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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1453–1455

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Becker, Matthias

Titel/Untertitel:

Eunapios aus Sardes. Biographien über Philosophen und Sophisten. Einleitung, Übersetzung, Kommentar.

Verlag:

Stuttgart: Franz Steiner 2013. 667 S. = Roma Aeterna, 1. Geb. EUR 82,00. ISBN 978-3-515-10303-9.

Rezensent:

Martin Hose

Seit mehr als einem Jahrzehnt hat sich die Forschung zur griechischen ›paganen‹ Literatur der Spätantike erfreulich intensiviert. Ausgehend von einem neuen Verständnis der sogenannten 2.So­phistik und der griechisch-römischen Kultur des 2. Jh.s greifen immer mehr Arbeiten auf Texte und Problemstellungen des 4. und 5. Jh.s (nun als »3. Sophistik« bezeichnet) zu und ergänzen Erkenntnisse, die die patristische Forschung zu dieser Epoche erarbeitet hat. Die anzuzeigende Arbeit gilt einem besonders lohnenden Ge­genstand, der Biographiensammlung (Vitae philosophorum et so­phistarum = VPS) des Eunapios (wohl 347 bis nach 414). Dieser Text, der in der Tradition der Sophisten-Viten des Philostratos Lebensbeschreibungen von insgesamt 24 Philosophen, Sophisten und ›Iatrosophisten‹ vermittelt, ist in mehrfacher Hinsicht von hohem Interesse. Zum einen enthält er wichtige Informationen zum paganen höheren Schulbetrieb im 4. Jh. und insbesondere zu den Netzwerken von Philosophie und Rhetorik, zum anderen enthält er expli-zite Polemiken gegen die sich etablierende christliche Kultur und staatliche Macht. Und schließlich entwirft sich in den Biographien eine pagane Hagiographie, die sich – in einem von Averil Cameron pointiert als »war of biography« bezeichneten Verhältnis – von der entsprechenden christlichen Gattung absetzt.
Dieses Buch von Matthias Becker ist ein bedeutender Beitrag zur Erschließung dieses Textes. Es enthält zunächst eine Einleitung, die einen (eher additiven, die Beiträge einzeln besprechenden) Forschungsüberblick gibt, an dessen Ende (24 f.) B. pointiert sein Verständnis dieser Sammelbiographie formuliert: Sie sei ein Zeugnis paganer Hagiographie, die sich sowohl von christlichen Heiligenviten abhebe wie auch die Tradition der kaiserzeitlichen Philosophenviten fortsetze und zugleich ein an der Figur des Sokrates orientiertes Modell eines philosophischen Intellektuellen entwerfe. Sodann referiert B. knapp, was über Eunaps Leben und Wirken ermittelbar ist. Hierbei geht er eigens auf dessen medizinische Interessen ein (29: hier, wie auch später im Kommentar bei der Einführung der Iatrosophisten [519 f.], wäre eine eingehendere Erläuterung der Bedeutung der Medizin für die 2. u. 3. Sophistik hilfreich gewesen, s. etwa K. Luchner, Philiatroi 2004). Ausführlicher be­spricht B. den Text selbst: Er erörtert die Datierung, die Frage nach mündlichen und schriftlichen Quellen, Anlass der Abfassung und Adressatenkreis. Instruktiv sind B.s Ausführungen über pagane Intellektuelle, die Eunap in den VPS nicht behandelt, also mutmaßlich ignoriert wie Themistios oder Hypatia. Er kann dieses Verschweigen mit je unterschiedlichen Gründen plausibel machen (36–38: B. geht, wenn ich recht sehe, hierbei nicht auf die angesichts der unausgeglichenen Proportionen der jeweiligen Behandlung merkwürdig gesucht erscheinende Zahl von gerade 24 Biographien ein, die die VPS enthalten. Soll hier eine verdoppelte Anzahl paganer ›Apostel‹ präsentiert werden, oder ist es eine Reminiszenz an die Buchzahl der homerischen Epen?). Hieran anschließend erläutert B. die Gattungstradition, in die sich die VPS einschreiben, wobei er Eunaps Bemühen herausarbeitet, durch die Kollektivbiographie der Bedrohung der paganen Kultur durch das Christentum zu begegnen. Besonders lesenswert sind B.s Ausführungen zur Periodisierung der Philosophiegeschichte, die sich in den VPS niederschlägt (41–48): B. zeigt, dass Eunap drei Blütezeiten unterscheidet (und die dritte in seiner eigenen Zeit ansetzt, hiermit wiederum implizit gegen das Christentum polemisierend), dabei aber die hellenistische Philosophie ausblendet. Instruktiv ist der folgende Ab­schnitt »Die Geographie hellenischer Intellektualität« (48–51), in dem B. den geographischen Horizont umreißt, der sich in den VPS darstellt: Der Osten des Reiches, der sich in verschiedene, miteinander rivalisierende ›Landsmannschaften‹ teilt, scheint bei Eunap die pagane Kultur zu bewahren, der Westen und insbesondere Rom fallen dagegen ab – B. erkennt hier zu Recht die Wahrnehmung Eunaps, dass das Reich auch kulturell in eine Ost- und eine Westhälfte zerfällt.
Zentral für B.s Gesamtverständnis des Textes ist der folgende größere Abschnitt, der die VPS als pagane Hagiographie erläutert (51–77). B. erklärt zunächst diesen Begriff (51–57: hier instruktiv 56 f., wo B. die inhaltlichen Merkmale dieses Genres, die Van Uytfanghe herausgearbeitet hatte, in den VPS nachweist). Darauf bemüht sich B., die spezifische Technik des Eunap als Bemühen zu erweisen, ›literarische Ikonen‹ zu entwerfen (er führt hier eine Formulierung von Cox Miller weiter, die von Eunap ›icons of Neoplatonic holiness‹ gezeichnet sieht). Zu Recht zieht er dafür Aussagen des Textes (16.16–21 [hier wie im Folgenden zitiere ich wie auch B. Eunap nach Seite und Zeile von Giangrandes Ausgabe (1956)]) heran und verweist auf den locus classicus des Vergleichs von Biographie und Porträt, Plutarch, Alexander 1,3. Die Einstufung der Eunapischen Biographien nicht als Porträts, sondern als Ikonen rechtfertigt B. mit drei Eigenheiten des Textes, die ihn funktional Ikonen gleichstellen: die Bewahrung der Erinnerung, die ›divinisierende Stilisierung‹ des Dargestellten und die religiöse Verehrung, die der Autor seinem Gegenstand zuteilwerden lässt und von seinen Lesern fordert (61 f.). Das ist ein zweifellos interessanter Ansatz, der jedoch in seinem dritten Kriterium mit einer Verfasserhaltung operieren muss, die methodisch nicht leicht zu begründen ist. Wertvoll für das Gesamtverständnis der VPS ist schließlich B.s Analyse der Auseinandersetzung des Textes mit dem Christentum (68–77), die sowohl die explizite wie auch die implizite Polemik herausarbeitet.
Den Hauptteil des Buches bilden Übersetzung (78–143) und Kommentar (144–569). Die Übersetzung ist herkunftssprachenorientiert. B. bemüht sich um eine genaue Wiedergabe des griechischen Textes (den er in der Herstellung von Giangrande zugrundelegt), allerdings misslingen bisweilen Formulierungen (e. g.: 8.6 »unsägliche Geheimnisse« statt ›unsagbare‹; 14.20 »schlüpfriges […] Verfahren« statt ›unsicher‹, ›schwankend‹; 42.13 [über Kaiser Julian] »der in seiner jungen Haut bereits ein alter Mann war« statt wörtlich: ›im jungen Mann steckte ein alter, erfahrener Mann‹ usw.). An einigen Stellen ›modernisiert‹ B. seine Übersetzung zielsprachlich stark: 49.21f. »Er versuchte, alle Mitglieder des Kaiserhofs von ihrem hohen Ross herunterzuholen und wieder auf ein philosophischeres Niveau zu bringen.« 54.18 f. übersetzt B. Eunaps Interpretation der Exzesse, derer sich Festus schuldig macht: »indem er der wahnsinnigen Sau, die in seiner Seele hauste, freien Lauf ließ.« Eunaps Bezug auf die platonische Seelenlehre (von B. im Kommentar angezeigt) geht hier völlig unter. B. verzichtet an einigen Stellen auf Giangrandes Ergänzungen des griechischen Textes (so 48.10; 51.14), an denen man darüber streiten kann, ob damit der Text nicht unverständlich bleibt.
Der Kommentar kann hier nicht eingehend gewürdigt werden. B. hat große Mühe auf die Erklärung der philosophischen Momente des Textes verwendet und gibt insbesondere hilfreiche prosopographische Hinweise. Hier liegen zweifellos die Stärken der Kommentierung. Weniger intensiv ist die literarische und kulturhistorische Seite des Textes erschlossen. Im Erkennen intertextueller Referenzen gelangt B. selten über Giangrandes (freilich guten) Similien-Apparat hinaus. Kulturhistorisch ist noch manches zu entdecken. So wäre zu den »schweren und spartanischen Fausthieben« (60.12) viel Material bei Jüthner, Philostratos. Über die Gymnastik 1909, 203 zu finden. Freilich wäre es vermessen, von diesem ersten ausführlicheren modernen Kommentar bereits eine ab­schließende Erklärung des Textes zu verlangen.
Zusammengefasst: B.s Arbeit hilft, Eunaps Biographiensammlung in ihrer Bedeutung zu verstehen. Dieses Buch ist mit Einleitung, Übersetzung und Kommentar wirklich wichtig.