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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

687–700

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Johannes Corrodi Katzenstein

Titel/Untertitel:

Eric Voegelin und die Ontologie des politischen Liberalismus*

I Einführung: das Ende der Geschichte

Gut 20 Jahre sind vergangen, seit der nordamerikanische Sozialwissenschaftler Francis Fukuyama die These vom Ende der Geschichte vorgebracht hatte.1 Die These bestand darin, dass die globale Weltordnung sowie die geistige Evolution der Menschheit in liberaler Demokratie und Kapitalismus münden sollte. Westliche Gesellschaften standen an der Spitze einer historischen Entwicklung, die mehr als historisch-kontingenten Charakter hatte. Die innere Logik dieser Entwicklung war vom universalen Geschichtsprozess selbst vorgegeben.2 Ihr faktischer Verlauf in der Zukunft mochte zwar offen sein, doch am Endziel des Prozesses gab es prinzipiell nichts mehr zu rütteln. Politische Geschichte konnte und musste deshalb vom antizipierten Ende des Geschichtsprozesses her verstanden werden. In der äußeren oder empirischen Realität spielte sich ein zielgerichteter Prozess ab, der gleichsam einer inneren Logik folgen und einen tieferen Sinn haben sollte.

Das Denkmuster hinter der These, dass Geschichte eine erkennbare Struktur aufweise, ist nicht neu. Es hat vielmehr eine lange und komplexe Geschichte. Der für den sogenannten »Westen« vielleicht wichtigste und wirkmächtigste Ausdruck dieses Denk-musters war die geschichtstheologische Konzeption des lateinischen Kirchenvaters Augustinus von Hippo, der zwischen einer civitas terrena und einer civitas Dei unterschieden hatte. Irdische Städte, Reiche und Zivilisationen entstehen und vergehen, die eine himmlische Stadt (»Gottesstaat«) aber bleibt in Ewigkeit bestehen. Nun gibt es ohne Zweifel viele und entscheidende Unterschiede zwischen der geistigen und sozialpolitischen Situation eines Augustinus und unserer heutigen Situation. Aber es gibt auch gemeinsame Strukturmerkmale.

Der politische Philosoph Eric Voegelin (1901–1985) hat zur Erhellung von Kontinuität und Diskontinuität in der politischen Geschichte seit ihren dokumentierten Anfängen Wesentliches beigetragen. Nach ihm bezieht die augustinische Unterscheidung zwischen einer historia sacra (»Heilsgeschichte«) und einer profanen Geschichte ihre prägende Kraft und bleibende Berechtigung aus einer wie auch immer dunkel geahnten und unzureichend symbolisierten »transzendenten« Richtung des Geschichtsprozesses einerseits, und dem »zeitlichen« Aufstieg und Niedergang politischer Ordnungen andererseits. Voegelin schreibt: »Die ausdrückliche Partnerschaft mit Gott [enthebt] eine Gesellschaft der Ebene der profanen Existenz und konstituiert sie als Repräsentantin der civitas Dei in historischer Existenz.«3

Dem muss natürlich sofort hinzugefügt werden, dass die zur Deutung des pragmatischen Geschichtsverlaufs jeweils hervorgebrachten Symbole und Paradigmen ihrerseits eine Geschichte haben – die Aufklärung und der deutsche Idealismus z. B. sprechen nicht so direkt wie Augustinus von göttlicher Vorsehung, sondern mit Adam Smith von einer unsichtbaren Hand oder mit G. W. F. Hegel von der List der Vernunft, die in der Geschichte walten sollen.4 Doch die Suche nach einem organisierenden Sinnzentrum menschlicher und gesellschaftlicher Existenz ist gemäß Voegelin allen Epochen gemeinsam. Die fundamentale Tatsache, dass Menschen, wie Charles Taylor sagt, »selbst-interpretierende Tiere« sind,5 hat für ihn immer religiös-spirituelle und politische Im-plikationen zugleich. Die paradigmatische und die pragmatische Dimension des Geschichtsprozesses können nicht voneinander getrennt werden. Geschichte ist deshalb nicht nur – und auch nicht primär – der Ablauf historischer Fakten innerhalb eines immanenten Weltgeschehens, sondern, wie Peter J. Opitz schreibt, ein »Prozess zunehmender Einsicht und Einstimmung in die Ordnung des Seins, an dem der Mensch durch seine Existenz partizipiert«.6

Dieser Prozess der Einstimmung in die »wahre« Ordnung des Seins ist nun aber durch eine grundlegende Spannung gekennzeichnet. An dieser Stelle treffen wir auf die vielleicht zentralste Metapher, die Voegelins Denken lenkt und prägt. Menschliche Exis­tenz ist im Innersten gekennzeichnet durch die Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit oder zwischen Unvollkommenheit und Vollkommenheit.7 Unser Leben als Individuen und Gesellschaft spielt sich unweigerlich in diesem »Zwischen-Zustand« (metaxy) ab.8 Diese Spannung ist für Voegelin selbst dann eine unauflösbare Realität, wenn ihr nicht jeder und jede von uns subjektiven Raum im eigenen Bewusstsein gewährt – und selbst dann, wenn sich ganze Teile der Gesellschaft gegen diese Spannung auflehnen oder sich aktiv vor ihr verschließen. Denn »das Wissen des Menschen um die Spannung zum göttlichen Seinsgrund«9 ist für Voegelin gewissermaßen Ursprung und Motor von Geschichte im eigentlichen Sinn. Die zeitliche Erfahrung dieser Spannung ist kulturhistorisch natürlich äußerst variabel. Das zeigt sich in der komplexen und dynamischen Vielfalt der verschiedenen Ordnungssymbole, die aus dieser Erfahrung hervorgehen. Zugleich können Gebrauch und Tradierung solcher Symbole die Erfahrung der Begegnung von Gott und Mensch, die in ihnen zum Ausdruck kommt, immer auch verdunkeln und entstellen. Das geschieht in erster Linie dann, wenn ein symbolischer Komplex, anstatt einen meditativen Nachvollzug der ihm entsprechenden Erfahrung im eigenen Bewusstsein an-zustoßen, einer »realistischen« Ausdeutung zum Opfer fällt. Die Elemente eines Symbolkomplexes werden begrifflich auseinandergerissen und vergegenständlicht bzw. auf logisch-numerisch dis­tinkte »Dinge« und Ereignisse in der »äußeren« Wirklichkeit be­zogen. 10

Die Vielfalt von Ordnungssymbolen und ihren Deformationsmöglichkeiten steht wiederum in engem Zusammenhang mit der Vielfalt konkreter Gesellschafts(un-)ordnungen, deren jeweilige Legitimität durch bestehende Ordnungssymbole bekräftigt und durch neue Symbole in Frage gestellt wird. Ich möchte dies mit einem Beispiel von Voegelin selbst illustrieren:

Im [Platonischen Dialog] Gorgias stehen Sokrates und Kallikles einander als die Repräsentanten der neuen Ordnung und des Widerstands gegenüber. Die Entscheidung über die richtige Ordnung, die in der Zeit mit dem [Todes-]Urteil der Athener über Sokrates fällt, wird in der Ewigkeit ausgetragen durch das Totengericht. Die Pole der seelischen Spannung treten im geschichtlichen Feld auseinander in die Menschen, die der »Zeit« verfallen sind, und die anderen, die auf die »Ewigkeit« hin leben; in die »Lebenden«, die durch den Glanz der Zeit in den Tod gehen, und die »Toten«, die durch ihr Leben in der Spannung des Gerichts in die Ewigkeit gehen.11

Voegelins Analysen und Erkundungen des Geschichtsprozesses und seiner politischen (Un-)Ordnungen sind sowohl historisch ausgreifend wie geschichtsphilosophisch tiefschürfend. Das macht deren Kurzzusammenfassung so gut wie unmöglich. Schon seit Beginn der 1940er Jahre hatte Voegelin in der geplanten History of Political Ideas einen Entwicklungsbogen skizziert, der die christlichen Sektenbewegungen des 10. Jh.s, die endzeitliche Geschichtsspekulation eines Joachim von Fiore, die Reformation, die progressivistischen Geschichtskonstruktionen der Aufklärung sowie die ideologischen Massenbewegungen des 20. Jh.s miteinander verbinden sollte.12

Dieser Ansatz ist, wie man sich leicht vorstellen kann, nicht überall auf Gegenliebe gestoßen. Im Gegenteil muss man wohl sagen, dass Geschichtstheologie und Geschichtsphilosophie heute wie zu Voegelins Zeiten eher eine akademische Randexistenz führen. Der von verschiedener Seite erhobene Vorwurf, philosophisches Geschichtsdenken sei bloße Spekulation, die zudem meist noch westliche Überlegenheitsphantasien zum Ausdruck bringe, trifft nicht vollständig daneben.13 Hier liegt denn auch ein Teil der Erklärung, warum Voegelin bis heute seinen Platz unter den großen Denkern des 20. Jh.s nur zögerlich einnehmen konnte.14 Ge­schichtsdenken als solches ist vielen suspekt geworden. Daran konnte auch die Tatsache nicht viel ändern, dass ein beträchtlicher Teil von Voegelins Analysen den Wurzeln genau der geistig-ideologischen Verwirrungen gewidmet ist, die das Europa der ersten Hälfte des 20. Jh.s an den Rand des Abgrundes und den Autor beinahe um seine eigene Freiheit gebracht hatten.

Die Suche nach den Wurzeln der geistigen und politischen Krise sowie nach möglichen Auswegen führte Voegelin weit in die Vergan­genheit zurück.15 Die Folgen für unser Thema sind schnell be­nannt: Der deutschstämmige Naziflüchtling Voegelin ist dermaßen Philosoph der globalen Krise des 20. Jh.s, dass er nicht nur die faschis­tischen und kommunistischen, sondern auch die liberal-demokratischen und kapitalistischen Kräfte der Moderne zutiefst in diese Krise verstrickt sah – und den Liberalismus gerade nicht, wie Fukuyama und manche andere, als deren innere Überwindung betrachtete.16 Dass die Krise auf der pragmatisch-weltpolitischen Ebene umschifft werden konnte, hieß für Voegelin nicht, dass deren geistig-spirituellen Langzeitdeterminanten nicht mehr weiterwirkten.

Kurzum: Eric Voegelin gilt als radikaler Kritiker der Moderne.17 Wie ich im Folgenden nun zeigen möchte, liegt aber genau hier seine Aktualität. Die Inspirationsquellen seines intellektuellen Wi­derstandes gegen alle Versuche, den Geschichtsprozess von hinten, d. h. vom illusionären Standpunkt seiner antizipierten Vollendung in der Weltzeit zu denken, liegen in der griechischen Philosophie, in der biblischen Offenbarung und darüber hinaus in allen Traditionen, die der spekulativen oder revolutionären Versuchung wi­derstehen konnten, das Ende und Ziel der Geschichte in die Ge­schichte selbst hineinzuziehen.

Hier ist ein programmatisches Statement von Voegelin anno 1957 zur Aufgabe der geschichtsphilosophischen Erforschung der symbolischen und politischen Ordnungen der Menschheit:

Das Studium der Ordnung hat nicht den Zweck, die Primitivität, die Naivität, den Mangel an Logik oder die generelle Umnachtung vergangener Epochen zu enthüllen; sie [sic!] soll im Gegenteil Menschen zeigen, die von derselben Natur wie wir sind und mit denselben Problemen kämpfen wie wir, wenn auch unter den Bedingungen kompakterer Realitätserfahrungen und dementsprechend weniger differenzierter Symbole. Dieses Problem der Geschichtsinterpretation ist kaum noch erkannt, und die Arbeit einer Neuinterpretation des historischen Materials nach kritischen, nichtideologischen Relevanzprinzipien steht noch in den ersten Anfängen.18

Voegelin ist also definitiv kein Fortschrittstheoretiker. Damit komme ich noch einmal kurz zurück zu Fukuyama. Dieser hat die eingangs erwähnte These vom Ende der Geschichte in ihrer ursprüng-lichen Form später zurückgenommen. Damit hat sich an der politischen Grundstimmung aber nicht viel geändert. Die Idee der liberalen Demokratie ist und bleibt für viele die zumindest implizite default position der politischen und sozialen Ordnung aller mo-dernen Gesellschaften.19 Die ehemaligen Feinde des politischen Liberalismus im 20. Jh. – allen voran Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus – sind diskreditiert und von der Weltbühne weitgehend verschwunden.20 Wenn heute der globalen Gesellschafts(un-)ordnung Gefahr droht, dann kommt diese nunmehr von »innen«, etwa in der Form von religiösem Fundamentalismus und Nationalismus. Dieses Bild unserer gegenwärtigen Situation ist weit verbreitet. Diejenigen, die aktiv zur Verbreitung des Bildes beitragen, sprechen manchmal von einem Sieg der Freiheit, der Vernunft und der Menschenrechte – ein Sieg, den es unter nunmehr globalen Bedingungen auch im 21. Jh. gegen die Feinde der liberalen Demokratie zu verteidigen gilt.21

II Ursprung, Definition und Folgen des politischen Liberalismus

Wenn wir diesem Bild folgen, fällt auf, dass wir in gewissem Sinn wieder beim Ursprung der modernen westlichen Gesellschaftsordnung angelangt sind. Die Idee einer liberalen Demokratie wird nach gängiger Geschichtsschreibung zum ersten Mal im England des 17. Jh.s greifbar. Anders als z. B. in den Niederlanden hatte sich hier kein tragfähiger modus vivendi zwischen den religiös und politisch zerstrittenen Kräften herausgebildet. Die Folge war ein offener Bürgerkrieg. Die Furcht vor religiöser und politischer Ge­walt in großem Stil legte sich wie ein Schleier über weite Kreise der europäischen Bevölkerung. Der traumatisierenden Wirkung dieser Furcht war nur schwer zu entkommen. Und hier beginnen auch die Probleme, die uns heute noch, oder heute wieder vermehrt, beschäftigen.

Den Vordenkern des politischen Liberalismus im 17. Jh. schien der einzig mögliche Ausweg aus der offenen gesellschaftlichen Gewalt in der Unterordnung von »offenbartem« Glauben unter die »rationale« Staatsgewalt zu liegen. Später geht die liberale Staatsidee dann einher mit der Trennung von Religion und Staat, d. h. mit der religiösen und weltanschaulichen Neutralität desselben.22 Religion und Politik sollten zwei möglichst getrennte oder unabhängige Bereiche bilden. Die Einheit von Staat und Gesellschaft setzt in liberaler Perspektive also keine äußere religiöse Einheit mehr voraus. Im Gegenteil, gesellschaftspolitische Einheit verlangt nach einer Vielzahl religiöser Ausdrucksweisen, um den vielfältigen Bedürfnissen der Individuen gerecht zu werden. Der privaten Religion steht somit das öffentlich-rechtliche Gemeinwesen des Staates gegenüber, der die Koexistenz aller religiösen Lebensformen ermöglicht, selbst aber durch säkulare Vernunftprinzipien legitimiert ist.23 Daraus ergibt sich, mit Nicholas Wolterstorff gesprochen, folgende Konzeption einer liberalen Demokratie:

Liberale Demokratie ist die Herrschaftsform, die allen Menschen in ihrem Jurisdiktionsbereich den gleichen gesetzlichen Schutz und die gleichen Rechte und Freiheiten gewährt, ihr Leben nach eigenem Gutdünken zu leben, sowie die Neutralität des Staates gegenüber allen Religionen und umfassenden Lebensorientierungen in der Gesellschaft fordert.24

Wenn in der philosophischen Debatte der vergangenen Jahrzehnte nun intensiv über den Ort religiöser und philosophisch-weltanschaulicher Überzeugungen und Argumente im öffentlich-politischen Meinungsbildungsprozess gestritten wird, dann hat das genau hier seinen Grund. Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Schriften vieler derjenigen hindurch, die über den politischen Liberalismus theoretisiert haben. Die These hat sich weitgehend eingebürgert, dass zumindest religiöse Argumente im öffentlich-politischen Diskurs nicht, oder nur in eingeschränkter Form, zugelassen werden sollten. Von guten Bürgern und Bürgerinnen wird mit anderen Worten eine epistemisch-kognitive Selbstbeschränkung bezüglich der eigenen politischen Meinungsbildung und Überzeugungsarbeit verlangt. Religiöse Argumente sollen keinen bestimmenden Einfluss auf die Diskussion und Etablierung rechtlich-politischer Sachverhalte ausüben.25

So weit, so gut, könnte man sagen. Nun ist aber leicht einzusehen, dass wir hier vor einem Dilemma stehen. Denn die geforderte Selbstbeschränkung verstößt direkt gegen das Gleichheitsprinzip in der Idee der liberalen Demokratie. Die Idee der selbstbestimmten Lebensführung erfordert prinzipiell, dass sich religiös-weltanschauliche Traditionen und Gemeinschaften an ihren eigenen Symbolen, Geschichten und Überzeugungen orientieren können, um sich eine politische Meinung zu bilden, und andere davon zu überzeugen.26 Wie sollte die Forderung der religiös-kognitiven Selbsteinschränkung kompatibel sein mit der Idee einer liberalen und toleranten Gesellschaft?27 In der »post-säkularen« Gesellschaft gewinnt diese Frage immer mehr an Brisanz.

Man könnte nun freilich argumentieren, dass sich an diesem Punkt die Bürger und Bürgerinnen eines modernen Staates eben nicht an den liberalen Tugenden orientieren sollten, an denen sie sich sonst orientieren. Das Ideal des Liberalismus muss vielmehr immer dann zurückgestellt werden, wenn die liberaldemokra-tische Gesellschaftsordnung als solche auf dem Spiel steht. Denn, so eine öfters publizierte Meinung, Religion ist einfach zu gefährlich, zu oft Quelle von Gewalt und Konflikt, dass religiöse Argumente dasselbe Recht auf öffentliches Gehör und Anerkennung beanspruchen könnten wie nicht-religiöse oder wie »rein« politische Argumente.28 Religiöse Gemeinschaften sollten so gesehen nie mehr als den Status von verfassungsmäßig tolerierten Minderheiten haben, deren Rechte immer dann legitim beschnitten werden, wenn der Gebrauch dieser Rechte den gesellschaftlichen Frieden stört – wobei der gesellschaftliche Friede in dieser Theorie durch ein geteiltes »säkulares« bzw. »rationales« Ethos gestiftet wird.

III Politischer Liberalismus in der Kritik


Die eben dargestellte Art von Argumentation schränkt die Idee der liberalen Gesellschaft in Sachen Religionsfreiheit deutlich ein. Dadurch provoziert sie den naheliegenden Einwand, dass die Theorie des politischen Liberalismus nicht länger ein formales Regelwerk der Gesellschaft im Blick hat, sondern ihrerseits zu einer substantiellen (»säkularen«) Religion oder Weltanschauung wird.29 Wenn ich recht sehe, wird diese Kritik in der gegenwärtigen Literatur immer öfter und eindringlicher erhoben, und zwar gerade auch von Theoretikern und Theoretikerinnen, die eine liberal-demokratische Gesellschaftsordnung grundsätzlich befürworten.30 Wie bereits Voegelin vor ihnen sehen viele dieser Kritiker das Ideal des politischen Liberalismus im 20. Jh. durch einen mehr oder weniger latenten Säkularismus bedroht, auch wenn sie in der Analyse des besagten Phänomens nicht so weit gehen mögen wie Voegelin selbst. Auf dem Hintergrund seines Denkansatzes versteht Voegelin diesen Säkularismus nämlich als paradoxe Folge einer »Vergottung«31 bzw. Verabsolutierung innerweltlicher Ordnungsstrukturen, wodurch die transzendente Dimension von Geschichte und Gesellschaft unweigerlich verdunkelt wird.32 Die aktuellen Debatten um den merkwürdig oszillierenden Status eines säkularistischen Paradigmas in Politik, Philosophie und Wissenschaft, das selbst innerweltlich-religiöse Züge angenommen hat, würde ihn also kaum erstaunen. Denn wenn es stimmt, dass jede Gesellschaftsordnung in der unauflösbaren Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen materiellem Fortbestand und eschatologischer Erfüllung existiert, dann kann der transzendente Pol dieser Spannung auf Dauer nicht leer oder gänzlich unbestimmt bleiben.

An dieser Stelle tritt die Herausforderung, die Voegelins Denken für jeden vermeintlich religiös »neutralen« Säkularismus darstellt, deutlich zutage. Aber auch das Christentum und die christliche Theologie geraten in die Schusslinie seiner Kritik. Voegelins Be­stimmung des »Wesens des Christentums« als »Ungewissheit«33 geht von der Überzeugung aus, dass die Inkarnation Gottes in Jesus Christus die maximale Differenzierung des menschlichen Be­wusstseins im metaxy symbolisiert.34 Die Gegenwart Gottes ist hier zugleich vollständig immanent-anwesend und transzendent-un­verfügbar. Dadurch fällt die zwischen Gott und Mensch vermittelnde Hierarchie kosmischer Zwischenwesen in einer »Welt voller Götter« vollends in sich zusammen. Mit den alten Göttern geht aber auch das Gefühl der Sicherheit verloren.35 Was bleibt ist ein Glaube, den Voegelin mit folgenden eindringlichen Worten be­schreibt:

Durch die De-Divinisation der Welt wird die Kommunikation mit dem welttranszendenten Gott auf die schwache Bindung des Glaubens im Sinne von Hebr. 11,1 als der Substanz der erhofften und des Beweises der ungeschauten Dinge beschränkt. Ontologisch ist die Substanz der erhofften Dinge nirgends als im Glauben zu finden; und epistemologisch gibt es für die ungeschauten Dinge keinen anderen Beweis als wiederum diesen Glauben. Das Band ist schwach in der Tat und leicht kann es reißen. Das Leben der zu Gott hin geöffneten Seele, das Warten, die Zeiten der Dürre und Mattigkeit, der Schuld und Betrübnis, der Zerknirschung und Reue, der Verlassenheit und der gläubigen Hoffnung, der stillen Regungen von Liebe und Gnade, zitternd an der Schwelle einer Gewißheit, die, wenn sie gewonnen, ein Verlust ist, – gerade die Schwerelosigkeit dieses Gewebes mag sich als zu schwere Belastung für Menschen erweisen, die auf handfesten Besitz aus sind. Die Gefahr, daß ein Zusammenbruch des Glaubens sozial relevant wird, vergrößert sich nun in dem Maße, als das Christentum im Raum der Welt Erfolg hat.36

Diese Ausführungen Voegelins bringen die Frage mit sich, inwiefern die erfolgreiche Verkündigung eines »ganz anderen« Gottes, der im Leben und Tod eines historisch unbedeutenden Individuums namens Jesus von Nazareth verborgen ist, zu einer Entselbstverständlichung und Schwächung des »Glaubensbandes« führt, und damit zur besitzergreifenden Suche nach umso stärkeren innerweltlichen Sicherheiten verführt. Die Spannung zwischen menschlichem und göttlichem Pol wird derart groß, dass die im­mer drohende Gefahr einer gewaltsamen Auflösung beinahe unausweichlich erscheint. Im Herzen des Christentums scheint mit anderen Worten eine selbstgefährdende »Logik« am Werk zu sein, die nach der Deformation religiös-theologischer Symbole durch säkular-immanente Heilsideologien und Erfüllungsversprechen geradezu ruft. Diese versuchen den Sinn der Geschichte mit »apokalyptischen« Mitteln in unsere geschichtliche Erfahrung hineinzuzwingen. Am vorläufigen Endpunkt dieser Deformation theologischer Symbole steht für Voegelin die massive gesellschaftliche Kraft politischer und ökonomischer Systeme, die uns von unseren Unvollkommenheiten zu befreien versuchen und dadurch umso mehr versklaven.37 Die gesellschaftlich problematischen Folgen des christlichen Glaubens(verständnisses) bestünden dann nicht, wie oft gesagt wird, in allzu starken »metaphysischen« Ge­wissheiten, die mit fanatischem Eifer anderen Menschen und Kulturen aufgedrängt werden sollen. Das Problem liegt vielmehr in der Kompensation des christlich-theologischen Abbaus gesellschaftsstabilisierender Gewissheiten und Sicherheiten durch»rein« säkular-immanente Dispositive.

Das bringt mich zum nächsten Punkt, an dem Voegelins Werk den Boden für aktuelle Kritik am politischen Liberalismus bereitet hat: das Problem von Gewalt und moralischem Nihilismus.38 Ob­wohl die unmittelbaren historischen Wurzeln des Liberalismus im 19. Jh. liegen,39 ist die Entstehung der modernen liberalen De­mokratie gemäß Voegelin in einem weiteren Horizont zu sehen – nämlich auf dem Hintergrund des Schocks im kulturellen Ge­dächtnis Westeuropas, den die Zersplitterung der mittelalterlichen Christenheit (corpus christianum) im Verlauf der Herausbildung souveräner Nationalstaaten und der damit verbundenen sogenannten Religionskriege hervorgerufen hatte.

Frühmoderner Nationalismus und europäische Religionskriege: Dieser Hintergrund hat nicht bloß historischen Charakter, sondern prägt auch manche aktuelle Kontroverse in Philosophie und Theologie. Der Grund dafür ist nicht weit zu suchen. Denn wenn die Pointe der Idee einer liberaldemokratischen Gesellschaft in einer religiös-weltanschaulich mehr oder weniger homogenen Gesellschaft weitgehend verdeckt bleiben muss, scheint die Überwindung religiös-dogmatischer Differenzen durch »rationale« bzw. säkulare Freiheits- und Vernunftkonzepte in die Verstehens- und Plausibilitätsbedingungen der Idee selbst eingehen zu müssen, wenn diese auch zukünftig Bestand haben soll. Anders gesagt: Ohne reale oder imaginäre Bedrohung der Gesellschaft durch die Gefahr religiös motivierter Konflikte scheint es keinen erfolgreich zu verteidigenden Sieg von Freiheit, Vernunft und Menschenrechten zu geben. Das Problem einer solchen Sichtweise ist jedoch, dass sie Wasser auf die Mühlen vieler antiliberaler Kritiker und Kritikerinnen des Liberalismus gießt. Nur noch ein kurzer Schritt trennt uns von deren Auffassung, dass unter dem Deckmantel von Rationalität vs. Irrationalität bzw. religiösem Fundamentalismus und Nationalismus bloß Gewalt und Gegengewalt aufeinandertreffen. Das »ewige« Reich des Friedens, repräsentiert durch die Idee der liberalen Demokratie, kann scheinbar nur so gedacht werden, dass dessen Feinde in einer »letzten Schlacht« überwunden werden, die sich unweigerlich als die jeweils vorletzte herausstellen muss.

Wenn in manchen Diskussionen des politischen Liberalismus der Ausschluss religiöser Argumente aus dem Prozess der öffentlich-politischen Meinungsbildung eingefordert wird, könnte man in dieser Optik also leicht auf den Verdacht kommen, dass hier ein ahistorischer, »liberaler« Gründungsmythos durchgespielt wird, der umso stärker wirkt, als er den mehrheitlich säkularen Teilnehmern an der Diskussion unbewusst bleibt. Damit wird die übliche Opposition von »religiösen« und »säkularen« Dingen jedoch hinfällig. Dies ist die These des Theologen William Cavanaugh, der schreibt:

Die Idee, es existiere ein transhistorischer, menschlicher Impuls namens Religion, der, wenn mit öffentlicher Macht gepaart, eine besondere Tendenz entwickelt, Fanatismus und Gewalt zu verursachen, ist kein empirisch belegbares Faktum. Sie ist vielmehr ein ideologisches Begleitprodukt der Macht- und Autoritätsverschiebung, die im Übergang vom mittelalterlichen zum modernen Westen stattfindet.40

Dem Verdacht nachzugeben, dass »der« politische Liberalismus ein Ding namens Religion zumindest auf rhetorischer Ebene permanent austreiben müsse, um sich selber als rein säkulares Arrangement zu legitimieren, schadet letztlich aber der Sache selbst, die in einem zerbrechlichen Ethos von Freiheit und Gleichheit besteht. Dieses Ethos gilt es zu bewahren und zu regenerieren.41 Es existiert zum Glück auch keine Notwendigkeit, dem ausgesprochenen Verdacht nachzugeben. Denn wie ich zum Schluss zeigen möchte, ist die Idee des politischen Liberalismus – zumindest von ihrer Entstehung her – keineswegs an eine säkularistische Interpretation gebunden. Mit Voegelin gesprochen liegen die Dinge eher so, dass liberal-säkulare Versprechungen einer »größeren« Freiheit, die über die Freiheit »unter Gott« hinausgeht, der Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit genauso wenig entrinnen können wie andere Versuche, den Sinn von Geschichte in diese selbst hineinzuzwingen. Vielmehr scheint sich im Liberalismus etwas Ähnliches zu wiederholen wie einst im Verhältnis von Judentum und Christentum zu den paganen Göttern – nur diesmal mit Bezug auf die »Religionen«.

Damit komme ich nun endlich zu dem im Titel angekündigten zweiten Thema der Ontologie oder des fundamentalen Wirklichkeitsverständnisses des politischen Liberalismus. Der Begriff ist nicht zufällig gewählt, sondern soll ein gewisses Provokationsmoment einbringen. Es fällt nämlich auf, dass viele aktuelle Konzeptionen des politischen Liberalismus eine ausgeprägte ontologische Abstinenz an den Tag legen. Für manche liberale Theoretiker und Theoretikerinnen ist es gewissermaßen zur Ehrensache geworden, sich der philosophischen Artikulation der eigenen geistig-spirituellen Grundlagen zu verweigern. 42 Das ist vielleicht auch nicht weiter verwunderlich. Denn wenn etwas ein liberales Wirklichkeitsverständnis auszeichnet, dann ist es der Gedanke eines »unabhängigen« Kriteriums dafür, was eine rationale Gesellschaftsordnung ausmacht. Wovon soll dieses Kriterium unabhängig sein? In erster Linie von überkommenen religiösen Glaubenswahrheiten, traditionellen theologischen Dogmen, sowie von sogenannt metaphysischen Denksystemen der Philosophiegeschichte.43 Von den Bürgern und Bürgerinnen eines liberaldemokratischen Gemeinwesens wird entsprechend erwartet, dass sie ihre politischen Entscheidungen und Debatten auf Prinzipien gründen, die einer Erkenntnisquelle entstammen, die unabhängig ist von allen religiösen Perspektiven, die in der Gesellschaft vertreten sind.44

Die Tatsache, dass heute vielen von uns im Westen ein solches Verständnis von liberaler Demokratie selbstverständlich erscheint, darf nun aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es mit einem historisch höchst außergewöhnlichen Experiment zu tun haben. Niemand, auch nicht die kühnsten Vordenker der liberalen Demokratie im 17. Jh., konnten zu der Zeit auf den Gedanken kommen, dass alle religiösen Traditionen und philosophischen Richtungen gleichermaßen »wahr« oder »falsch« sein sollten, d. h., von der politischen Öffentlichkeit und einer »wertfreien« Gesellschaftswissenschaft als gleichberechtigte private Ausdrucksweisen menschlicher Suche nach dem subjektiv guten Leben behandelt werden könnten. Doch wenn nun, so lässt sich mit Voegelin und vielen anderen argumentieren, das Resultat des Experiments in der prinzipiellen Trennung des pragmatischen vom paradigmatischen Pol kulminieren soll, sind die Zukunftsaussichten der liberaldemokratischen Gesellschaftsordnung eher düster. Wir sollten der Versuchung widerstehen, den politischen Liberalismus mit seiner eigenen Unabhängigkeitsrhetorik zu verwechseln.

IV John Locke und die moderne Suche nach einem »unabhängigen« Kriterium der rationalen Meinungs- und Entscheidungsbildung

Der britische Philosoph John Locke (1632–1704), auf den ich zuletzt noch zu sprechen kommen möchte, gehört wohl zu denjenigen Figuren, die am meisten zur modernen Vorstellung einer unabhängigen Quelle rationaler Meinungs- und Entscheidungsbildung beigetragen haben.45 Eine Beschäftigung mit Locke ist zudem auch deshalb von Interesse, weil er im Gegensatz zu vielen heutigen Theoretikern des Liberalismus seine Karten offen auf den Tisch legt, wenn es um die ontologische Frage nach dem Fundament der gesellschaftlichen Ordnung geht.

Der Kontext, in dem Locke sein Denken entwickelte, ist, wie be­reits erwähnt, durch den Zusammenbruch der gemeinsamen mo­ralischen und spirituellen Tradition des corpus christianum bestimmt. Diese Erfahrung prägt auch seine Überzeugung, dass wir letztlich nur von wenigen Dingen gesichertes Wissen haben können.46 Was übrig bleibt, ist die kognitive Verpflichtung eines jeden Menschen, sein Bestes zu tun, um sich der Wahrheit über diejenigen Dinge anzunähern, die von allgemeinem Belang sind. Locke geht es also darum, die optimale Praxis der Urteilsbildung in gesellschaftlich wichtigen Angelegenheiten herauszustellen – und dazu gehören für ihn sowohl moralische wie religiöse Fragen. Dieses Verfahren um­schreibt Locke manchmal mit dem Ausdruck »Auf-die-Stimme-der-Vernunft-hören« (listening to the voice of reason) oder »Zu-den-Sachen-selbst-vorstoßen« (getting to the things themselves). Es steht in unversöhnlichem Gegensatz zu einem traditionellen Denken, oder besser Nicht-Denken, das bei dem Halt macht, was die Leute über Gott und die Welt so alles erzählen mögen.

Die Anwendung dieser Vernunftpraxis besteht nun kurz gesagt darin, dass wir Hinweise und Belege sammeln und gegeneinander abwägen, die für oder gegen eine strittige Meinung oder Auffassung (belief) sprechen. Solche Hinweise und Belege, kurz Evidenz (evidence), bestehen ihrerseits in einer ausreichenden Anzahl von Überzeugungen, deren gedanklicher (»propositionaler«) Gehalt mit dem übereinstimmt, was einem als Faktum unmittelbar im Bewusstsein erscheint. Zum Schluss passen wir dann die Gewissheit unseres Urteils dem Grad der Wahrscheinlichkeit an, die der strittigen Meinung im Licht der herbeigezogenen Evidenz zu­kommt.

Diesem evidentialistischen Verfahren zu folgen bedeutet für Locke, das Menschenmögliche zu tun, d. h. mein jeweils Bestes zu geben als die rationale Kreatur, die ich sein kann und sein soll. Das erhoffte Resultat dieser Vernunftpraxis besteht in einem Grundbestand allgemein-moralischer Überzeugungen, die wir unabhängig von göttlicher Offenbarung und menschlicher Autorität in An­spruch nehmen können, um unser Leben zu regeln. Dem muss hier gleich hinzugefügt werden, dass Locke der festen Überzeugung war, dass auf dem skizzierten Weg auch wesentliche Dinge über Gott erfahren werden konnten. Locke war also alles andere als ein Säkularist oder religiöser Agnostiker. Seine Ontologie besteht vielmehr darin, dass wir zuerst die Grenzen des vernünftig Erkennbaren bestimmen und uns dann in der alltäglichen Lebenspraxis daran orientieren. Wir sollen in erster Linie nur das als real oder rational anerkennen, was unserem jeweiligen Bewusstsein entweder unmittelbar als Faktum erscheint oder was wir mittels der geschilderten Vernunftpraxis als mehr oder weniger wahrscheinlich er­schließen können. Was darüber hinausgeht, muss anhand dieser Praxis selbst daraufhin geprüft werden, ob es sich eventuell um göttliche Offenbarung oder vielleicht um bloßen Unfug handelt.

Ich kann mich kurz halten mit Kritik an dieser urtypisch mo­dernen Sicht der Dinge. Denn selbst wenn der Appell an eine unabhängige Quelle der Vernunft keineswegs aus dem öffentlich-politischen Diskurs verschwunden ist, möchte heute kaum noch jemand die eben dargestellte Sichtweise philosophisch verteidigen. Locke selbst scheint zumindest ahnungsweise realisiert zu haben, dass seine Vernunftpraxis der rationalen Meinungs- und Entscheidungsbildung so unabhängig nicht ist. Es zeigt sich vielmehr, dass unser Bewusstsein immer schon Teil unserer jeweiligen Lebensgeschichte und soziokulturellen Prägung ist. Was dem Bewusstsein unmittelbar als Faktum erscheint und was im Streitfall als Evidenz herbeigezogen wird, kann in verschiedenen Personen und zu verschiedenen Zeiten deshalb sehr unterschiedlich ausfallen. Dann ist aber auch der generelle Ausschluss religiöser bzw. vermeintlich rational ungesicherter Überzeugungen aus der politischen Meinungs- und Entscheidungsfindung nicht im strengen Sinn rational zu begründen, sondern kann sich allenfalls auf die Macht einer eingespielten »liberalen« Gewohnheit berufen.

Nun trifft es zwar zu, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s die Theoriebildung rund um den politischen Liberalismus sowohl bezüglich Quantität wie intellektueller Raffinesse einen erneuten und eindrücklichen Höhepunkt erreicht hat.47 Dennoch wäre die Behauptung vermessen, dass eine Alternative zu Lockes Auffassung einer unabhängigen Vernunftpraxis oder freistehenden Rationa-lität am Horizont aufgetaucht ist, die allgemeinen theoretischen Zuspruch gefunden hätte. Tatsache ist vielmehr, dass die meisten Liberalismustheoretiker und -theoretikerinnen der Gegenwart den Versuch aufgegeben haben, überhaupt etwas an die Stelle von Lo­ckes Vernunftpraxis setzen zu wollen. Wie David Walsh bemerkt, geht liberale Politik immer öfter von der Annahme aus, dass sie auf vermeintlich nichts anderem als ihrer eigenen, unmittelbaren Evidenz beruht. 48 Die Realität, in der die liberaldemokratische Gesellschaftsordnung gründet, ist nicht länger der vermeintlich rationale Verstand à la John Locke. Davon übrig geblieben ist heute oft nicht mehr als ein Gefühl der kollektiven Selbstzufriedenheit, dass »wir« inzwischen alle liberal geworden sind. Und gerade diese Unfähigkeit oder Unwilligkeit, sich über die historischen Wurzeln und die spirituelle Substanz der eigenen politischen Ordnung Rechenschaft abzulegen, ist es, die immer mehr Kritiker und Kritikerinnen des politischen Liberalismus dazu bewegt, dessen moralischen Bankrott auszurufen.

Kommen wir so ganz zum Schluss wieder auf Voegelins Kritik moderner Gesellschaftstheorien zurück. Was aus Voegelins Perspektive auffällt, ist der Versuch eines John Locke, die Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit im Denken des »rationalen« Erkenntnissubjekts aufzulösen.49 Voegelin charakterisiert diesen Vorgang als eine Art Kontraktion des menschlichen Selbst. Wie bereits ge­sagt, negiert Locke nicht den transzendenten oder göttlichen Pol der Grundspannung, die gemäß Voegelin das menschliche Dasein zuinnerst bestimmt. Jedoch versucht Locke das Spannungsverhältnis aufzulösen, indem die beiden Pole mental voneinander geschieden und einander als rein äußerlich gegenübergestellt werden. Der göttliche Pol des Verhältnisses, das die menschliche Seele sowohl in klassisch-griechischer wie in biblischer Perspektive durchzieht, 50 erscheint zuletzt als bloße Verdoppelung des menschlichen Pols, der seinerseits rein zeitlich-innerweltlich gedacht wird.51 Göttliche Offenbarung wird zu einer Art zusätzlicher Informationsquelle, die solche Dinge betrifft, zu denen der »natürliche« Verstand von sich aus keinen Bezug hat, an denen wir für Locke aber auch nicht zweifeln dürfen.52 Lockes Dualismus zwischen Mensch und Gott führt gemäß Voegelin später dann zur offenen Auflehnung gegen den göttlichen Pol der Spannung, und somit unweigerlich zur Verabsolutierung einer innerweltlichen Ordnung des Bewusstseins und der Gesellschaft.53

Voegelins Kritik an Locke und seinen Nachfolgern sollte nun aber keinesfalls als bloße Schuldzuweisung verstanden werden. Die Unzufriedenheit des britischen Philosophen mit der menschlichen Natur, wie sie ihm historisch konkret vor Augen stand, ist durchaus nachvollziehbar. Locke hatte gemäß Voegelin den unauflös-baren Transzendenzbezug der menschlichen Vernunft in einer dogmatisch so erstarrten Form angetroffen, dass auch er den persönlichen, sozialen und geschichtlichen Erfahrungsgehalt der zerstrittenen religiösen Positionen nicht mehr sichtbar machen konnte. Der Gedanke musste sich förmlich aufdrängen, dass die sinnlose Dogmenschlacht, wenn nicht endgültig ausgerottet, so doch wenigstens unter die Kontrolle einer säkularen Vernunftpolizei gebracht werden konnte. Wenn wir in dieser Hinsicht heute mancherorts eine Trendwende erleben und die Frage nach den spirituellen Grundlagen unserer politischen Ordnung auf die Liste akademisch seriöser Forschungsthemen zurückkehrt, ist das zu einem Teil auch das Verdienst Eric Voegelins.

Abstract


In this paper I discuss some fundamental ideas in Eric Voegelin’s (1901–1985) critique of secular modernity in general and political liberalism in particular. His critique unapologetically proceeds from within the traditions of classical philosophical and Christian thought. For Voegelin, the latter’s enduring legitimacy and critical potential derives from the perennial structure of human existence seen to consist in the »tension« between time and eternity, or the human and divine poles of (self-)consciousness. In contrast, poli-tical liberalism, along with other modern ideologies, all too often seeks to anticipate the »end of history« within time. However, the apparent »overcoming« of the unresolvable tension or »In-Between-ness« of human existence necessarily implies the deformation of religious symbols and a skewed view of what counts as »religious« in the first place. This leads me to consider some problems with the ensuing exclusion of religious arguments in secular-liberal politics. I argue that the self-constraint required from religious voices not only confirms Voegelin’s analysis of the less benign sides of liberalism but dangerously undermines the very idea(ls) of liberal democracy itself. Giving some attention to the work of John Locke, I finally discuss an important epistemological tenet – the idea of an independent source of rational deliberation – that is still driving much liberal political thought today.

Fussnoten:

*) Meine Beschäftigung mit dem Denken Eric Voegelins, aus der dieser Text hervorgegangen ist, wurde ermöglicht durch ein Forschungsstipendium des Schweizerischen Nationalfonds SNF, dem ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte.


1) Fukuyama, The End of History and the Last Man, New York 2006 (1992). Frühere Überlegungen des Autors, die zu dieser Schrift geführt haben, sind abgedruckt in: Ders., The National Interest 16 (Summer 1989), 3–18.
2) Fukuyama, The End of History, 48.
3) Voegelin, Die kosmologischen Reiche des alten Orient – Mesopotamien und Ägypten, München 2002, Ordnung & Geschichte (OG) Bd. 1, 50.
4) Ebd., 27. Zum Verhältnis von Augustinus und Adam Smith siehe Eric Gregory, Sympathy and Domination: Adam Smith, Happiness, and the Virtues of Augustinianism, in: Adam Smith as Theologian, hrsg. v. P. Oslington, New York 2011, 33–45.
5) Taylor, Human Agency and Language. Philosophical Papers 1, Cambridge 1985, 45.
6) Opitz, Rückkehr zur Realitat: Grundzüge der politischen Philosophie Eric Voegelins, in: The Philosophy of Order. Essays on History, Consciousness and Politics, Stuttgart 1981, 56.
7) Vgl. z. B. Voegelin, Israel und die Offenbarung, München 2005, OG 2, 292; ders., Mysterium, Mythos und Magie. Bewusstseinsphilosophische Meditationen, hrsg. v. Peter J. Opitz, Wien 2006, 23.
8) Vgl. ders., Mysterium, 40. Für eine Diskussion dieses Platonisch-Voegelinschen Zentralsymbols siehe Arpad Szakolczai, The Genesis of Modernity, London 2003, Teil II.
9) Voegelin, Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, Freiburg 2005, 12.
10) Die Möglichkeit der symbolischen Deformation von Erfahrung braucht insofern nicht zu erstaunen, als, wie Stefan Rossbach zu Recht festhält, »the forces of imagination that bring forth luminous symbols are the very same forces that bring forth objectifying concepts.« Rossbach, »›Gnosis‹ in Eric Voegelin’s Philosophy.« Political Science Reviewer 34 (2005), 77–121, 95.
11) Voegelin, Anamnesis, 269.
12) Vgl. das Nachwort des Herausgebers, in: Ders., Realitätsfinsternis, hrsg. v. Peter J. Opitz, 1. Aufl., Berlin 2010, 117.
13) Im sogenannten Husserl-Brief vom 17. September 1943 an seinen Freund Alfred Schütz schreibt Voegelin, das Geschichtsbild Edmund Husserls sei »viktorianisch«. »Die relevante Menschheitsgeschichte besteht aus der hellenischen Antike und der Neuzeit seit der Renaissance. Der Hellenismus, das Christentum, das Mittelalter – ein unbedeutender Zeitraum von nicht mehr als zweitausend Jahren – sind ein überflüssiges Zwischenspiel; die Inder und Chinesen (von Husserl in Anführungszeichen gesetzt) sind eine leicht ridiküle Kuriosität an der Peripherie der Erdscheibe, in deren Zentrum nicht der westliche, sondern der Mensch schlechthin steht […]«. Schütz und Voegelin, Eine Freundschaft, die ein Leben ausgehalten hat. Briefwechsel 1938–1959, Konstanz 2004, 154–155.
14) Michael Henkel, Eric Voegelin zur Einführung, Hamburg 1998, spricht zu Recht von einem »unbekannten Bekannten«, 6.
15) Andere bedeutende Denker des 20. Jh.s, die sich an einer entscheidenden Stelle ihrer intellektuellen Entwicklung dem intensiven Studium der Antike widmeten, sind Max Weber und Michel Foucault. Vgl. Szakolczai, Genesis of Modernity, 1.
16) Vgl. Voegelin, The Origins of Totalitarianism, The Review of Politics 15, 1 (1953), 68–76, wo er schreibt: »What no religious founder, no philosopher, no imperial conqueror of the past has achieved – to create a community of mankind by creating a common concern for all men – has now been realized through the community of suffering under the earthwide expansion of Western foulness.« (68) Dieses Zitat stammt aus einer ausführlichen Rezension Voegelins der berühmten Studie von Hannah Arendt mit dem gleichnamigen Titel (1951).
17) Genauer gesagt: einer bestimmten Form von Moderne, nämlich der »gnostisch« revolutionären. Es gibt auch »Inseln der Ordnung in der Unordnung der Zeit«, zu deren Wiederentdeckung und Vergegenwärtigung die Philosophie vielleicht einen Beitrag leisten kann. Vgl. Voegelin, OG 1, 33.
18) Voegelin, Die Welt der Polis, München 2002, OG 4, 22.
19) So Amartya Sen, zitiert in Fukuyama, The Origins of Political Order. From Prehuman Times to the French Revolution, New York 2011, 10.
20) Für eine Auseinandersetzung mit der These Fukuyamas auf dem Hintergrund der Frage nach der Zukunft »des« Marxismus vgl. Jacques Derrida, Marx’ Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt a. M. 1996.
21) Diejenigen, die Globalisierung und Kapitalismus zu den Gegnern nicht einer liberaldemokratischen, sondern einer »radikal-demokratischen« Gesellschaftsordnung zählen, können diesem Bild freilich so nicht zustimmen.
22) In diesem Zusammenhang ist die geschichtsphilosophische Idee des Positivismus erwähnenswert, der gemäß vormoderne Denkweisen und Gesellschaftsordnungen zwar auf ein generisches Konstrukt »Religion« oder »Me­ta-physik« gründen mussten, um funktionieren zu können, dies in der modernen Gesellschaftsordnung aber nicht länger der Fall sein konnte oder sollte. Das paradigmatische Zentrum der pragmatischen Ordnung sollte vielmehr in »der Wissenschaft« liegen.
23) Die Verdrängung religiöser Überzeugungen und symbolischer Orientierungsressourcen aus »der Öffentlichkeit« erfolgt dabei meist durch sozialen Druck und nicht auf dem Weg des gesetzlichen Verbotes.
24) Nicholas Wolterstorff, in: Audi und Wolterstorff, Religion in the Public Square. The Place of Religious Convictions in Political Debate, Lanham 1997, 70. Diesem schmalen, aber äußerst substanziellen Band – und besonders dem Beitrag des Wolterstorffs in der Debatte zwischen ihm und Robert Audi – verdankt dieser Aufsatz wichtige Anstöße und Einsichten.
25) Ders., ebd., 69.
26) Es geht hier um die prinzipielle Möglichkeit der politischen Orientierung auf religiös-weltanschaulicher Grundlage. Die Tatsache, dass sich gewisse religiöse Kreise der Bevölkerung, oder selbst die Mehrheit der religiösen Menschen in einer liberalen Gesellschaft, in politischen Auseinandersetzungen von vornherein an sogenannt »säkularen« bzw. »rein« politischen Werten und Idealen orientieren, hat im vorliegenden Zusammenhang empirisch-soziologische, aber noch keine (zumindest explizite) normative Bedeutung. Vgl. dazu Glenn W. Olsen, The Turn to Transcendence. The Role of Religion in the Twenty-First Century, Washington, D. C. 2010, 28.
27) »The crux of the matter is […] that it is precisely the protection of differences that has been the basis for toleration. […] The argument that liberals have been trying to avoid the introduction of state power to settle the disputes is scant consolation when the liberal consensus itself is the instrument of repression.« David Walsh, The Growth of the Liberal Soul, Columbia 1997, 38.
28) Dass im vergangenen Jahrhundert oft weniger religiös-theologische als politisch-ideologische Differenzen zu Konflikt und Gewalt geführt haben, wird in diesem Zusammenhang eher selten thematisiert.
29) John Rawls erhebt deshalb die Forderung, dass öffentlich-politische Argumente einer freistehenden (freestanding) Konzeption von politischer Gerechtigkeit entnommen werden und nicht einer umfassenden (comprehensive) religiösen oder philosophischen Weltanschauung oder Doktrin. Rawls, Political Liberalism, erw. Aufl., New York 2005, XLII.
30) Vgl. z. B. Elizabeth Shakman Hurd, The Politics of Secularism in International Relations, Princeton, N. J. 2008, oder Andrew Wright, Christianity and Critical Realism. Ambiguity, Truth and Theological Literacy, London 2013.
31) Voegelin, Die Neue Wissenschaft der Politik: Eine Einführung, München 1959, 176.
32) Ein anderer Denker, dessen theorie- und politikgeschichtliche Analysen von derselben Grundüberzeugung geleitet sind, ist der niederländische Rechtstheoretiker und Philosoph Herman Dooyeweerd (1894–1977). Für einen Vergleich dieser beiden Denker siehe Johannes Corrodi Katzenstein, »Von Grundmotiven und Ordnungserfahrungen. Herman Dooyeweerd und Eric Voegelin als (un-) zeitgemäße Denker der Transzendenz.« Voegeliniana – Occasional Papers Nr. 77 (2010). Die derzeit beste Monographie zu Dooyeweerds politischer Philosophie ist Jonathan Chaplin, Herman Dooyeweerd. Christian Philosopher of State and Civil Society, Notre Dame 2011.
33) Voegelin, Die Neue Wissenschaft, 172.
34) Vgl. zum Beispiel ebd., 152. In dieser Schrift sieht Voegelin die maximale Differenzierung des Bewusstseins als Folge von griechischer Philosophie und Christentum. Später verkompliziert sich das Verhältnis zwischen diesen Traditionen im Werk Voegelins zunehmend, was hier aber nicht weiter ausgeführt werden kann.
35) Ebd.
36) Ebd., 172–173, Kursiv hinzugefügt.
37) Vgl. dazu Voegelin, Mysterium, Mythos und Magie. Bewusstseinsphilosophische Meditationen. Hrsg. v. Peter J. Opitz. Wien 2006, 21.
38) Der politische Philosoph und Voegelin-Kenner David Walsh verweist in diesem Zusammenhang auf die wichtige Rolle, die Friedrich Nietzsche und dessen Orakel vom »Tod Gottes« für die gesellschaftliche Anerkennung des spirituellen Bankrotts und des Nihilismus im Herzen der europäischen Kultur und Philosophie seiner Zeit einnimmt; vgl. Walsh, The Growth of the Liberal Soul, 25f.
39) In einem Konferenzbeitrag aus dem Jahr 1960 mit dem Titel »Der Liberalismus und seine Geschichte« zeichnet Voegelin ein Bild, demgemäß die liberale Bewegung des 19. Jh.s allein im Wechselspiel der revolutionären und reaktionären Bewegungen zu verstehen sei – Bewegungen, von denen die liberale Tradition permanent überholt zu werden droht. Weit davon entfernt eine eigene geistig-spirituelle Substanz zu besitzen, kann der politische Liberalismus des 19. Jh.s je nach Kontext und Gegner deshalb einmal als konservativ und einmal als progressiv erscheinen. Dieser Text ist einfacher greifbar in englischer Übersetzung: Voegelin, Liberalism and Its History, The Review of Politics 36, 4 (1974), 504–520.
40) Cavanaugh, The Myth of Religious Violence. Secular Ideology and the Roots of Modern Conflict, New York 2009, 85.
41) »The rules of civil association cannot function except through the intelligent acknowledgment of their obligatory force over us. It has long been a traditional liberal insight that a man cannot be obliged to anything except through his own voluntary agreement.« Walsh, The Growth of the Liberal Soul, 1997, 63.
42) Vgl. Taylor, Sources of the Self, Cambridge, MA 1989, 103. Es gibt freilich Ausnahmen, so z. B. Roy Baskhars »spiritual turn« in der Weiterentwicklung seiner Philosophie des Kritischen Realismus und die dadurch entfachte Debatte. Vgl. dazu Mervyn Hartwig und Jamie Morgan, Critical Realism and Spirituality, Milton Park 2012.
43) Vgl. dazu Taylor, The Dynamics of Democratic Exclusion, Journal of Democracy 9, 4 (1998), 143–156, 152.
44) Wolterstorff in: Audi und Wolterstorff, Religion in the Public Square, 73.
45) Hier ist anzumerken, dass in Lockes Theorie die Unterscheidung zwischen »öffentlichem« und »privatem« Gebrauch des einen menschlichen Verstandes keine Rolle spielt.
46) Wissen ist »very short and scanty«. Locke, An Essay Concerning Human Understanding, hrsg. v. Roger Woolhouse, London 1997, 576.
47) Allen voran ist hier der Name John Rawls zu erwähnen.
48) Walsh, The Growth of the Liberal Soul, 41.
49) Voegelins Diskussion von Locke ist zu finden in: Voegelin, Die Krise. Zur Pathologie des modernen Geistes, Paderborn 2007, 66 ff.; ders., More’s Utopia, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 3 (1952), 451–68; ders., The Oxford Political Philosophers, The Philosophical Quarterly 3, 11 (1953), 97–114; ders., Die industrielle Gesellschaft auf der Suche nach der Vernunft. Die Gesellschaft und die drei Welten: das Seminar von Rheinfelden, Zürich 1961, 46–64; Voegelin und Strauss, Glaube und Wissen. Der Briefwechsel zwischen Eric Voegelin und Leo Strauss von 1934 bis 1964, hrsg. v. Peter J. Opitz, Paderborn 2010.
50) Auf unterschiedliche Weise: Im ersten Fall überwiegt für Voegelin die Dimension der »noetischen« Suche, im zweiten die der »pneumatischen« Offenbarung. In dieser Unterscheidung von nous und pneuma darf Voegelin gemäß jedoch keine Dichotomie gesehen werden, wie das später bei der Unterscheidung zwischen einer vermeintlich »natürlichen« Theologie und einer »übernatürlichen« Offenbarung geschehen ist. Vgl. Voegelin, Mysterium, 44.
51) Diese Schlussfolgerung wurde freilich nicht von Locke selbst, sondern erst später, z. B. von der Projektionspsychologie des 19. Jh.s, gezogen.
52) »So that faith is a settled and sure principle of assent and assurance, and leaves no manner of room for doubt or hesitation.« Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 589.
53) Prototypisch für diese Entwicklung analysiert Voegelin das Werk des Positivisten Auguste Comte in: Voegelin, Die Krise, 195 ff. Siehe auch ders., Auf der Suche nach Ordnung, hrsg. v. Paul Caringella und Gilbert Weiss, München 2004, 54.