit« (585 ff.), die der Vf. als eigenes Fazit im Auge hat, hätte man auch mit weniger Kollateralschäden haben können.
Das vorliegende Buch hinterlässt insgesamt einen zwiespältigen Eindruck. Zum einen bietet der enorme Umfang des Werkes zahlreiche Überblicke über Positionen und Konzepte und zeigt damit die Komplexität der angesteuerten Fragestellungen an. Zum anderen ist die Zielrichtung von vornherein klar aufgestellt, was auch durch die Heranziehung zahlreicher Gewährsleute unterstrichen wird, die ihrerseits in den Debatten klare Abgrenzungsstrategien zu sonst verbreiteten Positionierungen einnehmen. Will man nicht schon gleich von einem Zitationskartell sprechen, so fallen aber doch deutliche und beabsichtigte Sympathien für ganz bestimmte Gruppierungen und Argumentationstypen auf, so dass das Werk sicherlich als Vorfeldstatement für eine klassische römisch-katholische Dogmatik dienen kann – und wird. Das kann man durchaus neutral bewerten, sollte sich dieses Umstands jedoch bewusst sein. Angesichts des doch eher hoch angesetzten Preises wird das ambitionierte Buch wohl eher in der scientific community verbleiben, dort aber wahrscheinlich auch mit Kritik zu rechnen haben.