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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

499–500

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Seubert, Harald

Titel/Untertitel:

Zwischen Religion und Vernunft. Vermessung eines Terrains.

Verlag:

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013. 708 S. Geb. EUR 98,00. ISBN 978-3-8487-0351-7.

Rezensent:

Martin Hailer

Nach einer Reihe von Vorstudien (u. a.: Religion, München/Paderborn 2009) legt Harald Seubert, Professor für Philosophie und Re­-ligionswissenschaft an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel sowie Präsident des Studienzentrums Weikersheim, eine umfassende und umfangreiche Monographie zur Religionsphilosophie vor. Das Werk hat nach Prolog und Einleitung zwei Teile: Im ersten (57–468) werden nach einer kurzen Reflexion zum Religionsbegriff wesentliche Stationen der religionsphilosophischen Tradition beschrieben. Der zweite (473–673) stellt unter dem Titel »Probleme und Phänomene« den systematischen Entwurf einer Religionsphilosophie als philosophischer Grundlagenreflexion dar.

S. greift die Grundunterscheidung aus Heinrich Scholz’ Religionsphilosophie von 1922 auf und unterscheidet zwischen konstruktivem und rezeptivem Herangehen (32 u. ö.): Konstruktion erbringt Begründungsleistungen in Sachen Religion, Rezeption setzt die Existenz einer oder mehrerer beachtlicher Religion(en) voraus und setzt einen hermeneutischen Schwerpunkt. Das Buch ist ein Plädoyer für die rezeptive Seite, also dafür, dass Religion sich als etwas zeigt, worauf Philosophie und denkende Menschen überhaupt nicht verzichten können (477 ff.). S. denkt dabei an »Religion als Lebensmacht«, (67, Anm.) die etwa gegen das Selbstverständnis des liberalen Protestantismus wiederzugewinnen ist.

Der problemgeschichtliche Durchgang beginnt bei Platon nebst Seitenblicken auf den griechischen Mythos und zieht sich bis zur phänomenologischen und analytischen Religionsphilosophie un­serer Tage. Der Stil der Darlegungen ist albumhaft: Es wird keine Entwicklungsgeschichte vorgelegt, vielmehr werden zu einzelnen Denkern teils Überblicke und teils Detailanalysen vorgelegt. Sie stehen zumeist wenig bis nicht verbunden nebeneinander, gehen teils auf eigene Vorstudien zurück und verlassen sich mitunter weitgehend auf Sekundärliteratur. Es handelt sich um geistreiche, dabei nicht immer leicht zugängliche Stimmen zur weitergehenden Rezeption, nicht jedoch um Einführungen oder Überblicksdarstellungen. Dieser Albumcharakter endet erst bei den Ausführungen zur phänomenologischen Religionsphilosophie. Edmund Husserls Schüler denken »in Richtung auf ein Ur- und Erstgeschehen, das […] der Passivität (der Hinnahme) gegenüber konstituierender Aktivität den Vorrang einräumt.« (365) Das wird an Edith Stein, Emmanuel Levinas, Michel Henri und anderen konturiert. Kritisches Licht fällt von hier aus auf die Religionsphilosophie im Gefolge des späten Wittgenstein, die sich dem Fideismusvorwurf ausgesetzt sieht (427, aber 478), und auf die theistische analytische Philosophie, die lediglich christentumskonzentriert sei (449).

Im zweiten Teil wird eine Religionsphilosophie entworfen, die sich Hegels Diktum zu eigen macht, Religion und Philosophie hätten den gleichen Gegenstand, traktierten ihn aber auf je eigene Weise. Lässt sich das zeigen, dann erweist sich Religionsphilosophie als Selbstreflexion der Philosophie (501–512). Zugleich soll damit der bleibende Anspruch der Metaphysik wiedergewonnen werden, die »Dimension letzter Fragen« wieder in die Philosophie zurück-zuholen und sie – eben weil sie ins begriffliche Denken zurückgeholt wird – als idolatrie- und magiekritische Arbeit zu reetablieren (496).

S. führt das für die Bereiche Politik, Ästhetik, Vielfalt der Religionen und Theodizee durch. Die entsprechenden Unterkapitel sind wiederum selektive problemgeschichtliche Durchgänge. Dass die Vielfalt der Religionen als religionsphilosophisches Problem thematisiert wird, verdient Beachtung, da dies weithin kaum zureichend geschieht (dazu auch 149–183). Dem Abschnitt ist ein religionskundlicher Kurzüberblick beigegeben (597–638). Für dieses Thema betont S., dass wechselseitiges Verstehen wohl kaum aus der eigenen Religion herausführen würde, sagt aber zugleich, dass es um echte wechselseitige Anerkennung zu gehen habe und nicht nur um Toleranz aus Respekt (574.579). Anerkennung im Vollsinne aber würde doch heißen, sich selbst als ohne den anderen nicht darstellbar zu verstehen. Dann führte Anerkennung doch zum Anderen und nicht nur zum besseren Selbstverstehen. Hier sind offenbar noch Präzisierungen nötig.

Ist das Programm einer zum rezeptiven Scholzschen Aspekt tendierenden Religionsphilosophie, die die Metaphysikvergessenheit überwinden und Religionsphilosophie als Selbstreflexion der Phi­losophie etablieren will, eingelöst? Der Gestus tönt an entscheidenden Stellen arg hoch, wenn etwa die Metaphysikkritik der Nietzscheschen und der Adornoschen Tradition mit dem Satz »Argument ist all dies nicht« (495) vom Tisch gewischt wird. Das diskreditiert durchaus das Unternehmen, den Kern der Metaphysik wiederzugewinnen. Dazu kommt: Der Anspruch, Religionsphilosophie als Selbstreflexion der Philosophie zu entwickeln, wird zwar an vielen historischen Beispielen und solchen des 20. Jh.s vorgestellt, nicht jedoch systematisch durchgeführt. Für den Bereich der politischen Philosophie soll dies eine bald erscheinende Monographie leisten (515). Für den vorliegenden Band lässt sich aber der Eindruck einer groß angelegten Ankündigung nicht vermeiden. Das zeigt sich auch im Handwerklichen: Oft bleibt es bei geistreichen Andeutungen, Darstellungen werden mitunter flott abgebrochen, auch fehlen an vielen Stellen die Zitatnachweise. Das Pano­-rama der vielen Autoren und Problemzusammenhänge ist beeindruckend, die systematische Durchführung des Programms aber noch nicht geleistet.