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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1072–1075

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Porzelt, Burkard

Titel/Untertitel:

Grundlegung religiöses Lernen. Eine problemorientierte Einführung in die Religionspädagogik.

Verlag:

Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2009 (2., durchges. Aufl. 2013). 183 S. m. Abb. = UTB M 3177. Kart. EUR 16,99. ISBN 978-3-8252-4062-2.

Rezensent:

Thomas Schlag

Nach der Erstveröffentlichung im Jahr 2009 ist nun die religionspä­dagogische Einführung des katholischen Regensburger Religionspädagogen Burkard Porzelt in 2., durchgesehener Auflage er­schienen. Schon daraus ist ableitbar, dass die hier vorgelegten religionspädagogischen Überlegungen unter Lehramtsstudierenden und in der Fachzunft bereits eine gewisse, ihnen zu Recht gebührende Aufmerksamkeit erfahren.
Die aus der Vorlesungstätigkeit P.s hervorgegangene Abhandlung trägt selbst gewissermaßen Lehrbuchcharakter, konzentriert sich aber dabei deutlich und schwerpunktmäßig auf den Themenkomplex religiösen Lernens. En passant wird so vom Verständnis des religiöses Lernens als »Kernbegriff der Religionspädagogik« und »Dreh- und Angelpunkt jedweder religionspädagogischer Theorie und Praxis« (7) aus ein sehr viel weiterreichendes religionspädagogisches Programm entwickelt. Insofern liefert diese Schrift vielfältige Hinweise auf P.s theologischen und konfessionellen Standort und damit sein religionspädagogisches Credo.
Dass dies gerade unter zentraler Bezugnahme auf die Thematik religiösen Lernens erfolgt, vermag durchaus zu überraschen. Denn in der gegenwärtigen Fachdebatte spielt diese Begrifflichkeit insbesondere gegenüber bildungstheoretischen Ansätzen eine vergleichsweise geringe programmatische Rolle. Nicht zuletzt aufgrund der lerntheoretischen und insbesondere der lernzielorientierten Didaktik der 1970er Jahre ist die Rede vom Lernen mitsamt den dadurch befürchteten technokratischen Machbarkeitsstrategien sowie der Betonung mehr oder weniger einliniger mechanistischer Wissensvermittlungsprozesse in gewissen Verdacht geraten. Und die gegenwärtig auch in der Religionspädagogik geführte Kompetenzdiskussion lässt die altbekannte Frage der Lehr- und Lernbarkeit der Religion erneut in den Blick kommen – wenn auch nicht ohne erhebliche Ambivalenzen. Von daher scheint der Begriff religiösen Lernens neue Anziehungskraft zu erzeugen, selbst dann, wenn mehr oder weniger kognitivistisch konfrontative Erziehungsstrategien kaum noch ernsthaft vertreten werden.
P. ist sich nun für seinen stringenten Argumentationsgang jedenfalls sowohl der Disziplingeschichte wie auch der Gefahr eines eingeschränkten Verständnisses religiösen Lernens überaus bewusst und vermeidet es konsequenterweise von Beginn an, auch nur ansatzweise solche problematischen Traditionen revitalisieren zu wollen. So eröffnet er die Perspektive auf »religiöses Lernen«, indem er dieses gerade als ein vielfältiges und beziehungsreiches pädagogisches Grundgeschehen charakterisiert: Demzufolge umfasst dieses intentionale, spontane, formelle und informelle Aneignungsprozesse (vgl. 11 ff.) und kann folglich nicht auf eine einlinige didaktische Vermittlungsstrategie verengt werden. Um dies argumentativ zu untermauern, wird von ihm durch einen bewusst interdiszipli-nären, d. h. psychologischen, pädagogischen und theologischen Zu­griff ein komplexer Begriff des Lernens mitsamt seiner kognitiven, affektiven, aktionalen und sozialen Momente herausgearbeitet (19–43), um damit dann den Boden für die eigentliche religionspädagogische Auseinandersetzung zu bereiten.
Im dafür entwickelten zweiten Teil erfolgt anhand der Unterscheidung von vier Grundtypen des Religionsverständnisses (an­thropologisch, funktional, phänomenologisch und substanziell) eine Verknüpfung des herausgearbeiteten komplexen Lernbegriffs mit dem von P. selbst favorisierten substanziellen Religionsverständnis (45–107). Dafür knüpft er stark an die theologische katholische Traditionsbildung eines Thomas von Aquin und auch an E. Schillebeeckx an, demzufolge »das Sprechen zu Gott und die Rede von Gott […] engstens verschränkt mit menschlichen Lebenserfahrungen« (93) sind. Es ist hier insbesondere der Begriff der religiösen Erfahrung, die aus seiner Sicht den entscheidenden Weg korrela- tiver religiöser Lernprozesse eröffnet. Hier verbindet P. folglich theologische, lernpsychologische und pädagogische Argumenta-tion zu einer Gesamtfigur wechselseitiger produktiv-kritischer Korrelation der »Wahrheit des Gottesbezugs einerseits und der Geschichtlichkeit und Mündigkeit des Subjekts andererseits« (100).
Von dort aus wird dann zielorientiert gefragt, ob denn der Glaube selbst lernbar sei (109–125). Hier gilt wiederum, was schon für das Lernen konstatiert wurde, dass es sich von außen »allenfalls begünstigen oder aber behindern«, keinesfalls aber bewirken lässt (43); konkret gesprochen antwortet P. auf diese zentrale Frage, »alles in allem mit einem bedingten ›Ja‹« (125). Denn da sich sowohl Lernen wie auch Religion »konstitutiv auf Erfahrungen« beziehen, sei religiöser Glaube – bei aller Unverfügbarkeit – »vor diesem Hintergrund weder denkbar noch vorstellbar, ohne Lernprozesse in Rechnung zu stellen« (125). Dabei wird die vermittelnde und geradezu dialektische Position P.s deutlich, indem er immer wieder seinen an der Wahrheitsfrage orientierten Religions- und Glaubensbegriff selbst für die dialogische Auseinandersetzung öffnet.
Damit begibt sich der katholische Religionspädagoge zugleich unübersehbar in den produktiven Streit mit solchen kirchlichen Positionen, die auf vermeintlich eindeutige Beheimatung setzen. Gerade die Betonung der Subjektorientierung bzw. der individuellen Erfahrung religiösen Lernens verbietet seiner Ansicht nach eine Einseitigkeit inhaltlicher Vermittlungsprozesse, wie er sie in manchen kirchlichen Verlautbarungen identifiziert.
Disziplintheoretisch erfolgt unter der Signatur der Religionspädagogik als Handlungs- bzw. Interaktionswissenschaft eine gleichsam lerntheoretische Neukonzeption der Korrelationsdidaktik (127–144). Dass hierbei zugleich auch gegenwärtige Dilemmata der Religionspädagogik als universitärer Disziplin – insbesondere die immer wieder stattfindende Reduktion auf eine »Anwendungswissenschaft« (135 ff.) und die Unterschätzung ihres reflexiven Charakters (vgl. 141 ff.) – benannt werden, ist gerade für das Selbstverständnis der akademisch Lehrenden und Lernenden anregend.
Dass die Lernthematik dort von wesentlicher Orientierungskraft ist, wo es um die Charakterisierung der Herausforderungen und Chancen, Gemeinsamkeiten und Differenzen unterschiedlicher religiöser Lernorte geht, macht P. im Schlussabschnitt deutlich (145–162). Hier betont er sachlich sehr angemessen, dass all diese Fragen religiöser Lernprozesse natürlich weit über den Kontext des schulischen Religionsunterrichts hinausreichen. Gerade für die Frage religiöser Sozialisation bleiben dabei allerdings auch alle Zielvorstellungen eines religionspädagogisch verantworteten Han­delns auf »begründete Prämissen zum Wert und Sinn des Menschseins« (161) angewiesen.
Was trägt nun die so herausgearbeitete Leitbegrifflichkeit religiösen Lernens für die zukünftige religionspädagogische Theoriearbeit und Praxis aus?
Man fragt sich schon, ob nicht angesichts der aktuellen Fachdebatten zum Begriff religiöser Bildung hier von P. noch sehr viel deutlicher der mögliche Mehrwert des Lernbegriffs gegenüber dem Bildungsbegriff hätte herausgestellt werden müssen. So könnte man etwa seine näheren Charakterisierungen der inter- und intrasubjektiven Momente des Lernens, dessen situative und lebensgeschichtliche Dimension (vgl. 15 f.) sowie dessen Erfahrungs- und Prozessbezug (vgl. 22 f.) genauso berechtigt auch für den Bildungsbegriff in Anschlag bringen – darauf wird aber lediglich kurz im Blick auf den Begegnungscharakter gelingenden Lernens bzw. ge­lingender Bildung eingegangen (vgl. 28, Anm. 28). So aber wird hier im Einzelnen nicht immer klar, inwiefern es sich letztlich doch um eine inhaltlich mehr oder weniger synonyme Verwendung des Lernbegriffs für das handelt, was in anderen Zusammenhängen eben bildungstheoretisch entfaltet wird.
Grundsätzlich aber wird mit dieser Studie gerade in ihrer differenzierten Darstellung der komplexen Hintergründe des Lernbegriffs eine wichtige Erweiterung gegenwärtiger Fachdiskurse vorgenommen. So kann von den Überlegungen P.s aus gerade angesichts einer zunehmend religionskundlichen Ausrichtung des schulischen Religionsunterrichts zukünftig religionspädagogisch noch deutlicher herausgearbeitet werden, inwiefern sich ein solcher erfahrungsorientierter und substanzieller Begriff religiösen Lernens sowohl mit guten theologischen wie mit guten pädagogischen Gründen plausibel vertreten lässt. Zudem gilt es zu betonen, dass bei aller konfessionellen Verortung die ökumenische Offenheit der religionspädagogischen Konzeption P.s bis hin zur Rezeption protestantischer theologischer und religionspädagogischer Denkfiguren so unübersehbar wie begrüßenswert ist.
Schließlich wird zu bedenken sein, wie sich die aktuelle Kompetenzdebatte mit ihren neuerlichen lernzielorientierten Schwerpunktsetzungen von einem solchen inhaltsreichen Begriff religiösen Lernens so inspirieren lassen kann, dass die alten Fehler einseitiger Wissensvermittlung nicht erneut gemacht werden. Und ganz zu Recht formuliert P. in sicherlich ganz angemessener prospektiver Hinsicht als eine der zentralen Zukunftsfragen religiöser Bildungsprozesse, auch »die befremdlichen und sperrigen Aspekte der religiösen Botschaft angemessen zur Geltung zu bringen« (118).