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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

906–908

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Spener, Philipp Jakob

Titel/Untertitel:

Briefe aus der Dresdener Zeit 1686–1691. Bd. 3: 1689. Hrsg. v. U. Sträter u. J. Wallmann in Zusammenarbeit m. K. vom Orde.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XXXVI, 662 S. Lw. EUR 189,00. ISBN 978-3-16-151681-8.

Rezensent:

Wolf-Friedrich Schäufele

25 Jahre nach dem Beginn der Spener-Briefedition und 21 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes der Frankfurter Briefe liegt nun der dritte von vier geplanten Briefbänden aus der Dresdner Wirkungsperiode Speners (1686–1691) vor; insgesamt ist es, zählt man die 2006 separat erschienene Edition von Speners Briefwechsel mit August Hermann Francke mit, der neunte Band. Er markiert einen Einschnitt in der institutionellen und personellen Aufstellung des editorischen Großunternehmens. Ein Vierteljahrhundert lang wurde das von Johannes Wallmann initiierte und geleitete Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert. Nach dem Auslaufen dieser außergewöhnlichen Langzeitförderung ist es in die Trägerschaft der Sächsischen Akademie der Wissenschaften übergegangen. Neuer Projektleiter ist Udo Sträter, der der Briefedition seit dem ersten Band, den er ehedem als Wissenschaftlicher Mitarbeiter betreute, eng verbunden geblieben ist. Wie bereits der Spener-Francke-Briefwechsel, so erscheint auch der vorliegende Band noch einmal in gemeinsamer Herausgeberschaft von Wallmann und Sträter; die folgenden Bände werden dann in der alleinigen Verantwortung des neuen Projektleiters erscheinen. Bearbeitet wurden die Briefe des Jahres 1689 abermals in bewährter Umsicht von Klaus vom Orde.
Der Band entspricht den gewohnten hohen Standards der Briefedition. Er enthält 140 durchlaufend nummerierte Briefe Speners. Die häufigsten Adressaten sind, wie schon in den früheren Jahren, die Frankfurter Arztwitwe und enge Vertraute Anna Elisabeth Kißner, der seit 1688 als Superintendent in Lüneburg amtierende Johann Wilhelm Petersen und der damals als Helmstedter Bibliothekar wirkende Hermann von der Hardt. Gegenüber früheren Jahrgängen sind weniger Briefe an Gelehrte – und damit überhaupt weniger lateinische Briefe – enthalten. Freilich lässt die Überlieferung von Speners Briefen kein zuverlässiges Gesamtbild seiner Korrespondenz rekonstruieren; besonders schmerzlich ist die lückenhafte (und in der vorliegenden Edition nur marginal berücksichtigte) Überlieferung der an Spener gerichteten Briefe anderer.
Der vorliegende Briefband erlaubt Einblicke in ein Achsenjahr von Speners Wirken. Als Hofprediger des ranghöchsten evangelischen Fürsten Deutschlands, des sächsischen Kurfürsten Johann Georg III., blieb sein Wirkungskreis und Einfluss faktisch doch beschränkt. Mit seinem Dienstherrn, der nur selten seine Predigten besuchte, geriet Spener 1689 ernsthaft aneinander; obwohl ein offener Bruch vermieden werden konnte, war damit das Ende seiner Dresdener Wirksamkeit bereits abzusehen. Im selben Jahr brachen in Leipzig die pietistischen Streitigkeiten aus, die auch Spener zum Ziel von heftigen Angriffen werden ließen.
Den berühmtesten Brief Speners aus dem Jahr 1689 sucht man vergebens in dem Band: jenen beichtväterlichen Mahnbrief vom 22.2.1689, mit dem er seinen sich einer persönlichen Begegnung entziehenden Dienstherrn Kurfürst Johann Georg III. wegen sei-nes unchristlichen Lebenswandels zurechtgewiesen hatte. Diesen Brief, der zum Bruch mit dem ihm auch zuvor keineswegs eng verbundenen Fürsten führte, hatte dieser an Spener zurückgesandt, ebenso einen weiteren Brief Speners einige Tage später. Im Jahr darauf warf der Kurfürst seinem Hofprediger vor, seinen beichtväterlichen Brief an Dritte weitergegeben zu haben, was dieser jedoch bestritt. Sei dem, wie es wolle – die brisanten Briefe Speners an den Kurfürsten sind und bleiben verloren. Wir sind aber durch Briefe Speners an andere Adressaten hinreichend über den Vorgang un­terrichtet.
Offenbar im Bestreben, ungünstigen Ge­rüchten zuvorzukommen, berichtete Spener frühzeitig von sich aus wichtigen Korrespondenten wie Anna Elisabeth Kißner, Johann Wilhelm Petersen und Johann Heinrich Hassel, aber auch der Schwester der Kurfürs­tin, Königin Ulrike Eleonore von Schweden, über das Vorgefallene. Es erscheint bezeichnend, dass Spener, der auch seine Berufung nach Dresden als göttliche Führung verstanden hatte, entschlossen war, nicht von sich aus zu demissionieren – auch dann nicht, als sich ihm verschiedene andere Optionen boten. Doch auch seine Verbundenheit mit pietistisch gesinnten Angehörigen der sächsischen Pfarrerschaft und des sächsischen Adels ließ ihn zunächst von der Möglichkeit eines Weggangs aus Dresden absehen. Erst 1691 folgte er der Berufung als Propst an St. Nikolai nach Berlin.
Doch nicht nur der Zusammenstoß mit seinem Dienstherrn machte das Jahr 1689 zum Jahr einer Peripetie. Nachdem bereits in der zweiten Hälfte des Vorjahres in Hamburg Kontroversen um Speners Anhänger Johann Winckler und Johann Heinrich Horb ausgebrochen waren, die in der Rückschau wie ein Präludium zum Folgenden anmuten, kam es nun in Leipzig zum Ausbruch der Auseinandersetzungen um das Collegium philobiblicum und die we­sentlich von dem gerade erst in die Stadt zurückgekehrten August Hermann Francke geprägte pietistische Bewegung. Überwog bei Spener, den Francke Anfang 1689 in Dresden besucht hatte, anfangs Zurückhaltung gegenüber dem jungen Magister, stellte er sich bald darauf rückhaltlos hinter ihn und die übrigen Leipziger »Pietisten« (ohne diesen Begriff in seinen Briefen zu er­wähnen) – vollends als er erkannte, dass in Leipzig wenigstens teilweise auch ein Stellvertreterkrieg um seine, Speners, eigene Position ausgefochten wurde.
Neben dem Konflikt mit dem Kurfürsten und den pietistischen Streitigkeiten in Leipzig beschäftigen Spener in den Briefen des Jahres 1689 zentrale Themen der pietistischen Gemeinschaftsbildung und Theologie. Anlässlich von Konflikten um Konventikel in Privathäusern, wie sie Johann Heinrich May in Gießen und Christian Philip Ludecus in Berlin abhielten, sah er sich zu klärenden Äußerungen veranlasst. Theologische Hauptthemen in der Korrespondenz dieses Jahres waren die Frage der Heiligung und des dabei erreichbaren Grades geistlich-moralischer Perfektion sowie der Chiliasmus, wie ihn Johann Wilhelm Petersen, aber auch, in Gestalt der weniger spektakulären »Hoffnung besserer Zeiten«, Spener selbst, vertraten. Im Zusammenhang mit den Leipziger Ereignissen rückten daneben schließlich auch Fragen des Theologiestudiums und der Ausbildung angehender Pfarrer in den Fokus von Speners Aufmerksamkeit.
Während Speners berühmtester Brief des Jahres 1689, wie er­wähnt, aus von den Herausgebern nicht zu verantwortenden Gründen fehlt, findet sich unter der laufenden Nummer 8 der wohl zweitberühmteste: jener an seine Tochter Elisabeth Sibylle, in dem Spener ihr aus Anlass ihrer Vermählung mit dem Colditzer Superintendenten Christian Gotthelf Birnbaum Ratschläge für das geistliche und häusliche Leben als Pfarrfrau gibt. Bereits im 18. Jh. zweimal im Druck erschienen, liegt der Brief nun erstmals in einer kritischen Edition vor.
Der Band macht neugierig auf die weiteren, die ihm folgen werden. Die Aussichten, dass die Briefedition auch unter neuer Leitung in den bewährten Bahnen weiter voranschreiten wird, sind gut: Ad multos annos!