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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1322–1324

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Slenczka, Björn

Titel/Untertitel:

Das Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten von 1557. Protestantische Konfessionspolitik und Theologie im Zusammenhang des zweiten Wormser Religionsgespräches.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XVIII, 545 S. = Beiträge zur historischen Theologie, 155. Lw. EUR 109,00. ISBN 978-3-16-150100-5.

Rezensent:

Markus Wriedt

Diese bei Dorothea Wendebourg in Berlin entstandene Dissertation von Björn Slenczka widmet sich einem Trauma der evangelischen Theologie. Der letzte Versuch des Ausgleichs zwischen der sich nach dem Konzil von Trient etablierenden römisch-katholischen Kirche und den seit 1530 ihre eigene protestantische Identität entfaltenden evangelischen Landeskirchen scheiterte. Dies freilich nicht am Gegensatz zu Rom, sondern in erster Linie an den aufbrechenden Gegensätzen innerhalb des evangelischen Lagers. Die hochkarätig besetzten Delegationen Julius Pflug, Michael Helding und Petrus Canisius auf römischer Seite, Philipp Melanchthon, Johannes Brenz und Eberhard Schnepf auf evangelischer konnten den faktischen Bruch der sogenannten Augsburger Religionsverwandten, die seit dem Friedensschluss von 1555 unter dem Schutz des Reichsrechtes eine einvernehmliche Lösung ihrer Streitigkeiten finden sollten, nicht verhindern. Melanchthon, ohnehin von der dreimonatig verspäteten Nachricht vom Tode seiner Frau tief erschüttert, kehrte resigniert und gebrochen nach langem Verhandlungsmarathon nach Wittenberg zurück und sollte sich von der Niederlage nicht mehr erholen. Sein persönliches Schicksal erscheint symptomatisch für den weiteren Verlauf der innerevangelischen Entwicklungen mit ihren polemischen Verwerfungen und kontroverstheologischen Debatten. Die rabies theologorum hatte in Worms gesiegt.
S. analysiert in größtmöglicher Sorgfalt den Quellenbestand dieser Begebenheit unter der kategorialen Chiffre des Schismas. Dieses verortet er nicht im Bruch zwischen evangelischer und römischer Fraktion, sondern vielmehr innerhalb der evangelischen Bewegung, deren Einheit 1557 final zerbrochen ist. Dazu nimmt er zwar die ältere Forschung wahr, die freilich zum Teil mit quellenferner Terminologie und quellenfernen Vorentscheidungen ein Bild zeichnete, das es zu korrigieren gilt. Dazu greift er zunächst auf die Quellenterminologie zurück und betont den reichsrechtlichen Charakter der am Rande der Reichstage stattfindenden Religionsgespräche und der dadurch gebotenen Protokollpflicht. Sodann analysiert er die Versuche einer gemeinsamen konfessionspolitischen Positionierung der Augsburger Konfessionsverwandten, die neben der Abfassung eines gemeinsamen Textes auch die Probleme der Auswahl von Delegierten bzw. Deputierten des Religionskolloquiums beinhaltete. Die territorialen Unterschiede brechen auf, wenn man die Instruktionen der jeweiligen Landesherren für ihre Abgesandten näher anschaut. Es wird deutlich, dass die kursächsische Position insgesamt weitaus offener für Einigungen ist als etwa die im Frankfurter Konvent beschlossene Partikularverständigung. Deutlich wird auch, in welcher Weise die Autorität Melanchthons je nach landesherrlicher Sichtweise und entsprechender kirchlicher Tradition unterschiedlich wahr genommen wird. Schon die informellen Vorbereitungen in Worms dokumentieren die tiefen Verwerfungen und Brüche in­nerhalb des evangelischen Lagers. Mit dem Eintreffen Melanchthons und der kursächsischen Delegation nehmen diese Spannungen eher noch zu.
Die verzögerte Ankunft der kursächsischen Delegation und die unklare Zustimmung zum Frankfurter Abschied führten zu einer faktischen Sistierung des Regensburger Nebenabschieds. S. zeigt jedoch deutlich, dass diese Scheidungen nicht allein auf das Konto theologischer Wahrheitssuche gingen, sondern auch als Folge der »stände- und konfessionspolitisch aufgeladene[n] Sorge vor pfälzischer Dominanz nach Regensburger Muster« sowie der pfälzisch-sächsischen Rangstreitigkeiten eine erhebliche Rolle spielten. Während die ernestinische Fraktion der Gnesiolutheraner um den Ju-risten Basilus Monner und die Theologen Joachim Mörlin und Erasmus Sarcerius auf die buchstabengetreue Beibehaltung der Confessio Augustana, deren Apologie und der Schmalkaldischen Artikel sowie auf spezifizierte Verwerfungen drangen, stieß diese Haltung bei den sehr viel konsensbereiteren Württembergern um Eberhard Schnepf auf unversöhnlichen Widerstand. In den formellen Verhandlungen waren es dann unter kursächsischem Vorsitz vor allem die Gnesiolutheraner, die von den Württembergern Johannes Brenz und Valentin Andreä die Verwerfung des Osiandrismus und seiner Modifikation der Rechtfertigungslehre verlangten.
Insbesondere die sächsischen Differenzierungen zwischen Gnesiolutheranern und Philippisten lassen die vormals konsensoffene Position scheitern. Die kurpfälzische Delegation übernimmt den vormaligen Führungsanspruch des Mutterlandes der Reformation und versucht zu vermitteln. Das wiederum hat fatale reichspolitische Folgen. Die vereinbarte formula subscriptionis, die auf Initia-tive von Strigel vereinbart werden konnte, verschiebt freilich das Problem nur und scheitert letztlich am Einspruch von Johannes Brenz. In der direkten Konfrontation mit der römischen Delega-tion kommt es zum offenen Bruch zwischen Melanchthon und den Vertretern einer authentischen lutherischen Position am 20. September 1557. Mit dem Ausschluss der ernestinisch-gnesioluthe-rischen Fraktion von den Verhandlungen am 22. September war das Religionsgespräch ergebnislos vorbei.
In der Folge erhielt die römische Reformbewegung innerhalb Deutschlands – S. spricht hier von Gegenreformation (508) – erheblichen Aufwind und nutzte das Scheitern der protestantischen Einheit mit kontroverstheologischer Polemik weidlich aus. Dennoch: Die kaiserliche Reunionspolitik war gescheitert und unternahm keinen weiteren Einigungsversuch. Faktisch trägt die innerprotestantische Pluralisierung so zur intensiven Reflexion möglicher Mehrkonfessionalität auf Reichsebene bei, die aber erst nach den blutigen Auseinandersetzungen 1648 im Westfälischen Frieden in der Tri-Konfessionalität des Religions-Exercitiums zu einem rechtlichen Ab­schluss kam. Dieser war freilich durch die interimistischen Be­stim­mungen des Augsburger Friedensschlusses von 1555 präfiguriert.
Für den evangelischen Protestantismus ergab sich die Notwendigkeit interner Klärungsprozesse, die allerdings nur sehr vorläufig in der Konkordienformel von 1577 beendet wurden. In ihr sowie in dem 1580 verabschiedeten Konkordienbuch wird das manifeste Schisma von Worms überwunden.
Diese in sich schlüssige und gut nachvollziehbare Argumentation hilft zunächst, den Streit um die theologisch erkannte Wahrheit nach dem Tode Luthers und kurz vor dem Tode Melanchthons differenziert zu erfassen. In kirchenhistorischer Perspektive stellt S.s Buch zweifelsfrei eine wichtige Arbeit und einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der entstehenden konfessionellen Orthodoxie dar. Es dokumentiert, wie das Ideal einer Einheit im Glauben, die in der Einheit in dessen theologischer Reflexion kritisch begründet wird, als Maßstab konfessionell homogener Ge­sellschaften, Kulturen und Landeskirchen letztlich scheitern muss. Zugleich wird sichtbar, wie sehr die theologischen Streitigkeiten verflochten sind mit politischen, insbesondere reichsrechtlichen und -strategischen Positionierungen. Die Frage reformatorischer Wahrheitssuche wird zum Politikum. Ob und in welchem Maße damit Aspekte der Modernisierung, der Säkularisierung und der zunehmenden Trennung von kirchlich-theologischer und obrigkeitlich-rechtlich gelenkter Alltagsbewältigung berührt werden, thematisiert S. nicht.
Das wäre auch eine Überforderung der ohnehin voluminösen Untersuchung. Freilich muss sich diese in den Zusammenklang der Stimmen im Chor der Meistererzählungen einreihen. Und hier ist noch nicht ganz deutlich, welche Funktion die Kategorie des Schismas für den frühneuzeitlichen Pluralisierungsprozess hat. Handelt es sich bei den innerprotestantischen Streitigkeiten tatsächlich »nur« um notwendige und letztlich unvermeidbare Differenzierungen oder gibt es eine theologische unverzichtbare Einheit in der Wahrheit, die auch um den Preis weiterer Zersplitterung nicht aufgegeben werden darf? Damit berührt die Untersuchung ein hochaktuelles Thema theologischer Reflexionen der Gegenwart. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Scheidungen zunächst im deutschen Protestantismus, aber auch in der weltweiten evangelischen Chris­tenheit, wird es nötig sein, sich auf das Erbe der Reformation und ihre Bewältigung von Pluralisierungsprozessen zu besinnen. Ob die Geschichte als magistra vita freilich kirchenleitend wahrgenommen wird, steht auf einem anderen Blatt.