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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1027–1029

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Rödel, Eva

Titel/Untertitel:

Der Streit um die Bekenntnisschule. Der »Schulkampf« in Rheinhessen und seine Folgen 1952–1955. Hrsg. v. d. Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz.

Verlag:

Ubstadt-Weiher u. a.: verlag regionalkultur 2013. 440 S. = Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, 29. Geb. EUR 34,80. ISBN 978-3-89735-792-1.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Diese Publikation von Eva Rödel ist die überarbeitete Fassung einer 2010 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angenommenen und 2011 als Hochschulschrift veröffentlichten Dissertationsschrift. R. do­kumentiert in ihrer Untersuchung eine brisante Episode aus der frühen Geschichte des nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt auf Betreiben der französischen Besatzungsmacht entstandenen Bundeslandes unter besonderer Berücksichtigung Rheinhessens. Dabei wird deutlich, dass die Zusammensetzung des jungen Bundeslandes zu Beginn keineswegs homogen war, was besonders auch auf die Konfessionsstruktur zutraf sowie auf die unterschiedliche Schulkultur: Waren Konfessionsschulen im überwiegend katho-lischen Norden, in den Regierungsbezirken Koblenz, Trier und Montabaur, vor 1933 die Regel, war das in der überwiegend evangelischen Pfalz und besonders in Rheinhessen nicht so. Besonders Rheinhessen konnte auf eine lange Tradition christlicher Simultanschulen zurückgreifen. Der Schulkampf, ausgelöst durch eine Initiative des Mainzer Bischofs Albert Stohr, führte das junge Land, wie R. überzeugend darstellt, im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand einer Zerreißprobe. Die Untersuchung gewährt zudem einen tiefen Einblick in die frühe Parteiengeschichte des jungen Bundeslandes, vor allem die in den 50er Jahren stark ausgeprägte Affinität der CDU zur katholischen Kirche sowie die der Lehrergewerkschaft (GEW), teilweise auch der EKHN, zu Positionen der SPD.
Einleitend gibt R. einen aufschlussreichen Überblick über die Problemlage, den Aufbau der Arbeit und die verfügbaren Quellen, die sie dann intensiv auswertet. Danach widmet sie sich zunächst der Ausgangssituation, indem sie auf die Geschichte des Schulwesens »im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz bis 1945 unter besonderer Berücksichtigung Rheinhessens« eingeht. Die unterschiedliche Geschichte der einzelnen Landesteile bedingte auch unterschiedliche Schultraditionen, wobei sich Rheinhessen seit Beginn des 19. Jh.s zur Simultanschulregion entwickelte, so dass der Versuch, die Schulen Rheinhessens in Konfessionsschulen umzuwandeln, keineswegs auf Traditionen zurückgreifen konnte, wie sie in anderen Landesteilen vor 1933 bestanden. Bereits in den Beratun gen zur Verfassung des Landes erwies sich die Schulfrage als schwierig, so dass die Schulartikel den Bürgern getrennt zum Volksentscheid vorgelegt wurden. Während die SPD gemäß ihres Heidelberger Programms von 1925 eigentlich für eine Staatsschule im Sinne einer Trennung von Kirche und Staat war, trat sie im Blick auf die gesellschaftliche Situation in Rheinland-Pfalz für die christliche Ge­meinschaftsschule ein, während die CDU, überwiegend als Konfessionsschulpartei wahrgenommen, das naturrechtlich begründete Elternrecht stark betonte (Art. 27–29 LV von 1947) und damit dem Mainzer Bischof den notwendigen Ansatzpunkt für seine spätere Aktion lieferte. Nach Verfassungsänderungen 1964 und 1967 sollte die Konfessionsschule erst 1970 aus der Landesverfassung gestrichen und die konfessionsgebundene Lehrerbildung aufgegeben werden. R. informiert darüber, dass der zweite Ministerpräsident des Landes, Peter Altmaier, inzwischen durch Helmut Kohl im Amt abgelöst, als Einziger gegen die Verfassungsänderung von 1970 stimmte (367), der damaligen Staatssekretärin im Kultusministerium, Hanna Renate Laurien, unter Hinweis auf das neue Schulgesetz in Remagen 1970 die Kommunion verweigert und Helmut Kohl in Predigten als Luzifer bezeichnet wurde (359).
Mit solchen Beispielen zeigt R., dass die Auseinandersetzung um die Bekenntnisschule weit über ihre eigentliche Kernzeit hinaus noch Wirkung zu entfalten vermochte. Die Enttäuschung über die CDU war partiell schon bei dem bereits 1961 verstorbenen Bischof Stohr zu beobachten wie auch seine Enttäuschung darüber, dass auch in manchen überwiegend katholischen Orten seine Aktion nicht die nötige Resonanz fand, nicht zuletzt aufgrund der Sorge um die Qualität der Schulbildung durch die Einrichtung von Zwergschulen. Die FDP nahm in der Schulfrage eine Mittelposition ein, war eigentlich sachlich auf Seiten der SPD, konnte jedoch aus koalitionspolitischer Rücksichtnahme nicht zuletzt im Blick auf die Situation im Bund nicht immer eine klare Linie halten. Im Rahmen ihrer Darstellung der Ausgangssituation geht R. dann auch auf die Haltung der evangelischen Kirchen und der GEW ein. Dabei ist die Haltung der EKHN derjenigen der GEW sowie der SPD sehr nahe. Die Landeskirche scheute auch im Verlauf des Streits nicht den ökumenischen Konflikt. Schließlich schildert R., dass die Vorgängerkonflikte in den Bistümern Speyer und Trier bereits die Grundlage für die Eskalation des Schulstreites in Rheinhessen ge­legt hatten.
Im 3. Kapitel beschreibt R. den eigentlichen Schulkampf in Rheinhessen, beginnend mit einer detaillierten Analyse der Initiative Bischof Stohrs zur Wiedergewinnung katholischer Schulen durch Aufforderung katholischer Eltern, für ihre Kinder gemäß Art. 29 LV eine Konfessionsschule zu beantragen. Vorbereitet wurde die Aktion des Bischofs durch Verhandlungen mit der französischen Militärregierung sowie durch einen Hirtenbrief, allerdings war nach Darstellung R.s die gesamte Aktion nicht sonderlich gut vorbereitet. Auf Konferenzen wurden die Pfarrer instruiert, um die erste Antragsaktion von 1952 zu unterstützen. Der Hirtenbrief wurde in Gottesdiensten verlesen, Flugblätter zur Instruktion katholischer Eltern wurden verteilt. Unterstützt wurde die Aktion zusätzlich durch den Beichtspiegel im Gesangbuch des Bistums Mainz von 1952, in dem zur Vorbereitung auf die Beichte die Gewissensprüfungsfrage ge­stellt wurde: »Habe ich für meine Kinder die katholische Schule gefordert? Habe ich die Kinder freiwillig in Schulen geschickt, in denen ihr Glaube gefährdet ist? Habe ich unerlaubte gemischte Be­kanntschaften meiner Kinder zugelassen?« (117)
Besonders mit letzteren, aber auch mit weiteren Informationen zu einer Fülle von Details verdeutlicht R. die angespannte Situation in einer Gesellschaft, die in Rheinhessen diese konfessionelle Frontstellung in zunehmendem Maße nicht mehr akzeptierte. Letztlich blieb Stohrs Aktion auch erfolglos, nur etwa 40 Schulen konnten umgewandelt werden, nicht einmal alle de jure. Schließlich bedurfte die Antragsaktion auch zweier Korrekturen für eine zweite und dritte Durchführung. Stohr führte seine Aktionen vor allem auch in Orten durch, die auf eine lang ins 19. Jh. reichende Simultanschultradition zurückblicken konnten. So sprach er auf einer Kundgebung im überwiegend evangelischen und sozialdemokratisch ge­prägten Worms, nachdem dort zuvor das 125-jährige Jubiläum der Simultanschule gefeiert worden war. Besuche von Geistlichen bei Eltern und Druck auf Schüler im Religionsunterricht waren weitere Stützmaßnahmen der Stohrschen Aktion.
Natürlich blieben die Gegner nicht untätig, wobei sich die GEW unter Führung von Georg Heppes, dem Leiter der Landesstelle für Schulpolitik und der Landespressestelle der GEW, besonders hervortat und für andere wie die SPD und auch die EKHN mit ihren zum Teil klugen auf die rechtliche, vor allem die verfassungsrechtliche Situation rekurrierenden Aktionen hilfreich war. Es ging bis zur Beschreitung des Klageweges und der Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Ein Verein zur Erhaltung der Simultanschule wurde gegründet, um 1955 mit der Verabschiedung eines Schulgesetzes, das die Hürden für die Einrichtung von Konfessionsschulen deutlich e rhöhte, dem Streit ein vorläufiges, aber wohl nicht endgültiges Ende zu setzen. Einzelbetrachtungen, z. B. für Alzey, bieten eindrückliche Bestätigungen der Arbeitsergebnisse. Es wurde mit harten Bandagen gekämpft, Georg Heppes gar wegen einer Veröffentlichung auf dem disziplinarischen Wege in das Ministerium bestellt. Heppes konnte sich jedoch erfolgreich gegen den »Missbrauch der Disziplinargewalt« (249) wehren. Gleichwohl musste er sich später erneut verantworten und für seine Berücksichtigung bei Beförderungen kämpfen.
Die detaillierte Darstellung R.s aus den Quellen gewährt einen tiefen Einblick in die frühe Geschichte der Bundesrepublik und des Landes Rheinland-Pfalz. Die Arbeit ist auch äußerst aufschlussreich im Bezug auf das Verhältnis der christlichen Konfessionen. Sie bietet Beispiele dafür, wie schwierig der Weg der CDU von einer katholischen zu einer christlichen Partei gerade in diesem Bundesland war. Im Rahmen ihrer Darstellung streift R. auch die Problematik, die sich aus der Tatsache ergibt, dass die Landesverfassung Rheinland-Pfalz älter ist als das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Die Arbeit bietet im Anhang eine Reihe von außerordentlich instruktiven Quellen an und enthält ein Personen- und Ortsregister, das die Arbeit mit der Monographie erleichtert.