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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1139–1141

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Antwi, Emmanuel Kojo Ennin

Titel/Untertitel:

The Book of Jonah in the Context of Post-Exilic Theology of Israel. An Exegetical Study.

Verlag:

St. Ottilien: EOS Verlag 2013. XIV, 330 S. = Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament, 95. Kart. EUR 34,95. ISBN 978-3-8306-7606-5.

Rezensent:

Leonie Ratschow

Das Buch Jona ist innerhalb des prophetischen Kanonteils des Alten Testaments außergewöhnlich. Der prominenteste Grund dafür ist die Gestalt des Propheten selbst. Denn Jona handelt zunächst seinem Ruf zuwider, um in der Folge der Ausführung des göttlichen Auftrags zum personifizierten Widerruf der Prophetie zu werden.
Von dieser Einmaligkeit des Jonabuches (2) geht Emmanuel Kojo Ennin Antwi in seiner exegetischen Studie, ursprünglich eine von Hubert Irsigler und Ulrich Dahmen betreute und 2012 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg angenommene Disserta-tion, aus. Insofern ist es A.s Anliegen, »[…] to go beyond considering the book of Jonah only as prophetic literature, to interpret its unique content and style in order to arrive at an appropriate understanding of its theology« (2). Die vielfältigen Einflussnahmen un­terschiedlicher wissenschaftlicher Fachrichtungen auf die Bi­bel-exegese hätten seit Aufkommen der historisch-kritischen Me­thode zu Divergenzen bezüglich der theologischen Schwerpunkte in der Jonaforschung geführt. Demgegenüber unternimmt A. mit seiner Arbeit den Versuch, »[…] to come by a theology of the book, from the perspective of post-exilic theology of Israel« (7).
Seinem Vorhaben legt A. einen ursprünglich auf W. Richter (1971) zurückgehenden und von H. Irsigler (2007) überarbeiteten methodischen Ansatz zugrunde, dem im Zuschnitt auf die Erarbeitung der Theologie des Jonabuches sechs Hauptaspekte der Textbearbeitung erwachsen: die Konstitution des Textes (Textkritik und Literarkritik; Kapitel 2), die Kritik des Einzeltextes (Strukturanalyse der Einzeltexte; Kapitel 3), die Texttypik (Untersuchung der textimmanenten Traditionen, geprägten Formeln, Motive und der Gattung; Kapitel 4), die Textverankerung (Analyse des sozial-geschichtlichen Kontexts der Textentstehung; Kapitel 5), die Textgeschichte (Erforschung der Überlieferung, Entwicklung und Aufnahme in den biblischen Kanon; Kapitel 6) und die Untersuchung der Theologie des Buches im Kontext der nachexilischen Theologie Israels einschließlich der frühen Rezeptionsgeschichte des Jonatextes (Kapitel 7). Diese sechs Hauptteile werden gerahmt von einer die Zielsetzung, Methode und Motivation darlegenden Einführung (Kapitel 1) und einem die Ergebnisse zusammenfassenden sowie die hermeneutische Situation beschreibenden Fazit (Kapitel 8). Dem Anhang sind eine Tabelle verwendeter Textmanuskripte, insbesondere Textzeugen aus Qumran, eine auf W. Richter (1991) zu­rückgehende Transkriptionsaufschlüsselung sowie ein deutsches Resümee der Arbeit beigegeben. Bibelstellen- und Autorenindizes wären hilfreich gewesen.
Die Untersuchung der vorliegenden Textgestalt des Jonabuches (Kapitel 2) beginnt A. mit einer genauen und umfassenden Darstellung aller möglichen Textirritationen in Abwägung der wichtigsten Textzeugen des gesamten Jonabuches (12–22). Daran schließen sich die Transkription des hebräischen Textes (nach W. Richter 1991) und die Übersetzung des Buches an (22–42). Die literarkritische Analyse nimmt in annähernd enzyklopädischer Vollständigkeit Spannungen und Unterschiede (z. B. die Bezeichnungen Gottes), Wiederholungen, Doppelungen, Leerstellen, Hinzufügungen und Verweise in Augenschein. Die literarische Inkongruenz des Jonapsalms (Jona 2,3–10) im Kontext der Narration, die sprachlichen Besonderheiten (Aramaismen und späthebräisches Vokabular) sowie intertextuelle Bezüge innerhalb des Alten Testaments (2Kön 14,25; Hos 5,15–6,10; Joel 2,13b–17; Jer 36) untersucht A. im Rahmen des kompositionellen Fragehorizontes des Jonabuches (42–68). Dieser Untersuchung erwachsen nur wenige textliche und literarische Unstimmigkeiten der vorliegenden Textgestalt, die A. zufolge der Erzeugung von Spannung und Aufmerksamkeitsgewinnung dienlich sind.
Unter zusätzlicher Anwendung der Methode R. L. Hellers (2004) erfolgt die Analyse der Textstruktur (Kapitel 3). A. gliedert den Text in drei parallele Hauptkomponenten, A (1,1–3; 3,1–4), B (1,4–16; 3,5–10), C (2,1–11; 4,1–5; 4,6–11), die aus sieben Teileinheiten bestehen. Innerhalb der detaillierten Erforschung einzelner Textelemente (Nomen- und Verbklassen), der Diskurs- und Erzählkonstellationen sowie der syntaktischen und narrativen Struktur arbeitet A. stilistische, syntaktische und semantische Besonderheiten der einzelnen Textsegmente heraus. Die in den Fließtext eingefügten Analysetabellen bilden die Textoberfläche überblicksartig ab, können jedoch die sachlichen Erläuterungen nicht ersetzen und wirken daher in der Arbeit deplatziert. Mittels der Charaktere, so A., transportiere der Erzähler seine Aussageintention: »He invites the reader to make his personal judgement on the disputation between God and Jonah.« (114)
Die Betrachtung der geprägten Formeln, Traditionen und Motive sowie die Gattungskritik (Kapitel 4) zeigt die umfangreichen inner- wie außerbiblischen intertextuellen Bezüge des Jonabuches auf. Dabei stellt A. fest, dass der Jonatext sowohl vor- als auch nachexilische Motive kombiniert, zum Teil in bewusster Umkehrung ihrer ursprünglichen Verwendungszusammenhänge. Obwohl das Jonabuch Themen wie Buße, Reue und Vergebung von der Norm prophetischer Literatur abweichend reflektiere, zeichne es sich durch sein pädagogisches Anliegen als prophetische Parabel aus (198–204). »The narrator of Jonah makes parts of his story look unrealistic, making it more like a novella, however, meant to give a lesson to the reader.« (204)
Für die Untersuchung des sozialgeschichtlichen Kontextes des Jonabuches (Kapitel 5) positioniert A. die Prophetenschrift innerhalb der alttestamentlichen Parallel- bzw. Referenzliteratur (vor allem Joel; Koh; Tob; LXX), wodurch er eine Datierung der Komposition zwischen 350 und 200 v. Chr. für möglich hält (224). Insofern sei der potentielle Autor als einer der »[…] returnees in Judah who favoured the theology of universalism« (225) zu rekonstruieren. In der Kontrastierung der Charaktere – Jona als Repräsentant des abtrünnigen Israel und die Heiden als die sich in ihrer Buße zu JHWH Bekennenden – versteht A. die eigentliche Botschaft des Buches: »[…] to teach them the nature of YHWH and his impartial dealings with mankind« (225).
Einen knappen Überblick über die Textgeschichte resümierend (Kapitel 6), schlussfolgert A. die sukzessive Entstehung des Jonabuches. Die verschiedenen Traditionen und Motive evozierten sowohl einen aus verschiedenen Quellen schöpfenden Autor als auch redaktionelle Bearbeitungen der Prophetenschrift.
Mit der Feststellung, manche Jona-Exegeten hätten unterschiedliche theologische Themen vorgeschlagen, »[…] without agreeing on the main central theological theme of the book« (239), eröffnet A. seine theologische Interpretation (Kapitel 7). Die Typisierung der Charaktere als Israel (Jona) und die Völker (Seeleute und Niniviten: Heiden) provoziere zunächst die Frage nach den theologischen Implikationen der Erwählung Israels vor dem Hintergrund des babylonischen Exils (239–245). Zwei der Exilserfahrung entspringende Anschauungen stellt A. einander gegenüber: den Universalismus und den Partikularismus (245–258). Indem Gott die bußfertigen Niniviten verschone, reflektiere das Jonabuch ein monotheistisches Gottesbild, demzufolge JHWH Schöpfer der Welt und Herrscher über die Geschichte aller Völker sei (272–281). Die universale Barmherzigkeit Gottes stelle insofern die theologische Kernaussage des Jonabuches dar (282). Vor dem Hintergrund des babylonischen Exils thematisiere der Text die Berechtigung auf göttliche Gnade: »The one who has the right to God’s mercy is not necessarily the one called but the one who disposes himself for his mercy.« (285)
Die exegetische Studie A.s ist eine sehr ausführliche und fleißige Arbeit, deren Leistung in ihrer Umfänglichkeit besteht. Insbesondere die Text- und Literarkritik, die sprachliche Strukturanalyse als auch die Motiv- und Traditionskritik geben detaillierte Einblicke in das Jonabuch in seiner Einmaligkeit, trotz und wegen seiner zahlreichen außer- wie innerbiblischen Bezugnahmen.
Kontrastierend zu dieser präzisen Exegese stehen die rahmenden hermeneutischen Ausführungen (Kapitel 1 und 8). Eingangs scheint es Ausdruck vorsichtiger Bescheidenheit zu sein, wenn A. anmerkt: »Like any other book of the Bible which has God as its divine author, every human work is an attempt to get as close as possible to the divine truth presented by the human author.« (9) Demgegenüber wirken die deutlich um Richtigstellung bemühten abschließenden Erläuterungen zu Fiktionalität und Faktizität des Jonabuches beinahe wie eine nachträgliche Entschuldigung für die zuvor geleistete wissenschaftliche Arbeit: »The critical-literary analysis of the text places it at the crossroads between a misconceived fictionality and factuality in the hand of skeptics. From the discussion so far, there is the propensity to take some elements of the narrative of Jonah as a fiction and so deny it of its truth.« (297)
Ein Grund für den Wechsel von transkribiertem hebräischen Text zu hebräischen Schriftzeichen ist nicht ersichtlich. Problematisch ist überdies die deutsche Zusammenfassung im Anhang, die teilweise sprachlich unsauber und grammatikalisch falsch ist. Eine Korrektur durch den Verlag oder die Suspension dieses inhaltlich ohnehin überflüssigen Resümees wäre angebracht ge­wesen.