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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

514–515

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Valliere, Paul

Titel/Untertitel:

Conciliarism. A History of Decision-Making in the Church.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2012. 302 S. Geb. £ 62,00 ISBN 978-1-10701574-6.

Rezensent:

Hanns Engelhardt

Nach einem einleitenden Überblick über konziliare Ansätze und Strukturen in den verschiedenen christlichen Traditionen, der in der Feststellung gipfelt, dass »Far from requiring less discipline than the alternatives, Anglican comprehensiveness requires more«, stellt Paul Valliere, Professor für Religion und Geisteswissenschaften an der Butler-Universität in Indianapolis und Mitglied der amerikanischen Episkopalkirche, zunächst in drei Kapiteln die Ansätze einer Konziliarität in der Zeit der Entstehung des Neuen Testaments ( The conciliar testament), die sich vom 3. Jh. an bildende konziliare Tradition (The conciliar tradition) und die daraus entstandene konziliare Theorie (The conciliar theory) dar. In den zwei folgenden Kapiteln wendet er sich spezifisch anglikanischen Problemen zu, die aber durchaus Aufmerksamkeit über den Bereich der anglikanischen Kirchen hinaus beanspruchen können: anglikanische Erfahrungen mit Konziliarität (Conciliarism in Anglican experience) und die Problematik eines pananglikanischen Konzils (The Pan-Anglican Council). In einem abschließenden Abschnitt zieht er Folgerungen aus den gewonnenen Erkenntnissen.

Dem Leser ist schon aufgefallen, dass der Rezensent durchgängig nicht von Konziliarimus, sondern von Konziliarität spricht. Dies liegt daran, dass der englische Begriff conciliarism hier in einem weiteren Sinne gebraucht wird als das deutsche Konziliarismus, das sich wesentlich auf die Theorie beschränkt, die dem Konzil im Verhältnis zum Papst eine übergeordnete Stellung zu­schreibt. Deshalb wäre die Verwendung dieses Begriffs im Zu­sammenhang etwa des 4. Kapitels missverständlich, da es sich im Wesentlichen um die Erfahrungen mit Synoden handelt, kaum um das Verhältnis von Papst und Konzil.

Den Ursprung der Konziliarität findet der Vf. schon im 1. Jh., zur Zeit der Entstehung des Neuen Testaments. Konzilien im Sinne der späteren Kirchengeschichte findet man – wenn man das sogenannte Apostelkonzil beiseite lässt – in dieser Zeit noch nicht. Dennoch kann man von einem »proto-conciliar network of churches« sprechen. Das vornehmste Beispiel dieser ekklesialen Verbundenheit findet sich in der Beziehung zwischen den zerstreuten Missionsgemeinden und den Aposteln und Ältesten der Gemeinde von Jerusalem. Aber auch in dem Austausch der Schriften, die später das Neue Testament bildeten ( canonical process), findet der Vf. schon einen protokonziliaren Prozess. In der Beschreibung der Geschichte des Anfangs der Heidenmission in Apg 10–15 schließlich sieht er ein Musterbeispiel für die Entscheidungsfindung in der Kirche.

Im 2. Kapitel zeichnet der Vf. die Geschichte der frühen Konzilien nach. Er zeigt die Entstehung und Entwicklung ihrer Autorität, die schließlich dazu führen konnte, dass Papst Gregor der Große die vier ersten ökumenischen Konzilien praktisch den vier Evangelien an die Seite stellte.

Im folgenden Kapitel behandelt der Vf. die konziliare Theorie, deren Ursprünge er nicht im Altertum, sondern in den mittelalterlichen Erfahrungen des Westens findet. Die konziliare Praxis und Theorie in den östlichen Kirchen der postpatristischen Zeit ist nach seinen Feststellungen noch zu wenig erforscht; Ansätze dazu findet er in der Gegenwart bei John Meyendorff, Andrew Louth und einigen anderen orthodoxen Schriftstellern.

Für den anglikanischen Bereich stellt der Vf. mit Recht fest, dass die staatskirchliche Bindung in England der Erhaltung oder Bildung konziliarer Strukturen ungünstig war, so dass die englische Kirche am Anfang des 19. Jh.s weniger konziliar war als im Mittelalter. Eine Wiederbelebung lässt er mit der amerikanischen Revolution und der Entstehung der amerikanischen Episkopalkirche beginnen. Man hätte auch erwähnen können, dass die schottischen Episkopalianer schon 1727 auf einer Synode der noch vorhandenen Bischöfe mit der Neuordnung ihrer Kirchenverfassung begonnen hatten. In der amerikanischen Kirchenverfassung sieht der Vf. »an unprecedented synthesis of episcopacy, presbyterianism and republicanism«; er hätte auch erwähnen können, dass in der ursprünglichen Verfassung dem »House of Bishops« nicht einmal ein absolutes Veto gegen Beschlüsse des »House of Deputies« zustand.

Im letzten Hauptkapitel befasst der Vf. sich mit der Frage nach einem pananglikanischen Konzil. Er weist darauf hin, dass der Ruf nach einem solchen »Pan-Anglican Council« zuerst in der amerikanischen Episkopalkirche erhoben wurde (O quae mutatio re-rum!). Die Lambeth-Konferenz hat freilich von Anfang an immer wieder erklärt, kein Konzil sein zu wollen. Deshalb wendet der Vf. sich (gegen Radner und Turner) dagegen, ihr trotzdem de facto einen solchen Status zuzuschreiben. Für die Heilung des Schismas, das er im Anglikanismus der Vereinigten Staaten feststellt und für das er die Verantwortlichkeit auf alle Seiten verteilt, empfiehlt er ein »Reunion Council«. Für die Beurteilung der Aussichten eines pananglikanischen Konzils weist er darauf hin, dass die ökumenischen Konzilien des Altertums keine ständigen Organe wa­ren, die die Verwaltung der Kirchenprovinzen überwachten; sie waren außerordentliche Versammlungen, die zur Bewältigung von Situationen einberufen wurden, die die weltweite ka­tholische Identität in Frage stellten. Deshalb würde ein pananglikanisches Konzil als eine solche außerordentliche Versammlung seiner Ansicht nach die Autonomie der Kirchenprovinzen nicht beeinträchtigen, sondern vielmehr diese Autonomie stärken, in­dem es in den Provinzialkirchen das Bewusstsein dafür wachhalten würde, dass ein Unterschied besteht zwischen Autonomie und Autarkie.

Abschließend weist der Vf. darauf hin, wie wichtig es für die Sache der Konziliarität sei, die Bedeutung der Konzilien auch nicht zu überschätzen. Niemals waren Konzilien das einzige Regierungsorgan. Zunächst waren sie mit dem Episkopat verbunden; dann nahm ihre Abhängigkeit von den Patriarchalsitzen zu. Zeitweilig wurde die Kaisermacht so groß, dass einige die Konzilien als Schöpfungen der Kaiser betrachteten. Später gab die zunehmende Macht der Päpste Anlass zu der strukturell ähnlichen umgekehrten Annahme, die Konzilien seien Schöpfungen der Päpste. Das Ge­wicht der Konzilien hat sich immer wieder verschoben. Es ist daher auch erlaubt, sich vorzustellen, dass die Konziliarität (oder ein recht verstandener »Konziliarismus«) unter bestimmten Umständen eine größere Rolle spielen könnte als je zuvor.

Das Buch ist es wert, nicht nur in den anglikanischen Kirchen, sondern in der ganzen Ökumene mit Aufmerksamkeit gelesen und bedacht zu werden.