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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1517–1519

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Brüske, Gunda, u. Josef-Anton Willa

Titel/Untertitel:

Gedächtnis feiern – Gott verkünden. Liturgiewissenschaft.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2013. 390 S. = Studiengang Theologie, 7. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-290-20091-6.

Rezensent:

Alexander Deeg

Als siebten Band der Reihe »Studiengang Theologie« hat das Autorenteam (beide Mitarbeiter am [katholischen] Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz) ein Lehrbuch der Liturgiewissenschaft vorgelegt. Gemäß den Vorgaben der Reihe soll ein »fundierte[r] und zugleich gut verständliche[r] Einblick« in den Stand des Faches geboten werden (6); darüber hinaus sollen aber auch lebenspraktische Konsequenzen in den Blick kommen (vgl. 5). Es sei vorweg gesagt: Diesen Ansprüchen wird das vorgelegte Studienbuch in jeder Hinsicht gerecht und übertrifft sie.
Der Haupttitel des Buches »Gedächtnis feiern – Gott verkünden« gibt den liturgietheologischen Ansatz der Verfasser, der sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, gut wieder. Immer wieder wird das liturgische Geschehen in das anabatisch-katabatische (und mithin: diabatische) Wechselspiel von Anamnese, Epiklese und Verkündigung eingezeichnet. Es geht, so betonen die Verfasser mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, um das »Pascha-Myste-rium« (vgl. besonders 73–85) und damit um die Verschränkung der Zeiten im göttlichen Handeln und Gott-menschlichen Dialog.
Das Buch steht ganz in der Linie der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (in dessen 50. Jubiläumsjahr es erschienen ist). Die Liturgiekonstitution »Sacrosanctum Concilium« wird – wie auch andere Konzilsdokumente – regelmäßig zitiert und interpretiert. Nicht selten wird dabei in der geschichtlichen Darstellung eine Linie gezeichnet, die über die noch helle Zeit der Anfänge in der Alten Kirche über den Verfall im Mittelalter (und im Konzil von Trient) zur Erneuerung durch die Liturgische Bewegung und das Zweite Vatikanische Konzil führt. Diese ›Renaissance-Hermeneutik‹ in der Geschichtsdarstellung erinnert den evangelischen Leser an die Zeit der Reformation; sie ist sicherlich in vieler Hinsicht berechtigt (etwa in der Darstellung der Entwicklung der Osternacht, vgl. 327–329), könnte aber an einigen Punkten die Wahrnehmung und Wertschätzung des in den Jahrhunderten ›dazwischen‹ Erarbeiteten und Gefeierten (vgl. nur die musikalischen Leistungen des Mittelalters oder die liturgietheologischen Ansätze der Zeit der Aufklärung) zu stark in den Hintergrund treten lassen. Etwas bedauerlich ist, dass die Autoren die kritischen Diskurse zur Liturgiereform, wie sie sich etwa mit den Namen Lorenzer und Mosebach, öffentlichkeitswirksam aber auch mit den Piusbrüdern verbinden, nicht aufgenommen haben. Eine Vorstellung der Argumente und eine kritische Auseinandersetzung hätten m. E. noch mehr als das Verschweigen überzeugen können. Diese Auseinandersetzung findet sich allerdings durchaus angesichts gegenwärti ger Entwicklungen wie der Wiederzulassung der vorkonziliaren Liturgie als »außerordentliche Form« durch Benedikt XVI. (2007; vgl. 22) oder der in diesem Zusammenhang 2008 erfolgten Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte (vgl. 326).
Auf der Linie des Konzils liegt auch der ökumenische Ansatz des Buches. Auch wenn die katholische Liturgie selbstverständlich den Ausgangspunkt bildet, werden orthodoxe, anglikanische, christ-katholische und evangelische Feierformen selbstverständlich und begleitend mit einbezogen. Auffallend ist auch die recht umfassende Verwendung von Literatur aus dem evangelischen Kontext (von Peter Brunner über Karl-Heinrich Bieritz und Jürgen Moltmann bis hin zu Kristian Fechtner, Eva Harasta, Ralph Kunz, Michael Meyer-Blanck u. v. a.), die dem heutigen Stand ›ökumenischer Liturgiewissenschaft‹ entspricht.
Das Lehrbuch ist in acht Hauptkapitel gegliedert und insgesamt äußerst übersichtlich gestaltet, wozu die Unterscheidung von Haupttext und Petit-Absätzen, sparsame Fußnoten, hilfreiche Skizzen und Tabellen und der überaus freundliche Seitenspiegel beitragen. Das Buch setzt ein mit einem ersten Kapitel der »Einführung« zu »Begriffe[n], Themen, Quellen« (11–27), in dem bereits die Pointe des Wechselspiels von Liturgietheologie und Liturgiepraxis, von < /span>lex credendi und lex orandi, von Sakrament und Liturgie betont wird. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit anthropologischen Grundlagen liturgischer Feier (28–71) und beginnt – wie auch die meisten anderen Hauptkapitel – mit der Schilderung und vorsichtigen Deutung einer konkreten Feiergestalt (hier: einer Palmsonntagsprozession). Im Wechselspiel von »Spiel«, »Fest« und »Ritual« werden »Grundformen liturgischen Handelns« vorgestellt, wobei auffällt, dass die Dimension des Rituals angesichts der gewaltigen Bedeutung der ritual studies in den vergangenen Jahrzehnten nur sehr knapp besprochen wird (vgl. 36–38). Im Folgenden werden Überlegungen zum Leib, zu Symbol und Zeichen und zum Wort-Handeln vorgestellt, und immer wieder gelingt es, neben der Information über grundlegende liturgiewissenschaftliche Einsichten Anregungen zur Reflexion, ja Meditation für die Lesenden aufzunehmen. Dazu tragen oft auch der Sprachstil und die Qualität einzelner Formulierungen bei (vgl. nur: »Die Stille ist nicht Leere, sondern Raum, in dem der liturgische Dialog zwischen Gott und den Menschen persönlich werden kann«, 55).
Das dritte Kapitel stellt die Theologie der Liturgie im Ausgang von dem Begriff »Pascha-Mysterium« vor (72–104). Besonders hier wird ein weiteres Charakteristikum dieses Buches deutlich: Große Fragen werden immer wieder mit praktischen Beobachtungen verbunden, wodurch sich nicht nur die Anschaulichkeit erhöht, sondern auch das Wechselspiel von Feiergestalt und Theologie konkreten Ausdruck gewinnt. Nur gelegentlich begegnen Sätze, die vielleicht doch etwas zu groß und abstrakt erscheinen (vgl. nur z. B.: »Die Voraussetzung dafür [für die Präsenz im Präsens, A. D.] ist, dass der, der die Grenzen der Zeit gesprengt hat und einfachhin ist, das liturgische Zeichenhandeln zum Gefäss seiner Gegenwart macht und sich selbst im Medium menschlichen Handelns kommuniziert«, 80). Für eine ökumenische Liturgiewissenschaft hervorgehoben sei die Verbindung des Diskurses um das Weihepriestertum mit der reformatorischen Wendung extra nos (vgl. 98 f.) – nur ein Beispiel für zahlreiche anregende Entdeckungen, die sich in diesem Kapitel machen lassen.
Im vierten Kapitel werden die Verkündigung und Feier des Wortes Gottes zum Gegenstand (105–141) – und gerade die Verknüpfung dieser beiden Aspekte erweist sich als weiterführend. Darstellung und kritische Diskussion verbinden sich etwa bei den Ausführungen zur Leseordnung der Messe (118–127; mit – nicht immer ganz präzisen – Seitenblicken zur gegenwärtigen Perikopendiskussion in den evangelischen Kirchen).
Mit diesen vier Kapiteln sind die Grundlagen erarbeitet, und es folgen zunächst in drei Kapiteln Darstellungen einzelner Feierformen, ihrer Geschichte, Theologie und Gegenwart: Taufe (142–205; unter Einbezug von Firmung und Buße als Feierformen auf dem Taufweg), Eucharistie (206–274) und Stundengebet (275–299), bevor das achte und letzte Kapitel auf das Kirchenjahr blickt (300–365). Überall finden die Leserinnen und Leser kundige Informationen, anregende Diskussionen (etwa zur Kindertaufe, vgl. 178–189) und überzeugende Hinweise zur praktischen Gestaltung (vgl. nur die liturgiepraktischen Hinweise zur Ausführung des Hochgebets, 256).
Abschließend noch drei Desiderate: 1. Trotz der Tatsache, dass der Mitautor Josef-Anton Willa sich vor allem mit gottesdienstlicher Musik beschäftigt, kommen die Klanggestalt des Gottesdienstes und die Bedeutung des Singens und Musizierens im Gottesdienst nur sehr knapp vor. 2. Es fällt auf, dass empirische Einsichten zum Gottesdienst nur selten aufgenommen und diskutiert werden, obgleich diese die liturgiewissenschaftliche Forschung in den vergangenen Jahren (freilich im evangelischen Kontext mehr als im katholischen) erheblich geprägt haben. Eine (kritische!) Integration dieser Dimension über das bereits Geleistete hinaus könnte sich als durchaus anregend erweisen. 3. Das letzte Desiderat ist rein formal: Bei einer möglichen zweiten Auflage wäre die Hinzufügung eines Personen- und Sachregisters sicherlich noch eine Hilfe zur Erschließung des Lehrbuchs.
Insgesamt liegt ein herausragendes Studienbuch vor. Übersichtlich und präzise, auf dem neuesten Stand der Diskussion und hervorragend lesbar präsentieren die Autoren Grundwissen der Liturgiewissenschaft, erörtern konkrete Feiergestalten und weisen auf gegenwärtige Herausforderungen hin. Es liegt ein Lehrbuch vor, das weit mehr sein kann als nur Vermittlung von Grundwissen und wissenschaftliches Update: es kann neue Lust wecken, das »Gedächtnis zu feiern«.