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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1533–1534

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Percy, Martyn

Titel/Untertitel:

Anglicanism. Confidence, Commitment and Communion.

Verlag:

Farnham: Ashgate Publishing 2013. 240 S. = Ashgate Contemporary Ecclesiology Series. Kart. £ 17,99. ISBN 978-1-4094-7036-6.

Rezensent:

Christian V. Witt

Leere Kirchen, überalterte Gemeindestruktur, schwindender Rück­halt in der Gesellschaft – derartige Beobachtungen lassen sich auch in der anglikanischen Kirche machen. Doch diese ist noch ganz anderen Herausforderungen ausgesetzt: Als Weltkirche, die mit ihrem Anspruch auf Katholizität soziokulturelle Heterogenität genauso aushalten muss wie frömmigkeitspraktische, beschäftigen sie scharf geführte Flügelkämpfe, die vor allem Themen wie die Frauenordination und den Umgang mit Homosexualität zum Gegenstand haben. Kurz: Der Anglikanismus, wie wir ihn heute kennen, ringt um sein Selbstverständnis und seinen Bestand.
Also höchste Zeit für Panik und reformerischen Aktionismus? Mitnichten, wie Martyn Percy, u. a. Leiter des Ripon College, Cuddeston, und des Oxford Ministry Course, in seinem hier anzuzeigenden Buch erklärt. In zwölf Essays, die sich seiner Vortragstätigkeit in Cuddeston verdanken und durch einen instruktiven Ein-leitungs- sowie einen bilanzierenden Abschlussteil (1–10.199–207) ge­rahmt werden, gewährt P. dem Außenstehenden unprätentiös, luzide und selbstironisch (z. B. 13.171 f.) Einblicke in die Diskurse innerhalb seiner Kirche; mit analytischem Scharfblick beschreibt er ihre gegenwärtigen Herausforderungen und Probleme, ohne dabei in Alarmismus zu verfallen, wie im Folgenden exemplarisch nachgezeichnet werden soll.
Bestimmten Säkularisierungsthesen und ihrem Versuch der Gegenwartsdiagnose setzt er seinen eigenen Befund zum Zeitgeist westlicher Gesellschaften entgegen (2–4.77–81) und erklärt so grundlegend: »Religion and faith are diversifying, not dying. This presents new challenges to faith groups. But it indicates a slightly out of controll liveliness, not an imminent death« (4). Entsprechend gelassen geht er mit der Situation seiner Kirche um, ohne allerdings deren Herausforderungsqualität zu verkennen. Deutlich wird dies am Beispiel seiner Einstellung gegenüber den inneranglikanischen Flügelkämpfen: »Anglican identity only begins to make proper sense when it is related to its mirror image or opposite number. No one wing or facet of the church can begin to be true without relation to its contrary expression« (14). Diversität und Pluralität so zum Kernbestand anglikanischer Identität erhebend, votiert er angesichts der Zerreißprobe der Weltkirche für einen respektvollen, kompromissbereiten und vor allem geduldigen Austausch der streitenden Parteien, denn »›Anglican un-decidability‹ […] may turn out to be one of the chief counter-cultural Anglican virtues […]. Inevitably, therefore, any consensus is a slow and painful moment to arrive at, and even when achieved, will usually involve a degree of provisionality and more open-endedness« (19). Konsequenterweise profiliert er somit »elas-ticity« als anglikanische Stärke (23).
Die Problemfelder, die »elasticity« gleichermaßen zu einer Tu­gend wie auch zu einer Überlebensstrategie werden lassen, verschweigt P. dem Leser genauso wenig (172 f.) wie die neue Dimen-sion der Schärfe, mit der die Streitigkeiten ausgetragen werden (175). Den inneranglikanischen Konfliktlinien durch zunehmende Atomisierung der weltkirchlichen Gemeinschaft Rechnung zu tragen, hält er für den falschen Weg: »In ecclesiological terms, if you have the choice between heresy and schism, choose heresy. You can correct the former; but it will always be difficult to ever heal the latter« (177). Streit und Aggression sind eben nicht grundsätzlich negativ, sondern Zeichen einer vitalen Pluralität, die es in christ-lichem Miteinander auszuhalten gelte (181 f.).
Nur so ist die anglikanische Gemeinschaft nach seinem Dafürhalten überhaupt in der Lage, den von Seiten des Zeitgeists und der Gesellschaft an sie herangetragenen Herausforderungen zu begegnen, zum Beispiel dem zunehmenden Geltungsverlust: Nicht zuletzt dem Vorwurf der unzeitgemäßen Privilegierung aufgrund enger Verbindungen mit dem in der Krone gipfelnden Establishment ausgesetzt (108–114), haben die Ortsgemeinden einen signifikanten Rückgang der gesellschaftlichen Nachfrage nach kirchlichen Riten und damit die Infragestellung ihrer Notwendigkeit zu verkraften (80–84). Doch auch diesbezüglich sieht P. »little cause for alarm« (85), sondern empfiehlt den Gemeindekirchen: »cultivate a relaxed awareness of the opportunities that surround us all […]. We do not live in a secular age: our era continues to be a time of ques-tions, exploration, wonder and awe« (87). Doch rät er zum Umdenken: »To be ›established‹ cannot be simply about history and privilege. I, as an Anglican in England, must continually earn (not just own) the right to be the Church for all people« (115).
Bei diesem kurzen Ein- und Überblick sei es belassen. Mit P.s – freilich nicht nur kirchen- und theologiehistorisch sehr voraussetzungsreichem – Buch liegt eine insgesamt anregende Positionsbestimmung eines anglikanischen Geistlichen vor, der als offenkundiger Vertreter des progressiven Flügels seiner Kirche gleichermaßen aufmerksam wie zuversichtlich auf die Gegenwart und vor allem die Zukunft des Anglikanismus blickt, wobei vielleicht schon die nähere Zukunft zeigen wird, ob er mit seiner Identitätskonstruktion auch in konservativen Kreisen durchdringt.