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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

871–873

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Glenny, W. Edward

Titel/Untertitel:

Amos. A Commentary based on Amos in Codex Vaticanus.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2013. X, 184 S. = Septuagint Commentary Series. Geb. EUR 96,00. ISBN 978-90-04-24557-0.

Rezensent:

Aaron Schart

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Glenny, W. Edward: Hosea. A Commentary based on Hosea in Codex Vaticanus. Leiden u. a.: Brill 2013. X, 204 S. = Septuagint Commentary Series. Geb. EUR 101,00. ISBN 978-90-04-24556-3.


W. Edward Glenny legt im Rahmen der Reihe »Septuagint Commentary Series« zwei Bände vor, die sich mit den beiden ersten Büchern der griechischen Fassung des Zwölfprophetenbuchs, dem Dodekapropheton, befassen. Beide Kommentare folgen dem Konzept dieser Kommentarreihe, insofern sie sich ganz auf die Textfassung des Codex Vaticanus stützen. Dies ist insofern gerechtfertigt, als die berühmte Handschrift, die aus dem 4. Jh. n. Chr. stammt und heute in der Bibliothek des Vatikans aufbewahrt wird, die äl-teste, nahezu vollständige Fassung der altkirchlichen christlichen Bibel enthält.
Beide Kommentare sind gleich aufgebaut. Im 1. Teil werden re­lativ knapp einige Grundsatzfragen besprochen, wobei der Hoseakommentar auch eine Einführung in das Dodekapropheton als Ganzes enthält. Im 2. Teil wird der griechische Text des ur­sprünglichen Vaticanus rekonstruiert und, sehr lesefreundlich, auf der gegenüberliegenden Seite eine englische Übersetzung geboten. Die wichtigsten Varianten des griechischen Textes aus anderen Handschriften und wissenschaftlichen Texteditionen werden in einem Apparat angegeben, so dass man einschätzen kann, welche textlichen Besonderheiten der Vaticanus gegenüber anderen Fassungen aufweist. Im Falle des Amoskommentars, leider nicht beim Hosea kommentar, ist positiv zu würdigen, dass trotz normalisierter Minuskelfassung des Textes der christliche Manuskripte kennzeichnende Gebrauch der nomina sacra, eines Sets von Worten, die unmittelbar mit Gott selbst zu tun haben und in abgekürzter Schreibung dargeboten werden, im Text erkennbar bleibt. Im 3. Teil folgt dann der Kommentar. Am Schluss folgen ein Literaturverzeichnis und umfangreiche Register.
Gegenüber der Hypothese von einer durchgehend theologischen Konzeption des Übersetzers ist G. zurückhaltend. Überzeugender sei die Annahme, dass der Übersetzer, insbesondere bei der Übersetzung schwieriger Stellen, bei seinem Bemühen den originalen Sinn herauszufinden von seinen eigenen Verstehensvoraussetzungen geleitet gewesen sei. Völlig unbeabsichtigt habe ihn das hier und da zu kreativen Neuakzentuierungen geführt. Nur gelegentlich habe er auch bewusst eingegriffen und den Sinn seiner Vorlage verändert. Dies sei aber nur auf einer Ad hoc-Basis geschehen, kaum im Sinne einer durchgehenden und systematischen Eliminierung von Aussagen, die nach seiner Auffassung nicht akzeptabel waren, oder des planmäßigen Einfügens neuer religiöser Vorstellungen und Termini.
Ein grundlegendes Problem der Kommentare muss gleich vorneweg benannt werden: G. unterscheidet nicht sauber genug zwischen den zwei wesentlichen Phasen der Dodekapropheton-Überlieferung: der jüdischen Septuaginta und dem christlichen grie-chischen Alten Testament. Der Vaticanus ist eine christliche Handschrift, umfasst Altes und Neues Testament in einem Codex und gehört historisch in das 4. Jh. n. Chr. Der Schreiber des Vaticanus hat nicht selbst übersetzt, sondern hat eine griechische Vor-lage bearbeitet, die im 2. Jh. v. Chr. in Ägypten übersetzt wurde. Immer dort, wo das Verhältnis zur hebräischen Vorlage thematisiert wird, befindet man sich also im 2. Jh. v. Chr. und im Horizont des hellenistischen Judentums, und damit nicht schon auf der Ebene des Codex Vaticanus, den G. eigentlich interpretieren will.
Da sich die Bedeutung des griechischen Textes im Falle von Amos und Hosea nur geringfügig von der des MT unterscheidet, bringt die Lektüre des Kommentars für jemanden, der die hebräische Fassung kennt, inhaltlich wenig Neues. In einigen Fällen gibt es aber doch Interessantes, wenige Beispiele müssen genügen.
In Hos 1,9 wird geschildert, wie Hosea in einer Zeichenhandlung seinem Sohn auf Gottes Anweisung den grausamen Namen »Nicht mein Volk« geben muss. So wird das Ende des Bundesverhältnisses zwischen Gott und Israel zur Anschauung gebracht. Im MT wird an dieser Stelle eindeutig auf die Namensoffenbarung an Mose in Ex 3,14 angespielt. Dies habe der griechische Übersetzer erkannt, der vom Tempus seiner hebräischen Vorlage bewusst ab­gewichen sei (Präsens statt Futur), um eine Anspielung auf die griechische Übersetzung von Ex 3,14 zu gewährleisten, wo der griechische Text ebenfalls Präsens statt des hebräischen Futurs biete (71). Im griechischen Text gehe es im folgenden Vers (Hos 1,10 = MT 2,1) um die Wiederherstellung des Gottesverhältnisses Israels. Paulus zitiere dagegen in Röm 9,24–26 den Vers als Schriftbeweis dafür, dass auch die Heiden in das Gottesvolk eingegliedert werden (72). Auch wenn G. diese Konsequenz nicht explizit zieht, muss man folgern, dass der Vaticanus ebendieses paulinische Verständnis geteilt hat.
In Hos 13,4 gibt es den umfangreichsten Textüberschuss des griechischen Textes gegenüber dem MT im ganzen Dodekapropheton. Interessanterweise handelt es sich, wie ein Blick auf die hebräische Qumran-Rolle 4QXII(c) zeigt, um einen Überschuss, der schon in der Vorlage des Übersetzers enthalten war (172). Sehr pointiert wird in der Gottesrede erklärt, dass das »Himmelsheer« von Gott geschaffen sei und deshalb keine göttliche Verehrung genießen dürfe. Die Verben, die benutzt werden, leiten zu Am 4,13 über.
In Am 4,13 wird Gott dafür gepriesen, dass er »creates wind and proclaims to people his anointed« (23). Die Aussage von einer An­kündigung des Gesalbten an alle Menschen, nicht nur an Israel, findet sich im MT nicht. Die Lesart passe aber gut zu Am 9,12, wo, laut griechischem Text, gesagt wird, dass sich am Ende der Tage der Rest der Menschheit Gott zuwenden wird (86). Auf der Ebene des jüdischen Übersetzers reflektiert sich in der Lesart eine eschatologische Hoffnung auf das Auftreten eines Messias. Auf der Ebene des Vaticanus wird dieses Verständnis durch die Schreibung des griechischen »christos« als nomen sacrum noch unterstrichen. Im selben Vers wird auch »pneuma« als nomen sacrum geschrieben, was deutlich mache, dass es sich im Verständnis des Schreibers des Vaticanus um den göttlichen Geist und nicht um einen natürlichen Wind handele.
Die Idee der Kommentarreihe, den Vaticanus Buch für Buch zu kommentieren, ist sehr zu loben. Sie ist zum einen Ausdruck des wieder gewachsenen Bewusstseins, dass die neutestamentlichen Autoren, im Unterschied zu Jesus und seinen unmittelbaren Nachfolgerinnen und Nachfolgern, die kanonischen Schriften Israels auf Griechisch gelesen und auch auf der Basis des griechischen Wortlauts Jesus von Nazareth als Messias verstanden haben. Zum anderen bedeutet die Würdigung der griechischen Fassung als eines eigenständigen Werkes, womöglich mit einer eigenständigen theologischen Akzentuierung, ein Entgegenkommen gegenüber der orthodoxen Christenheit, die den Rückgriff auf die hebräische Fassung durch die westlichen Kirchen nicht mitvollzogen hat.
Die Kommentare stellen einen großen Schritt in der Erforschung der griechischen Fassungen von Hosea und Amos dar, weil viele Erkenntnisse der Forschung der letzten Jahre in einer übersichtlichen und systematischen Weise zusammengefügt und weitergeführt werden. Dies wird der Forschung am Dodekapropheton weiteren Auftrieb geben. Sicher ist es auch praktisch, im Zuge des Kommentars eine kritische Ausgabe der ursprünglichen Fassung des Vaticanus zu erhalten, der zwar in einer schönen, aber sehr teuren Faksimile Edition publiziert, aber leider noch nicht, wie der Codex Sinaiticus, frei im Internet zugänglich ist. Da die Leserschaft des Kommentars vor allem an dem interessiert sein wird, was die griechische Übersetzung von ihrer Vorlage unterscheidet, hätten diese Unterschiede, wie in der Septuaginta Deutsch, deutlich markiert werden können.