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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1235–1237

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schröder, Bernd, u. Michael Wermke [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion. Bestandsaufnahmen und Herausforderungen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 434 S. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-03209-9.

Rezensent:

Stefanie Pfister

Der von Bernd Schröder und Michael Wermke herausgegebene Band greift den aktuellen (religions-)pädagogischen Diskurs »In­klusion« unter Berücksichtigung der in der Bundesrepublik Deutschland typischen Schulformspezifik auf. So lassen die Herausgeber unter der Leitfrage »Was vermag die gegenwärtige Religionspädagogik über den Religionsunterricht im Spektrum der Schulformen zwischen Elementarbereich bzw. Grundschule und Berufsbildenden Schulen zu sagen?« (7) verschiedene Autoren in den beiden Teilen – »Schulformspezifische Religionsdidaktik« (Teil I) und »Religionsdidaktik für die inklusive Schule« (Teil II) – aus der je spezifischen Perspektive zu Wort kommen.
Im ersten Teil finden insgesamt neun Schulformen bzw. -stu-fen Berücksichtigung: der Elementarbereich (Rainer Möller), die Grundschule (Petra Freudenberger-Lötz), die Hauptschule bzw. der Hauptschulbildungsgang (Frank Michael Lütze), die (Erweiterte) Realschule (Hans Bald), die Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschule (Christine Lehmann, Martin Schmidt-Kortenbusch, Wilhelm Behrend und Michael Linke), das Gymnasium/Sekundarstufe I (Heike Lindner/Ulrike Baumann), die Gymnasiale Oberstufe (Peter Kliemann), die Berufsbildenden Schulen (Roland Biewald und Andreas Obermann) und die Förderschulen (Anita Müller-Friese). Hier überzeugen die Beiträge durch ihre Stringenz und den einheitlichen Aufbau der Kapitel: Zunächst werden die jeweilige Schulform und die Situation des Religionsunterrichts in ihr beschrieben. Anschließend werden soziokulturelle und anthropogene Voraussetzungen der Schüler und Charakteristika der Lehrenden genannt; es folgen schulformspezifische Entwicklungen der Religionsdidaktik, die Kooperationsmöglichkeiten mit außerschulischen Lernorten, weitere Institutionen spezifischer Schulformdidaktik und Herausforderungen der Praxis und der Theorie.
Wünschenswert – aber im Rahmen dieser Arbeit wohl nicht zu leisten – wäre jeweils ein historischer Abriss zu den jeweiligen Schulformen, da dadurch die gegenwärtigen Besonderheiten sowie Auflösungsprozesse einiger Schulformen (z. B. der Realschule) besser nachvollziehbar gewesen wären.
Im zweiten Teil stehen schulformübergreifende Beiträge im Vordergrund, welche »den Lesern den Ist-Zustand der Religionsdidaktik zwischen (herkömmlicher) Schulformgebundenheit und (zukünftiger) Inklusion« (13) sowie Desiderate, Herausforderungen und Chancen aufzeigen sollen. So stellt Michael Wermke im Kapitel »Schulpolitische Weichenstellungen in Deutschland – auf dem Weg zur Verbundschule« fest, dass der Religionsunterricht – nach Durchsetzung einiger schulpolitischer Modelle – nicht mehr zu den Fächern gehört, die schulformspezifisch und auf unterschied-lichen Anspruchsniveaus unterrichtet werden, so dass Heterogenität mittlerweile als ein Normalfall anzuerkennen ist. Erna Zonne-Gaetjens beschreibt in »Inklusion. Bildungspolitische Vorgabe und religionsdidaktische Herausforderung« die Situation von Regelschullehrkräften, die auf den unterschiedlichen Förderbedarf vorbereitet werden müssten, und, dass es »Nachholbedarf in der Religionspädagogik«, z.B. an geeigneten fachdidaktischen Studien, Lehrbüchern und Materialien für einen inklusiven Religionsunterricht gebe. Zu »Evangelische Schulen und Inklusion« arbeitet Martin Schreiner. Auch wenn Evangelische Schulen von ihrem theolo-gischen Selbstverständnis her grundlegend inklusiv sein sollten, seien auch hier zahlreiche Herausforderungen wie z. B. der Um­gang mit individueller Förderung, Zielgruppenorientierung, vorhan-dene Ressourcen konkret in den Blick zu nehmen und zu bewälti-gen. Gegen eine schulformspezifische Religionsunterrichts-Didaktik spricht sich Dietlind Fischer im Artikel »Wider eine schulformspezifische Religionsdidaktik – eine Polemik« aus, weil die Vielfalt der Schullandschaft – insbesondere im Sekundarschulbereich – eine adäquate Zuordnung einer je spezifischen Didaktik unmöglich mache. Auch die Differenzen zwischen Schulen einer Schulform seien so erheblich, dass sie dafür plädiert, dass nicht die Unterschiede zwischen den Schulformen, sondern »die Unterschiede zwischen Schülern […] die fachdidaktischen Konzepte prägen sollen« (300). Konkret und praxisnah beschreiben Saskia Flake und Mirjam Zimmermann bibeldidaktische Prinzipien für klassen- und schulformübergreifendes und inklusives Lernen (Innere Differenzierung, Individualisierung und Kooperation) sowie Aneignungsmöglichkeiten (basal-perzeptiv, konkret-handelnd, anschaulich-modellhaft, ab­strakt-begrifflich) in dem Artikel »Von schulformspezifischer zu inklusiver Bibeldidaktik – Unterrichtsprinzipien, Aneignungsformen, Anfragen«. Clauß Peter Sajak untersucht verschiedene Modelle und Konkretionen zum Interreligiösen Lernen im Hinblick auf ihr schulformspezifisches Potential in »Interreligiöses Lernen als schulformspezifische Herausforderung? Eine kritische Relecture religionsdidaktischer Konzeptionen« und hält fest, dass diese Modelle nicht schulformspezifisch, höchstens schulstufenbezogen, formuliert seien. David Käbisch stellt im Kapitel »Didaktik des Perspektivwechsels – Einheitsmoment religiöser Bildung in unterschiedlichen Schulformen?« die Frage, inwiefern »der Religionsunterricht die Fähigkeit zur Perspektivübernahme […] von der Grundschule an bis zum Ende der Schullaufbahn fördern kann« (352), wobei er den notwendigen Perspektivwechsel im engen Zusammenhang mit der Performativen Religionsdidaktik sieht. Bernd Schröder beschreibt die Besonderheiten einer Religionsdidaktik »im Umgang mit religiöser Pluralität außerhalb, aber eben auch innerhalb der Lerngruppe« (383), z. B. in gegenwärtig zunehmenden konfessionell- und religiös-heterogenen Lerngruppen, in »(Religiöse) Heterogenität und Binnendifferenzierung. Herausforderungen, Einsichten, Desiderate für den Religionsunterricht«. Thomas Heller untersucht in dem Kapitel »Schulformspezifik im Religionsschulbuch? Exemplarische Analysen« die schulformspezifische Konzeption verschiedener Religionsschulbücher.
Abschließend stellen Bernd Schröder und Michael Wermke zehn zusammenfassende Thesen zur Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion vor.
Insgesamt bietet dieser Band einen dezidierten Überblick zum Ist-Zustand einer Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion, weil bisher kaum von einer schulformorientierten religionspädagogischen Theoriebildung gesprochen werden kann, obwohl schon historisch gesehen Katechetik und Religionspäda-gogik weitgehend schulformspezifisch betrieben werden. Zudem besteht seit der Einführung des Begriffs Inklusion die Tendenz zur Auflösung von schulformspezifischen Besonderheiten sowie zur Infragestellung des konfessionellen Religionsunterrichts. Insofern evozieren die unterschiedlichen Perspektiven der Beiträge weitere Fragen und weisen auf die Notwendigkeit eingehender Forschung in den Bereichen »Inklusion«, »Schulartendidaktik« und Perspektiven eines konfessionellen Religionsunterrichts hin.