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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

739–740

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Müller, Tom

Titel/Untertitel:

Der junge Cusanus. Ein Aufbruch in das 15. Jahrhundert.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2013. 216 S. EUR 14,80. ISBN 978-3-402-13029-2.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Tom Müller legt mit seiner Monographie, die im Rahmen eines Drittmittelprojekts entstanden ist, erstmals, wie er schreibt, eine Biographie der ersten Lebenshälfte des Nikolaus von Kues vor, bevor seine philosophisch-theologische und (kirchen-)politische Wirksamkeit sich entfaltete. Er hat die in den Acta Cusana publizierten Urkunden verarbeitet, darüber hinaus auch viele andere Urkunden und Zeugnisse von Zeitgenossen des Nikolaus von Kues herangezogen und so die Biographie in das kirchliche, politische und kulturelle Umfeld eingebettet. Zwar haben durchaus schon vor ihm die Biographen des Nikolaus seine erste Lebenshälfte berücksichtigt (E. Meuthen, K.-H. Kandler, K. Flasch, N. Winkler, um nur die letzten zu nennen), aber durch die umfassende Berücksichtigung des Umfelds gelingt es M., diese 30 Lebensjahre (1401–1430/31) lebendig vor Augen zu führen.
So bekommen die spärlichen Nachrichten vor allem aus den ersten beiden Jahrzehnten ein Gesicht. Ausführlicher werden dann die Studienjahre (Heidelberg, Padua, Köln) dargestellt. In Padua schloss Nikolaus zahlreiche Bekanntschaften mit italienischen Hu­manisten (Toscanelli, Cesarini, Poggio u. a.). Seine Leidenschaft für das Sammeln von Handschriften wird beschrieben. In Köln lernte er Heymericus de Campo kennen, wobei M. meint, er sei weniger dessen Schüler als vielmehr dessen Kollege gewesen, da der Doktor der Kanonistik Nikolaus offensichtlich hier bereits als Dozent tätig war. Während er schon vorher die Schriften des Raimundus Lullus kannte, lernte er durch Heymericus den Kölner »Albertismus« und die Schriften des Ps.-Dionysios Areopagita kennen, später kamen dann die von Meister Eckhart hinzu.
Zeit seines Lebens »sammelte« Nikolaus Pfründen. Wenn es auch richtig ist, dass diese zum Lebensunterhalt von Klerikern nötig waren, so stimmt es doch nicht, dass seine Zeitgenossen daran kaum Anstoß genommen hätten (78). Im Gegenteil, seine späteren Gegner haben dies durchaus kritisiert, vor allem auch, weil er selbst Nepotismus betrieb, den er vorher kritisiert hatte. M. geht auch nicht darauf ein, dass sich die Pfründeninhaber (auch Nikolaus) zumeist durch schlecht besoldete Vikare vertreten ließen.
Wir erfahren weiter, wie Nikolaus »interdisziplinäre Studien« trieb (110–122), vor allem wie er als Jurist in mancherlei Streitigkeiten verwickelt wurde. Sein von E. Meuthen umfangreich geschildertes Wirken im Zusammenhang mit dem sogenannten Trierer Schisma und sein Eintreten für den Erzbischofskandidaten Ulrich von Manderscheid wird aufgeführt. Auch wenn Nikolaus dabei unterlag, seiner Karriere tat das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Dem Basler Konzil wurde er kooptiert, auf dem er für Ulrich tätig war. Cusanus war nun »als angesehener Jurist und Gelehrter auf der Bühne der internationalen Politik angekommen, die als der Ausgangspunkt seiner weiteren Laufbahn und damit einhergehend auch seines reichhaltigen literarischen Schaffens angesehen werden muss« (134).
Zuletzt kommt sein Wirken als Dekan des Stiftes St. Florin in Koblenz (reichlich kurz) zu Wort. Hier hat er – noch als Diakon – vermutlich seine erste Predigt gehalten. Von ihr meint M. zu Recht, dass in ihr »erstmals das philosophisch-theologische Ringen an das Licht der Öffentlichkeit« drang: »es ist ein Ringen um die Namen Gottes und die Beschränktheit des menschlichen Geistes beim Erforschen und Erkennen dieser Namen« (136). Wäre hier nicht ein Ausblick auf dieses Ringen am Platze gewesen? H.-G. Sengers Monographie »Die Philosophie des Nikolaus von Kues vor dem Jahre 1440« (1971), das im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt wird, wäre dazu sicher ertragreich gewesen.
Insgesamt betrachtet hat M. ein interessantes Werk vorgelegt, das die vorliegenden Urkunden und weithin auch die vorhandene Literatur berücksichtigt und für die erste Lebenshälfte des Nikolaus aufarbeitet.