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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

798–800

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ammicht Quinn, Regina [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Guter« Sex: Moral, Moderne und die katholische Kirche.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2013. 228 S. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-77544-3.

Rezensent:

Ingo Reuter

Der freche Titel des Bandes war gleichzeitig Titel einer Tagung, die er dokumentiert, und führte im Vorfeld zu Konflikten mit dem Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der die Durchführung in der Akademie der Diözese verbot. Mit dem Thema Sex Späße zu treiben, ist kirchlich offenkundig immer noch eher schwierig möglich. Dass das nicht nur für die katholische Kirche gilt, sei aus Sicht des evangelischen Rezensenten zumindest angemerkt. Gleichwohl förderte die Diözese die Drucklegung des Buches. Schon dieses kleine Stück Entstehungsgeschichte des Bandes wirft ein Licht auf das prekäre Verhältnis zwischen Kirche und Sex und wann Letzterer denn »gut« sei. Die Beiträge des Bandes nehmen ihren Ausgang dann bei Fragen nach der Männlichkeit (aus deren Sicht ja Sexualität kirchlich lange genug konstruiert worden ist und wird) und kratzen an der klassischen Fassade des Männlichen mit Betrachtungen zum Wandel des Männlichkeitsbildes im Film. Der klassische Macho wird hier zunehmend transformiert, wie Theresia Heimerl u. a. an den James-Bond-Filmen aufzeigt. Überlegungen zur Askese im Christentum zeigen, wie diese von einer Form der Selbstbestimmung des Asketen zur domestizierten Klerikerexis­tenz mutierte. Und das zölibatäre Leben hat seinen Ursprung je­denfalls nicht im Neuen Testament, wie H. Lutterbach aufzeigt.
Im Kapitel über »Kirche, Körper, Konsequenzen« werden in un­terschiedlichen Beiträgen immer wieder die Fragen nach Reinheit und Sünde behandelt. E. Borgman profiliert hier mit Karl Rahner gegen die Theologie Papst Benedikts XVI. einen Kirchenbegriff, der die Kirche selbst als sündig zu verstehen vermag und nicht trennt zwischen Sündern, die es in der Kirche geben kann, und einer Kirche, die als quasi substanzielle Größe stets heilig bleibt. Aus einer solchen Perspektive, so zeigt es E. Fuchs, hat dann die Kirche stets Vorrang vor dem Einzelnen, was sich theologisch als fatal erweisen muss: Eine derart »schlüssige« Theologie, die Kirche stets als hei-lige Größe im Gegensatz zum Unheilig-Beschmutzenden sieht, das als Unfall dazwischenkommt, kann nicht nur der kirchlichen Wirklichkeit, sondern der Unschlüssigkeit der Wirklichkeit der Welt als Ganzer nicht gerecht werden (121). Dies ergänzt sich mit den pastoraltheologischen Überlegungen von R. Bucher, der eine Pastoral der Lebensformen statt dogmatischer Vorgaben für die Pluriformität von Beziehungsformen fordert. Speziell auf das ka­tholische Sakrament der Ehe bezogen zeigt er auf, dass ein von dogmatischen Vorgaben her denkendes Verständnis von Lebensformen letztlich keine andere Antwort auf die in Beziehungen immer auch sich ereignende Schuldgeschichte im Falle des Scheiterns weiß als den Ausschluss aus der Sakramentalität (130).
Reflektieren die Überlegungen zur Reinheit der Kirche ein Problem, das auch einen Unterschied zum protestantischen Kirchenbegriff verdeutlicht, so ist das Problem des Verhältnisses von dogmatischer Vorgabe und pastoral bzw. seelsorglich motivierter Reflexion von Lebensformen und Lebenslagen eines, das – wie zuletzt die Diskussion um das sogenannte Familienpapier der EKD aufzeigt – auch im protestantischen Bereich von hoher Relevanz ist. Gerade an Sexual- und Beziehungsthemen bricht immer wieder die Frage auf, wie das Verhältnis von Lebensweltwahrnehmung, seelsorglicher Praxis und dogmatisch-ethischer Reflexion zu bestimmen ist.
Hierzu bieten die Überlegungen von I. Quindeau und N. Reck über Homosexualität Impulse für eine konstruktive Provokation dogmatischen Denkens: Wie kann man bestimmte Lebensformen gegenüber anderen als wahre herausstellen, wenn diese gar nicht klar abgrenzbar sind? N. Reck behauptet, das eigentliche Unwohlsein der Kirche (oder zumindest von Teilen der Kirche) angesichts der Homosexualität entspringe daraus, dass es Homosexualität als solche gar nicht gebe. Vielmehr bilde das Begehren polymorphe Formen in unterschiedlicher Intensität aus. Starre Grenzen zwischen Homo- und Heterosexualität fallen da weg, wo man Sexualität als wandlungsfähige Orientierung betrachtet. Wo sich auch protes-tantischerseits noch vielfach ordnungstheologische Denkschemata zeigen, die meinen, sexuelles Begehren und Verhalten klar fassen zu können, geben solche differenzierten gendertheoretischen und gendertheologischen Überlegungen wichtige Denkimpulse.
Die »moralischen Fragen« im letzten Teil zeigen dann auf, dass das Neue Testament kein Lehrbuch einer normenorientierten Sexualethik sein kann und man folglich besser daran tut, die agapistische Liebesethik Jesu mit der vielgestaltigen heutigen Lebens- und Liebeswelt zu vermitteln. Das ist nicht neu, aber man kann es auch nicht oft genug sagen. Wo die Liebesethik Jesu im Mittelpunkt steht, können dann auch die Opfer von Missbrauch stärker in den Blick rücken, statt bei der Sorge um das Seelenheil der Täter zu verharren, woraus nach W. Schaupp in besonderem Maße eine Irritation zwischen Kirche und Öffentlichkeit entstand.
In der Pluralität der Beiträge kommen viele Aspekte des leicht bis mittelschwer gestörten Verhältnisses zwischen Kirche und Sex zum Ausdruck. Als roter Faden erscheint dabei die Frage nach dem Verhältnis zwischen pluriformer sexueller Lebensrealität und dogmatischer Reflexivität, wobei deutlich wird, dass hier eine Einbahnstraße des Denkens und das Beharren auf Eindeutigkeiten zu vermeiden sind. Ein lesenswerter Band – auch für Protestanten.