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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

238–240

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lipps, Johannes, Machado, Carlos, and Philipp von Rummel[Eds.]

Titel/Untertitel:

The Sack of Rome in 410 AD. The Event, its Context and its Impact. Proceedings of the Conference Held at the German Archaeological Institute at Rome, 04 – 06 November 2010.

Verlag:

Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 2013. 456 S. m. 151 Abb. = Palilia, 28. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-89500-944-0.

Rezensent:

Konstantin M. Klein

Capitur urbs, quae totum cepit orbem – »die Stadt wird erobert, die selbst den ganzen Erdkreis unterjocht hat«, so beschreibt Hieronymus in seinem 127. Brief die Einnahme Roms am 24. August 410 durch Alarich und sein Heer – ein Ereignis, das der in dieser Zeit schon seit einem Vierteljahrhundert in Palästina lebende Kirchenvater zum dies ater stilisierte. Die zeitgenössischen Textquellen über die Einnahme der für uneinnehmbar gehaltenen Stadt sind wenig ergiebig und spätere Beschreibungen in ihrer Wertung ausgesprochen disparat. Dieser schwierige Befund der Textzeugnisse und der sich aus ihnen ergebenden narrativen Konstruktionen wurde jüngst in einem eher an ein breites Publikum gerichteten Band von M. Meier und S. Patzold dargestellt (August 410 – Ein Kampf um Rom, Stuttgart 2010). Einen anderen Ansatz verfolgt die hier vorliegende Publikation von 29 Beiträgen vor allem in italienischer, aber auch englischer, deutscher und französischer Sprache, die aus einer Konferenz am Deutschen Archäologischen Institut in Rom 2010 hervorgegangen ist. Erstmalig liegt nun eine erschöpfende Arbeit vor, die diejenige Quelle in den Vordergrund stellt, die (anders als die antiken Zeitgenossen oder ihre späteren Interpretatoren) tatsächlich »dabei gewesen« (17) sei, nämlich die urbs Roma selbst. Dadurch, dass der archäologische Befund in den Beiträgen niemals alleine präsentiert, sondern immer geschickt mit den Textquellen verbunden wird, gelang den drei Herausgebern eine Publikation, die für die Geschehnisse des Jahres 410 lange maßgeblich bleiben wird.
Der Band beginnt mit drei einleitenden Beiträgen, die sich mit dem Wechselspiel textlicher und archäologischer Überlieferung sowie den sich daraus ergebenden Fallstricken beschäftigen. Hierbei verdient vor allem P. von Rummels Beitrag besondere Beachtung, der sich mit der methodologischen Herausforderung auseinandersetzt, eine nur drei Tage andauernde Zerstörung im archäologischen Befund (17–33) greifbar zu machen. Dies könne, so von Rummel, (wenn überhaupt) nur aus einer Summe archäologischer Einzelbetrachtungen geschehen. Die restlichen Beiträge sind nun in drei Abteilungen (Context, Event, Impact) eingegliedert, von denen der erste nur drei Texte verzeichnet: A. Marcone untersucht den psychologischen Einfluss der Einnahme der für nicht eroberbar gehaltenen Stadt und setzt dies geschickt in Bezug zu anderen Katastrophen der römischen Geschichte, vor allem zur Schlacht von Adrianopel (43–48). C. Machado betreibt prosopographische Netzwerk-Studien zur urbanen Oberschicht (49–76) und zeigt auf, dass die Verbindungen zwischen stadtrömischer Aristokratie und kaiserlichem Hof durch die Ereignisse der Krisenzeit von 408–410 enger wurden. Dieser Beitrag bietet freilich Anknüpfungspunkte zu dem von E. Lo Cascio (411–421), der sich im dritten Abschnitt des Bandes mit der Bevölkerung Roms vor und nach 410 beschäftigt. M. Kulikowski schließlich diskutiert aus militärhistorischer Perspektive im ersten Abschnitt des Bandes die mangelhafte Verteidigung Roms (77–83).
Daran schließt sich der eigentliche Hauptteil der Publikation an, eine Reihe von Beiträgen, die einzelne Fundplätze innerhalb der Hauptstadt nach Spuren der Zerstörung des Jahres 410 untersuchen: Forum Romanum (J. Lipps, 103–122), Forum Iulium (A. Corsaro et. al., 123–136), Marsfeld und Trastevere (F. Filippi, 137–150), das Conversatorio di S. Pasquale Baylon in Trastevere (S. Fogagnolo, 151–161), der Befund von den Hügeln Caelius (C. Pavolini, 163–183), Aventin (P. Quaranta et al., 185–213; mit Anhängen zu einem Hortfund und den archäologischen Zeugnissen zu verlassenen Gebäuden nach 410), Esquilin und vom Lateran (P. Liverani, 277–292) sowie das Forum von Ostia (A. Gering, 215–233). Weitere Beiträge suchen nach Spuren in archäologischen Funden von Silbergeschirr und Schmuck (F. Baratte, 235–247) sowie im numismatischen Befund (A. Rovelli, 249–257). In gewisser Weise schließt sich hierbei auch S. Orlandis Aufsatz zu epigraphischen Spuren von Alarichs Zug durch Italien an, der sich im dritten Teil des Bandes findet (335–351, siehe unten), welcher mit »Impact« überschrieben ist.
In jenem Abschnitt argumentiert zunächst M. Salzman (295–310) überzeugend gegen die jüngst von A. Cameron (The last pagans of Rome, New York 2011) vorgetragene Ansicht, Heiden hätten im Rom des 5. Jh.s keine bedeutende Rolle mehr gespielt. Sie untersucht christliche Repliken auf heidnische Sichtweisen zum Jahr 410 (die freilich wiederum Konstrukte eines Augustinus oder Leos d. Großen sein mögen) einerseits und Zeugnisse heidnischer Historiker andererseits. Dabei wird aufgezeigt, wie nicht zuletzt auf der Folie des Falles Trojas die Einnahme Roms durch Alarich durchaus als heidnisch-göttliches Strafgericht gesehen wurde. Die daraus resultierenden Zweifel am sicheren Glauben, dass die erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit agierende dezidiert christliche Staatslenkung das Wohlergehen des Imperiums garantieren könne, meint Salzman gerade auch an den Reaktionen bei Augustinus bzw. bei Leo d. Großen ausmachen zu können, die ihre jeweiligen Gemeinden zur Glaubenstreue und zur Ausgrenzung von »Zweiflern« in der eigenen Gruppe animierten.
Nach M. Meiers Ausführungen über Orosius’ Interpretation der Ereignisse (311–322), die bereits an anderer Stelle auf Deutsch publiziert sind, schließt sich N. McLynns Beitrag über die seiner Meinung nach von der Forschung bislang zu simpel interpretierten Schilderungen bei Orosius und Hieronymus an (323–333). Auch hier findet sich die Bedeutung des Falles von Troja als tertium comparationis für die entsprechenden Passagen von Orosius’ Ge­schichtswerk, die sich mit den Goten befassen, und für deren Ausarbeitung McLynn die Jahre 417–18 ansetzt, eine Zeit, in der für Orosius die Goten bereits einen anderen Akkulturationsgrad besaßen als etwa Vandalen oder Alanen. McLynn weist nach, dass die Eroberung des Jahres 410 für Orosius relativ wenig Bedeutung hatte. In Hieronymus’ eindringlicher Beschwörung eines Katastrophenszenarios und in seinen häufigen Verweisen auf von ihm beherbergte Vertriebene aus Rom könne man, so McLynn, ein Bemühen des Autors um Patronage für den gerade in seiner Entstehung befindlichen Ezechielkommentar sehen.
S. Orlandi widmet sich den epigraphischen Zeugnissen von Alarichs Heer in Italien (335–351). Ausgehend von Parallelen in Inschriften der Landsknechte vom Sacco di Roma 1527 (»haben den Babst lauffen machen«) wird hier eine akkurate und sehr informative Sammlung ›barbarischer‹ Inschriften des frühen 5. Jh.s zusammengestellt, die dann im nächsten Zug mit dem Befund der durch das plündernde Heer zerstörten Inschriften bzw. deren Reparaturen kontrastiert wird. Gelungene Beiträge über das Erlöschen der Statuenkultur (353–363) und die sich verändernde materielle Kultur (365–402) runden den Band ab, der mit mehreren Gesamtschauen, die teils recht unterschiedliche Positionen einnehmen, schließt.
Eines der vielen Ergebnisse des Bandes findet sich schon anfangs im Beitrag von P. von Rummel (17–33): Eine großflächige, schwere Zerstörung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt archäologisch nicht fassbar. Dies bedeutet aber eben weder, dass die Zerstörung im Jahre 410 ein harmloses Ereignis war, noch dass die Archäologie bisher immer an den falschen Stellen gegraben hätte. Der Befund, der in diesem Band luzide präsentiert wird, vermag es, eine klare Antwort auf ein archäologisches Phänomen zu bieten, »eine Antwort, die nur dann enttäuschend ist, wenn man eine andere Antwort erwartet hätte« (26).