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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

754–757

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Blumenberg, Hans, u. Jacob Taubes

Titel/Untertitel:

Briefwechsel 1961–1981 – und weitere Materialien. Hrsg. v. H. Kopp-Oberstebrink u. M. Treml.

Verlag:

Berlin: Suhrkamp Verlag 2013. 349 S. Geb. EUR 39,95. ISBN 978-3-518-58591-7.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Dass sich Hans Blumenberg und Jacob Taubes wirklich nahe ge­kommen sind, wird man nicht behaupten können. Hier trafen zwei menschlich und intellektuell sehr unterschiedliche Charaktere aufeinander, die zumindest eines verbunden hat: das Interesse an ideengeschichtlichen Fragen, insbesondere der Säkularisierung in­nerhalb der christlichen Tradition. Der hier anzuzeigende Briefwechsel gibt einen Einblick in jene zunehmend schwierige Beziehung, deren Korrespondenz in über 20 Jahren insgesamt 58 Briefe umfasst, wobei 41 von Taubes stammen. Der erste Brief von 1961 geht wiederum auf Taubes zurück; es schließt sich ein Austausch an, der zwischen Wertschätzung und Reserve zuletzt zu Zweitem tendiert, so dass die Lücken im Dialog zunehmen und der Ton, vor allem Blumenbergs, unversöhnlicher wird.
Jene Korrespondenz ist auch in anderer Hinsicht belastet. Vieles bleibt in den Briefen in Andeutungen stecken. Es gibt wenige Punkte, die in den hier versammelten Dokumenten eingehend diskutiert würden oder den aus anderen Publikationen bekannten Mustern wirklich neue Facetten hinzufügen könnten. Zudem schreiben beide Autoren überaus voraussetzungsreich, so dass der Anmerkungsapparat häufig unverzichtbar ist, um sich jene historischen und personellen Hintergründe erschließen zu können. Dem eigentlichen Briefwechsel sind meist unveröffentlichte Materialien beigegeben (209–336), die die Zusammenhänge des nur Angedeuteten erhellen, genauso wie es das umsichtige Nachwort des Herausgebers H. Kopp tut.
Institutionell betrachtet sind beide, der Religionsphilosoph und Judaist Taubes und der Philosoph und Wissenschaftshistoriker Blumenberg, an zwei Orten aufeinander getroffen. Blumenberg gehörte bekanntlich zu den Mitbegründern der Gruppe »Poetik und Hermeneutik«, aus der er sich hingegen bereits 1967 zu­rückgezogen hatte. Taubes war ab 1963 an den Treffen regelmäßig be­teiligt, so dass eines der immer wieder auftauchenden Themen zwangläufig die Ausgestaltung und Organisation jener Arbeit war. Es wird deutlich, wie bewusst es beiden gewesen ist, welches »Wunder« jene Gruppenarbeit eigentlich bedeutete, aber auch, wie fragil diese Kooperation als eine der wichtigsten Kapitel der intellektuellen deutschen Nachkriegsgeschichte gewesen ist (121). Den anderen Treffpunkt beider bildet die herausgeberische Arbeit beim Suhrkamp-Verlag, vor allem für die dann mehrfach umstrukturierte »Theorie«-Reihe. Schon in diesem Kontext werden die Unter schiede beider Denker und Autoren greifbar. Während Blumenberg wiederholt das angespannte Verhältnis zum Verlagschef, Siegfried Unseld, andeutet, um überaus besorgt auf die rechte Be­treuung seines »Vielleicht-Lebenswerk[s]« zu blicken (184), zieht der unermüdliche Taubes beratend die Fäden, insbesondere bei Fragen religiöser und religionsphilosophischer Publikationen. (Der später gegründete »Verlag der Weltreligionen« geht der Idee nach auf Taubes zurück; vgl. Nachwort, 329). Dies hatte sich bereits darin gezeigt, dass Blumenberg überhaupt Suhrkamp-Autor wurde: Dass die gesammelten frühen Texte zur Kopernikanischen Wende an jenem Ort erscheinen konnten, ging entscheidend auf Taubes’ Betreiben zurück (38).
Trotz der in den Briefen nur angedeuteten inhaltlichen Debatten können bestimmte Fragen herausgehoben werden. Erstens zeigt sich Taubes unzufrieden mit Blumenbergs Depotenzierung des Mythos ins Ästhetische (so in Poetik und Hermeneutik IV). In seinem hier wiederabgedruckten »Votum« zum Blumenbergschen Aufsatz gibt er zu bedenken, dass die Erzählung des Mythos auch dem Versuch gleichen könne, an dessen fascinosum et tremendum Anteil zu haben (260). Ebenso kritisiert Taubes, zweitens, die These Blumenbergs, wonach sich die Allmacht Gottes der Narration strukturell entziehe, da Allmacht stets die kürzeste Verbindung zweier Punkte suche, während die Erzählung auf Umwege angelegt sei; doch dagegen spreche, so Taubes, das biblische Zeugnis, das Gottes Allmacht gerade in narrativen Umwegen spiegele (262–264). Drittens zeichnet sich ein Disput mit Blick auf die Dynamik der ›Säkularisation‹ ab. Schon in der Kopernikanischen Wende hatte Blumenberg das Modell der Umbesetzung als Kritik eines substanzialistischen Verständnisses der Säkularisierung vorgetragen (dazu Taubes 266 f.). Sollte mit jener Umbesetzung eine schleichende Eliminierung theologischer Gehalte gemeint sein, weckt auch diese These Taubes’ Kritik. Er geht vielmehr davon aus, dass jene Gehalte mindestens subkutan fortbestehen, und von Umbesetzungen nur im Modus der Transformation des Ursprünglichen gesprochen werden könne (333).
Über die Bezeugung der Gegensätze jedoch gelangen beide in jenen Briefen nicht hinaus. Etwas anderes aber geschieht, nämlich die Entfremdung beider, die bis zuletzt jedoch den impliziten Bruch im Ungesagten belässt. Erste Frakturen zeichnen sich sehr bald ab, nicht aber durch die inhaltlichen Differenzen, sondern im Umgang mit ihnen. Taubes’ Gestus offensiver Kritik in der Hoffnung, Persönliches dadurch nicht zu beschädigen, musste Blumenberg missfallen; sein Verletzungspotential war zu groß für diese Art, Kritik zu verarbeiten. Und so stellt er recht bald die »Hoffnungslosigkeit, mit der wir aneinander vorbei reden«, fest (65), während sich Taubes entweder »tief erschüttert« zeigt (70) oder vermittelnde Dritte, wie Hans Robert Jauß, einschaltet (siehe Brief 34a).
Blumenberg kann oder will mit Taubes’ »pflichtgemäße[m] Pensum an Attacke« nicht umgehen (173) und mutmaßt gar, dieser sei daran beteiligt, den Mythos zu befeuern, er, Blumenberg, sei im Umgang »schwierig« (167). Doch sind es erst die privaten, hier mitabgedruckten Aufzeichnungen Blumenbergs, die dokumentieren, wie wenig übriggeblieben ist von der anfänglichen Wertschätzung für den »Partner Taubes« (120). Als wiederum Jauß Blumenberg bittet, den Nachruf auf den 1987 verstorbenen Taubes zu verfassen, lehnt dieser ab. Allerdings nicht ohne sich privatissime seiner Abneigung gegen den Kritiker Taubes zu versichern, der selbst nur dadurch der Kritik entgangen sei, dass er nichts Bleibendes habe hinterlassen können (284.292).
Was an dieser Korrespondenz interessant ist, sind weniger ihre inhaltlichen oder wissenschaftspolitischen Aspekte, sondern die Art und Weise, wie hier zwei vollkommen verschiedene Typen in Arbeitsweise und Lebensstil aufeinandertreffen. Es ist bekannt, dass Blumenberg sich zunehmend zurückzog und alles der Hervorbringung seines »Vielleicht-Lebenswerk[s]« unterordnete. Eben dafür waren seiner Ansicht nach »konsolidierte Verhältnisse« nötig und »riskante Operationen« unbedingt zu umgehen (171). Taubes steht hingegen für das genaue Gegenteil: Er lebte nicht in Orten wie Butzbach, sondern in New York und Berlin, pendelte in den 1960er Jahren zwischen den Kontinenten und hatte auch familiär einige Turbulenzen zu überstehen. Zu diesem »Wanderleben« passte das Genre des großen Entwurfs kaum (76). Vielmehr kamen der Unstetigkeit beweglichere Formen des Wortes entgegen. Nicht ohne Reminiszenz an seine Ausbildung als Rabbiner ist der Kommentar jene Ausdrucksform geworden, durch die Taubes am ehes­ten schriftlich wirken konnte (297 f.306).
Es gibt ohne Frage dichtere, gewichtigere, auch (trotz Taubes’ Humor) unterhaltsamere akademische Korrespondenzen; man denke an das zuletzt traurig scheiternde Engagement zwischen Barth und Bultmann, die leicht skurrile Entfernung Heideggers von seinem Marburger Freund oder den ganz unwahrscheinlichen Austausch zwischen Taubes und Carl Schmitt. Und dennoch bringt diese verdienstvolle und bestens aufbereitete Herausgabe der Briefe zwischen Blumenberg und dem drei Jahre jüngeren Taubes et­was durchaus Eigenes, auch Eigentümliches zutage: nämlich Elemente eines intellektuellen Psychogramms, dessen Muster in der Resonanz am anderen besonders sichtbar werden. Im vorliegenden Fall ist dieser Andere zwar nicht der ganz Andere, aber der fremd bleibende Andere. Die Weise, sich Themen anzueignen und sie zu bearbeiten, verbindet wohl stärker, als es diese Themen selbst tun könnten. Es stimmt nachdenklich, wie sehr der vorliegende Briefwechsel als ›Schiffbruch mit Zuschauer‹ diese These bestätigt.