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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1142–1143

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Behrens, Achim

Titel/Untertitel:

Das Alte Testament verstehen. Die Hermeneutik des ersten Teils der christlichen Bibel.

Verlag:

Göttingen: Edition Ruprecht 2012. 187 S. m. 12 Abb. = Einführungen in das Alte Testament, 1. Geb. EUR 27,90. ISBN 978-3-7675-7148-8.

Rezensent:

Christoph Dohmen

Das hier vorzustellende Buch zur alttestamentlichen Hermeneutik ist als Lehr- und Arbeitsbuch konzipiert, was nicht zuletzt an eingefügten Merksätzen, Kontrollfragen, Begriffserklärungen etc. zu erkennen ist. Die Fragestellung des Buches wird in drei Abschnitten untergliedert behandelt.
Der erste Abschnitt ist der Grundfrage »Was ist Hermeneutik?« mit den für die Fragestellung notwendigen Spezifizierungen (theologische Hermeneutik, biblische Hermeneutik, Hermeneutik des Alten Testaments) gewidmet. Der zweite bietet einen geschichtlichen Durchgang von der Zeit Jesu bis ins 19. Jh., bei dem unterschiedliche Ansätze für das Verstehen des Alten Testaments als Teil der christlichen Bibel vorgestellt werden. Quasi als Konsequenz aus dem forschungsgeschichtlichen Überblick des 2. Abschnitts werden im dritten, dem eigentlichen Hauptteil des vorliegenden Bu­ches, neuere Modelle der Verhältnisbestimmung von Altem Testament und Neuem Testament aus dem 20. und 21. Jh. vorgestellt. Die Modelle werden an den Forschungspositionen von zwölf ausgewählten Forschern (F. Baumgärtel; R. Bultmann; F. Crüsemann; A. H. J. Gunneweg; H. Gese; M. Oeming; O. Kaiser; H. D. Preuß; G. v. Rad; H. W. Wolff; E. Zenger; W. Zimmerli) dargestellt. Dabei werden die Forschungs- und Forscherpositionen nach inhaltlichen Kriterien unter folgenden Begriffen gruppiert: 1. Verheißung und Er-füllung; 2. Typologie; 3. Existenziale Interpreta-tion; 4. Gemeinsame Ge­schichte von Altem Testament und Neuem Testament; 5. Hermeneutik des Alten Testaments im Gespräch mit dem Judentum.
Jede Auswahl birgt Probleme in sich und wirft Fragen auf, so auch die vorliegende, vor allem weil die Auswahlkriterien nur sehr vage angegeben werden: »Positionen, die in der wissenschaftlichen Debatte besonders wirksam waren und diskutiert wurden« (58). Durch dieses Raster sind wichtige Bereiche der Fragestellung durchgefallen. Im Vorwort betont B. ganz zu Recht, dass die Frage nach dem Verhältnis der beiden Testamente in der christlichen Bibel die »Grundlage des christlichen Glaubens« (9) betreffe und keine theologische Einzelfrage sei. Zur Wahrnehmung des christlichen Glaubens – zumal wenn ausdrücklich auch dessen geschichtliche Dimension bedacht wird – gehört aber zweifellos, dass es unterschiedliche Konfessionen gibt, und gerade am Schriftverständnis wichtige konfessionelle Unterschiede festgemacht werden. Unter den vorgestellten Forschern wird zwar mit Erich Zenger ein Katholik angeführt, der allerdings (nur) in Bezug auf seine Position im »Gespräch mit dem Judentum« genannt ist, so dass eine spezielle katholische Position fehlt. Andere katholische Alttestamentlerinnen und Alttestamentler mit ihren Positionen werden nämlich nicht genannt – oder bewusst verschwiegen? –, selbst wenn sie pointierte Meinungen vertreten, die im vorliegenden Buch ansonsten nicht vorkommen, aber zur Schärfung des Problembewusstseins sehr wichtig wären, wie z. B. Manfred Görgs An­satz eines Christentums ohne Neues Testament oder Norbert Lohfinks Anregung, das Neue Testament als »Kommentar« zum Alten Testament zu lesen, um zu einer christlichen Theologie zu gelangen. Mit dem viel beachteten Dokument der Päpstlichen Bibelkommission von 2001 Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel liegt eine weit über den engen Rahmen von Kirche und Theologie hinaus diskutierte katholische Positionierung zur biblischen Hermeneutik vor, die aber im vorliegenden Buch leider keine Erwähnung findet.
Insofern das vorliegende Lehrbuch zu verstehen lehren möchte, »wie […] aus dem Alten und dem Neuen Testament die eine Bibel wurde« (9), fehlt aber eine ausdrückliche Behandlung der – in der Forschung viel diskutierten und auch interkonfessionell wichtigen– Kanonfrage, die, was beispielsweise zahlreiche Arbeiten von Bernd Janowski eindrücklich zeigen, schon lange keine historische mehr ist, sondern eine der zentralen christlicher Bibelhermeneutik. Auf diesem Hintergrund drängt sich die nächste Frage an die Auswahl des vorliegenden Buches geradezu auf: Kann eine Hermeneutik des Alten Testaments nur aus der Perspektive von Alttestamentlern betrieben und dargestellt werden? Wichtige Positions-bestimmungen der alttestamentlichen Hermeneutik kamen und kommen von Neutestamentlern und sogar von Vertretern der Systematischen und Praktischen Theologie, worin sich letztendlich nur bestätigt, was B. selbst betont, dass es bei dieser Frage eben um die Grundlagen des christlichen Glaubens geht.
Die nicht wirklich reflektierte Auswahl, die den Sachstand auf Positionen der evangelischen Alttestamentler des deutschen Sprachraums reduziert, lässt das zentrale theologische Thema des Buches als ein Sonderproblem (der alttestamentlichen Bibelwissenschaft) erscheinen. Der Wert des Buches ist folglich ebenso begrenzt. Es mag Studierenden der Theologie Positionen einiger evangelischer Alttestamentler (doch auch hier wären noch weitere zu nennen) durch die Kurzporträts näherbringen; die notwendige Durchdringung der Fragen und Probleme alttestamentlicher Hermeneutik wird so aber bestenfalls vorbereitet.