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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

446–448

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pietsch, Michael

Titel/Untertitel:

Die Kultreform Josias. Studien zur Religionsgeschichte Israels in der späten Königszeit.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. IX, 542 S. m. 22 Abb. = Forschungen zum Alten Testament, 86. Lw. EUR 124,00. ISBN 978-3-16-152273-4.

Rezensent:

Markus Witte

Spätestens seit der maßgeblich von Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1806) vertretenen Identifikation des unter König Josia von Juda (639–609 v. Chr.) aufgefundenen Gesetzbuchs mit dem Deuteronomium (vgl. 2Kön 22) gelten die Josianische Reform (2Kön 23) und das Deuteronomium als »archimedische Punkte« der Religionsgeschichte Israels und der Literaturgeschichte des Alten Testaments. Wird die Verortung zumindest der literarischen An­fänge des Deuteronomiums in der ausgehenden judäischen Kö­nigszeit von der gegenwärtigen Forschung überwiegend geteilt, so dass sich von hier aus die Fäden der alttestamentlichen Literaturgeschichte nach vorne und nach hinten ausziehen lassen, so sind sowohl die Historizität der in 2Kön 22–23 geschilderten Ereignisse als auch ihre Verbindung zum Deuteronomium bzw. zu einem »Urdeuteronomium« (Dtn 12–26) umstritten. Insofern die Darstellung des Lebens und der Taten Josias einen narrativen Höhepunkt innerhalb der Königsbücher darstellen, Letztere aber unbestritten im Geist des Deuteronomiums abgefasste redaktionelle Bearbeitungen aufweisen, werden mit der Frage nach der Josianischen Reform auch das Profil alttestamentlicher Historiographie und der literarische Charakter des deuteronomistischen Geschichtswerks tangiert.

Michael Pietsch widmet sich den genannten Fragen in seiner breit angelegten Hamburger Habilitationsschrift aus dem Jahr 2010, welche die Grundlage der hier anzuzeigenden Studie darstellt, in einer methodisch sehr ausgewogenen Weise mittels de­taillierter literarischer, epigraphischer und archäologischer Analysen sowie grundsätzlicher religionsgeschichtlicher Überlegungen. Die Einleitung (1–23) informiert über die jüngere Forschungsgeschichte zur Josianischen Reform, problematisiert die in der historischen Forschung beliebte Hierarchisierung in Primärquellen (z. B. zeitgenössische Inschriften wie die neuassyrischen Feldzugsberichte) und Sekundärquellen (z. B. literarische Darstellungen wie die biblischen Königsbücher) und formuliert als entscheidendes Kriterium die Plausibilität der in 2Kön 22–23 erzählten Welt im Blick auf die materiale Kultur Judas in der zweiten Hälfte des 7. Jh.s v. Chr.

Kapitel 1 bietet neben einer Übersetzung von 2Kön 22–23 eine de­taillierte Diskussion der Textgeschichte unter besonderer Be­rück­sichtigung der Lesarten der Septuaginta (23–36). Kapitel 2 be­schreibt ausführlich die Textoberfläche und gliedert 2Kön 22–23 in a) einen vorderen Königsrahmen (22,1–2), b) einen Bericht über die res gestae Josias (22,3–23,24), bestehend aus dem Bericht über die Entdeckung der Toraschrift (22,3–20), mit den Unterabschnitten des eigentlichen Fundberichts (22,3–10) und des Huldaorakels (22,11–20), und einem Bericht über die Kultreform (23,1–24), mit den Unterpunkten der Verpflichtung auf die Toraschrift (23,1–3), der Durchführung der Kultreformmaßnahmen (23,4–20) und der Passafeier (23,21–23[24]), und c) einen hinteren Königsrahmen (23,25–30a) (37–47). Im Zentrum des Buchs steht die in den Kapiteln 3 bis 9 durchgeführte literarische Analyse dieser sieben Abschnitte von 2Kön 22–23, die jeweils mit religionsgeschichtlichen Erwägungen sowie archäologischen, epigraphischen und ikonographischen Interpretationen korreliert werden (48–470). Ein abschließendes zehntes Kapitel (471–491) fasst den Ertrag der Untersuchung zu­sam­men und hält fest, dass 2Kön 22–23 zwar literarisch konstruiert sei, aber dennoch eine bedeutende Quelle für die Religionsgeschichte Judas in der späten Königszeit darstelle. Diese sei abzüglich der exilischen Fortschreibungen in 2Kön 22,11–20 (Huldaorakel) und 2Kön 23,25–27 (Gericht an Juda) sowie kleinerer Zusätze unterschiedlicher Herkunft in 23,4b.9.13 f.15*.16–20 Teil einer spätvorexilischen deuteronomistischen Königsgeschichte gewesen. Aus dieser lasse sich grundsätzlich die Historizität einer Josianischen Kultreform ableiten, wenngleich die einzelnen Reformakte Teile einer sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden religionsinternen, staatlich geförderten Transformation des judäischen religiösen Symbolsystems gewesen seien. Die im Reformbericht, dessen ältester Bestand in 2Kön 23,4a.5*.6–8.10–12.15a* zu suchen sei, erkennbare Idee, die Jahweverehrung zu zentralisieren, wobei die Phänomene von Kulteinheit und Kultreinheit nicht zu trennen seien, gründe historisch in der politischen Konzentration Judas im 8./7. Jh. v. Chr. auf Jerusalem. Die Josianische Reform weise zwar eine gewisse Nähe zu deuteronomischen Vorstellungen auf, lasse sich aber, wie aus dem unterschiedlichen Bundesverständnis ersichtlich, nicht als direkte »politische Adaption« des Deuteronomiums »oder seines kultpolitischen Programms« be­schreiben (482). So kämen in dieser Reform außer deuteronomischen Elementen auch Jerusalemer Priestertradition und prophe­tische Tradition zusammen, erstere in Gestalt der tempeltheolo­gischen Auseinandersetzung um die angemessene Repräsentation Jahwes im Kult, sei es mittels eines leeren Kerubenthrons im Tempel und/oder mittels einer (ursprünglich als Kultsymbol, nicht als Göttin zu deutenden) Aschera neben dem Brandopferaltar, letztere, wo im Schatten Hoseas Kritik an Kultbildern geübt werde (vgl. Hos 8,4–6; 10,5 f.; Jer 2–6*; Zeph 1,4–6). Dieser religionsinterne Differenzierungsprozess münde in einer Reorganisation der »offiziellen Religion« in Juda, die dann den Boden für ein monotheistisches Gotteskonzept und die Ausprägung der jüdischen Religion in der Perserzeit bereitet habe.

Der Studie sind fünf Exkurse beigegeben, welche die skizzierte literar- und religionsgeschichtliche Rekonstruktion vertiefen: 1) der Nachweis, dass die syntaktischen Fügung weqāṭal-x in den Königsbüchern keinen Narrativ darstellt, sondern durchgehend einen Handlungsprogress in der Zukunft anzeigt bzw. iterative oder generelle Sachverhalte ausdrückt, und weder ein literarkritisches noch ein formgeschichtliches Kriterium darstellt, 2) die Interpretation des Wortes kmr (MT: komær, vgl. 2Kön 23,5; Hos 10,5; Zeph 1,4); als Primärnomen aus dem kleinasiatischen Sprach- und Kulturraum, das im Alten Testament für Kultfunktionäre gebraucht werde, die mit Kultpraktiken aramäischer Herkunft in Verbindung stünden, 3) eine Klassifikation und Auswertung der Kinderopfertexte im Alten Testament, die in der These mündet, dass sich die in 2Kön 23,10 beschriebenen Maßnahmen gegen eine mit der Jahweverehrung nicht vereinbare Bestattungspraxis phönizischer Herkunft richte, bei der verstorbene Kinder verbrannt und damit einer als mlk (MT: molæk, vgl. 2Kön 23,10; 1Kön 11,7; Jer 32,35; Lev 18,21; 20,2–5) bezeichneten Gottheit geweiht würden, 4) Überlegungen zum literargeschichtlichen Abschluss der Königsbücher, in deren Rahmen P. in Auseinandersetzung mit den klassischen Hypothesen – einer grundsätzlich erst exilischen Abfassung des deutero­nomistischen Geschichtswerks bzw. einer deuteronomistischen Königsgeschichte einerseits und einer königszeitlichen deuteronomistischen Grundlage mit einer exilischen deuteronomistischen Fortschreibung andererseits – zumindest für den Bereich von 2Kön 22–23 das Modell einer aus der Zeit Zedekias oder Jojakims stammenden Grundfassung und einer exilischen Redaktion entwickelt, sowie 5) einer kritischen Relativierung der These einer neuassyrischen kulturellen und religiösen Überformung Judas: zwar ließen sich eine vor allem aramäisch vermittelte Übernahme neuassyrischer Kultelemente und eine Zunahme astraler Kultbräuche in Juda zeigen, nicht aber eine explizite neuassyrische Imprägnierung oder durchgehende Astralisierung der judäischen Religion. So müsse zwischen politischen Maßnahmen Assurs im Umgang mit seinen Vasallenstaaten und einer bewussten Transformation der judäischen Religion unterschieden werden.

Insgesamt bietet P. eine in der Fülle der vorgebrachten Argumente und bedachten Aspekte beeindruckende und von einem starken Hang zur Synthese geprägte Rekonstruktion der religionsgeschichtlichen Verhältnisse in Juda im 7. Jh. v. Chr. Die Josianische Reform erscheint dabei als eine Chiffre mit historischem Kern, unter der sich die sukzessiven Veränderungen im religiösen Symbolsystem der späten judäischen Königszeit zusammenfassen lassen: Als Gegenstand der exilischen und nachexilischen Interpretation steigt 2Kön 22–23 zum Programmtext deuteronomistischer Kultgesetzgebung auf und spiegelt zugleich religionsgeschichtliche Entwicklungen in Juda/Jehud in der Perserzeit. Auch wenn man die literarischen Verhältnisse in 2Kön 22–23 für komplexer hält als P., man den Anteil exilisch-nachexilischer Fortschreibungen und dementsprechend literarischer Konstruktionen höher einschätzt und einzelne archäologische und ikonographische Be­funde anders interpretiert, bietet das Buch doch eine basale Zu­sam­ menschau literarischer und materialer Befunde zum gesamten Themenbereich der Josianischen Reform, mit der sich die weitere literar- und religionsgeschichtliche Forschung intensiv auseinandersetzen sollte. Beigegeben sind dem Werk neben den üblichen Registern 22 Abbildungen in schwarz/weiß, die aus diversen einschlägigen Bildbänden bekannt sind, so u. a. Umzeichnungen von überwiegend judäischen Roll- und Stempelsiegeln, Skizzen zu Tor- und Tempelanlagen (Tell Arad, Tell es-Seba῾, Ḫorvat ῾Uza, Dan, Betsaida, Ḫorvat Rum) sowie zur neuassyrischen Ikonographie.