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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1164–1165

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Eckert, Michael, u. Harald Schwaetzer[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Cusanus: Ästhetik und Theologie.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2013. 181 S. = Studien und Texte zur Europäischen Geistesgeschichte. Reihe B, 5. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-402-15990-3.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Auf dieses Thema muss man erst einmal kommen. Nicht viele Cusanus-Forscher werden gleich Nikolaus von Kues mit dem Thema Ästhetik verbinden. Doch sei an seine Schrift De visione Dei erinnert, die sich ganz gewiss mit unserem Thema befasst. Wiederum: Was verstehen die Autoren des Bandes unter Ästhetik? Das wird kaum deutlich, auch wenn eingangs gesagt wird, dass Aussagen zur Kunst im Mittelalter nur funktionale Bedeutung im Rahmen des Schöpfungsverständnisses haben (5). Kann man den ja erst im 18. Jh. aufkommenden Begriff, der die Lehre von den Problemen des Schönen bzw. der Kunst beinhaltet, auf die cusanische Gedankenwelt anwenden? Ästhetik ist doch eher in der ost- als in der westkirchlichen Tradition bedacht worden.
Der Band enthält Tagungsbeiträge von Michael Eckert (Imagination des Unendlichen), William J. Hoye (Die Welt als Buch bei Nicolaus Cusanus), Harald Schwaetzer (Der Anspruch der Wahrheit bei Nikolaus von Kues), Elena Filippi (Durch die Sicht zur symbolischen Einsicht), Gianluca Cuozzo (Nikolaus von Kues und Lorenzo Lotto), Predrag Bukovec (Musik bei Nikolaus von Kues), Detlef Thiel (Das opake Bild und der diaphane Text) und Silvio Agosta (Der Ruf der schönen Harmonie). Dazu wird die Predigt CCXLIII zweisprachig abgedruckt. – Diese Themen zeigen, dass es in den Beiträgen durchaus nicht nur um die Probleme von Kunst und Schönheit geht.
Es wäre sicher sehr sinnvoll gewesen, hätte man an den Beginn des Bandes den Abdruck der Predigt CCXLIII gesetzt, die von Cant 4,7 ausgeht. In der Tat hat Nikolaus von Kues »neben dem Sermo Tota pulchra keinen zusammenhängenden ästhetischen Traktat verfasst« (149), wie Agosta in seinem Beitrag Giovanni Santinello zitiert. Allein dieser behandelt in seinem ersten Teil diesen Text. Hätte er nicht als Leitaufsatz (ohne die Ausführungen zu Petrarca) den anderen dienen sollen?
Eckert geht es darum aufzuzeigen, wie Nikolaus das Eine als das eigentlich Bestimmende dem Vielen als dem Unbestimmten Grenzen setzt (9), wobei die Mathematik »als Medium der Entrückung in geheimnisvolle Welten des Unendlichen« dient (12). Die abgebildete Ikone vom Pantokrator trägt wenig zum Verständnis bei, ist sie doch erst 60 Jahre später entstanden. Hoye macht deutlich, dass Nikolaus von Kues die Welt als Buch der Schöpfung versteht, dessen Autor Gott ist (22). Schwaetzer sagt, dass Nikolaus von Kues Gott als die Wahrheit versteht, sowohl als Subjekt alles Wahren als auch als Objekt des Intellekts; so ist »Wahrheit ein vom Intellekt erzeugtes in die bildhaft-transzendentale Erscheinung Treten des Begriffes und des ihn schauenden endlichen Subjektes« (43 f.). Aber ist das Ästhetik? Filippi betont, etwas kennen und erkennen heißt, »davon ein ›Bild‹ haben«. Da für Nikolaus thea (Sicht) von theos kommt, so wird für ihn Ästhetik zur Theologie (57 f.). Sie will das an einem Fresko in der Kirche zu Santa Guiliana verdeutlichen, doch da dies nicht abgebildet ist, kann sich der Leser kein eigenes Bild machen. Für Cuozzo ist das widergespiegelte Bild das Modell der Koinzidenz von Identischem und Nichtidentischem. Der Mensch kann sich nur selbst erkennen, »wenn er durch den vollkommenen Spiegel des Sohnes Gottes blickt« (75.77). Bukovec muss zugeben, dass Nikolaus von Kues sich kaum mit der Musik befasst hat, er habe ihr aber »eine gewisse Bedeutung beigemessen« (88). Thiel will De visione Dei gegenlesen und meint, dass das absolute Sehen Erschaffen ist. Nikolaus von Kues hat erklärt, man könne nur zur unbegreiflichen Wahrheit »durch eine unbegreifliche Einsicht, gleichsam auf dem Weg einer augenblicklichen Entrückung« ge­langen (120 f.). Wie erwähnt, behandelt allein Agosta das Thema Ästhetik bei Nikolaus von Kues (im Vergleich mit Petrarca) grundsätzlich. »Für Cusanus verweist die Schöpfung insgesamt auf den Schöpfer als Grund aller Dinge. Die Schönheit der proportionierten Ordnung(en) in der Schöpfung ist dabei manifestatio der Gloria Dei als Grund der harmonischen Vereinung des Vielen« (154). Bei Nikolaus von Kues ist Maria »Zeichen der höchsten geschöpflich-intellektualen Verähnlichung mit dem Einen« (160), aber Petrarcas Laura kann man wohl kaum mit der Mutter des Gottessohnes in Analogie setzen, wie es Agosta andeutet (172).
Den »Grenzfragen zwischen Ästhetik und Theologie im Denken des Nikolaus von Kues« war 2009 die Tagung gewidmet, deren Vorträge hier wiedergegeben sind. Dass sie alle wirklich weiterführend sind, muss bezweifelt werden. Manches bleibt verschwommen. Dass die Vergleiche mit Lorenzo Lotto oder Petrarca für das Verstehen des cusanischen Denkens hilfreich sein sollen, ist dem Rezensenten verborgen geblieben.