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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1148–1150

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Back, Frances

Titel/Untertitel:

Gott als Vater der Jünger im Johannesevangelium.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. X, 239 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 336. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-152262-8.

Rezensent:

Enno Edzard Popkes

Bei dieser Studie handelt es sich um die überarbeitete Fassung der Habilitationsschrift von Frances Back, mit der sie im Jahre 2009 an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen habilitiert wurde. Die Besprechung dieser Arbeit versetzt den Rezensenten in eine vielschichtige Situation: Einerseits ist es eine Freude, den wahrhaft gelungenen Abschluss eines langen wissenschaftlichen Qualifikationsweges würdigen zu dürfen. Andererseits stimmt es traurig, dass B. die Früchte dieses langen Weges nicht mehr genießen kann. Unmittelbar vor der Fertigstellung der Druckvorlage verstarb sie nach einem schweren Krebsleiden. Die letzten Korrekturen wurden von langjährigen Gefährten auf dem Weg der wissenschaftlichen Qualifikation vorgenommen.
Die Studie widmet sich einem religionshistorisch anspruchsvollen und theologisch relevanten Themenfeld, nämlich der Prädikation Gottes als Vater im vierten Evangelium. Der familienmetaphorisch geprägte Terminus ›Vater‹ begegnet im Johannesevan-gelium als Bezeichnung für Gott ungleich häufiger als in den synoptischen Evangelien (mehr als 100 Belege). Darüber hinaus lassen sich auch markante Differenzen zwischen den johanneischen und synoptischen Verwendungen dieser Terminologie beobachten. In den synoptischen Traditionen fungiert der Terminus ›Vater‹ zumeist dazu, das Verhältnis von Jesus und seinen Nachfolgern gegenüber Gott inklusiv zu umschreiben. Im vierten Evangelium wird mit diesem Begriff hingegen vor allem das exklusive Verhältnis Jesu zu seinem Vater charakterisiert. Das dialektische Verhältnis dieser Prädikationen tritt eindrücklich in Joh 20,17 zutage, wo beide Konzeptionen unmittelbar miteinander verschränkt werden. Entsprechend wählt B. diesen »Wendepunkt der Rede von Gott als Vater im Johannesevangelium« (1) als Ausgangs- und Zielpunkt, um herauszuarbeiten, in welcher Weise in der johanneischen Theologie Gott als Vater der Nachfolger Jesu dargestellt wird.
Der Aufbau der Studie ist klar strukturiert. Nachdem in der Einleitung (1–24) der Stand der Forschung, die methodischen Prämissen und der Aufbau der Studie erläutert werden, werden die thematisch relevanten Züge des vierten Evangeliums in vier Teilkapiteln exegetisch analysiert. Zunächst wird das in der ersten Abschiedsrede (Joh 13,31–14,31) beschriebene Verhältnis zwischen den Nachfolgern Jesu und Gott analysiert (Kapitel 1: 25–104), um daraufhin die entsprechenden Aussagen der Texteinheit Joh 16,4b–33 in die Diskussion einzubeziehen (Kapitel 2: 105–155). Anschließend wird herausgearbeitet, in welcher Weise in der Erzählung von der Begegnung des Auferstandenen mit Maria (Joh 20,11–18) das Motiv der Gotteskindschaft der Glaubenden eingeführt und entfaltet wird (Kapitel 3: 156–171). Vor diesem Hintergrund wird dargelegt, inwiefern in der Erzählung von der Erscheinung Jesu vor seinen Jüngern bzw. speziell vor Thomas (Joh 20,19–29) die Voraussetzungen des Verhältnisses zwischen Gott und den Nachfolgern Jesu in der nachösterlichen Zeit reflektiert werden (Kapitel 4: 172–194). Abschließend werden die zentralen Ergebnisse der einzelnen Arbeitsschritte in einer Gesamtperspektive zusammengefasst (195–199).
B. arbeitet eindrücklich heraus, wie die Verwendung der Gottesprädikation ›Vater‹ wesentliche Aspekte der johanneischen Christologie zutage treten lässt. Sie kann darlegen, inwiefern der vierte Evangelist zwischen Joh 1,12 und Joh 20,17 – also zwischen dem Anfang und dem Ende seines Werks – einen Spannungsbogen aufbaut. Bereits im Prolog wird konstatiert, dass die glaubende Aufnahme Jesu bzw. des göttlichen Logos eine Voraussetzung der Gotteskindschaft ist. Auf der textinternen Erzählebene des vierten Evangeliums wird dieses Motiv erst in Joh 20,17 wieder aufgenommen. Zwischen diesen Spannungspolen wird in verschiedenen argumentativen Kontexten herausgearbeitet, inwieweit Jesus als der mit seinem Vater wesensgleiche Sohn Gottes verstanden werden kann und wie das Verhältnis zu Jesus auch den Glaubenden die Gotteskindschaft vermittelt. Dabei ist zu beachten, dass in den johanneischen Erzählungen von der öffentlichen Tätigkeit Jesu nahezu ausschließlich das Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Jesus und Gott reflektiert wird. Wenn hingegen andere Personen bzw. Gruppen für sich Gotteskindschaft postulieren, wird dieser Selbstanspruch problematisiert und infrage gestellt (vgl. Joh 8,42). Das in Joh 20,17 hervorgehobene Motiv der Gotteskindschaft der Glaubenden wird hingegen vor allem in den Abschiedsreden vorbereitet.
Die von B. fokussierten Argumentationseinheiten Joh 13,31–14,31 und Joh 16,4b–33 entfalten dabei unterschiedliche Aspekte dieser johanneischen Konzeption. Vor dem Hintergrund dieser Analysen legt B. überzeugend dar, wie die in den Abschiedsreden vorbereiteten Motive in den johanneischen Ostererzählungen aufgenommen und entfaltet werden. So lässt B. zufolge Joh 20,17 u. a. implizit erkennen, dass durch die Begegnung des Auferstandenen mit Maria »eine neue ›Epoche‹ im Verhältnis zwischen den Jüngern und Gott als ihrem Vater und Jesus als ihrem Bruder« (198) eröffnet wird. Demgegenüber hebt die unmittelbare folgende Erzählung von der Begegnung Jesu mit den übrigen Jüngern und vor allem Thomas (Joh 20,19–29) hervor, dass diese Gottesbeziehung auch und gerade jenen Menschen möglich ist, die Jesus selbst nicht mehr begegnet sind, insofern sie als Glaubende in die durch Jesus ermöglichte Gottesbeziehung eintreten können. Dabei ist zu beachten, dass die Argumentationseinheit 20,19–29 in der johanneischen Textkomposition nicht nur unmittelbar auf die Erzählung von der Begegnung zwischen Jesus und Maria folgt, sondern vor dem Schlussabschnitt Joh 20,30 f. auf der textinternen Erzählebene des Evangeliums auch die letzten Worte formuliert. Dieser Sachverhalt dokumentiert eindrücklich, welche Bedeutung der Verfasser den Motiven der Gottessohnschaft Jesu und der Gotteskindschaft der Glaubenden zumisst.
Die von B. darlegte Interpretation der johanneischen Gottesprädikation ›Vater‹ ist nicht nur in sich schlüssig, sondern vermittelt auch weiteren Diskursfeldern der Auseinandersetzung mit dem vierten Evangelium wertvolle Impulse. Dies gilt vor allem für das von B. nur partiell thematisierte Verhältnis des Johannesevangeliums zu den johanneischen Briefen, die ihrerseits eine reflektierte familienmetaphorische Sprache aufweisen. Eine Analyse dieser Konzeptionen könnte instruktive Impulse für die Bestimmung des chronologischen Verhältnisses der johanneischen Zeugnisse vermitteln.
Ein weiteres spannendes Diskursfeld ist die Frage, wie sich die Erkenntnisse der Studie von Frances Back zu den jüngeren Thesen zur Funktion der Gestalt des Thomas im Johannesevangelium verhalten. Verschiedentlich wurde bereits die These formuliert, dass sich in der literarischen Gestalt des Thomas der Traditionsgarant einer theologischen Schulbildung widerspiegelt, welche mit der johanneischen Schule bzw. Gemeinde konkurriert. Dies war auch eine Grundthese der Monographie von Ismo Dunderberg (The Beloved Disciple in Conflict? Revisiting the Gospels of John and Thomas, Oxford 2006).
Angesichts einer solchen Konfrontation könnte das von B. herausgearbeitete Anliegen des Johannesevangeliums als ein Versuch gedeutet werden, konkurrierende theologische Schulen bzw. Lehrergestalten daran zu erinnern, was das verbindende Fundament ihrer theologischen Glaubensüberzeugung sein soll, nämlich die gemeinsame Gotteskindschaft der Glaubenden. Diese Anregungen aufzunehmen, ist nun eine Aufgabe weiterer Forschungen. Umso trauriger stimmt es, dass die viel zu früh verstorbene Kollegin Frances Back an diesen Diskussionen nicht mehr teilnehmen kann.