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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

622-624

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Freudenberg, Matthias

Titel/Untertitel:

Reformierte Theologie. Eine Einführung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2011. 419 S. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-7887-2523-5.

Rezensent:

Andreas Hunziker

Matthias Freudenbergs als Einführung in die reformierte Theologie konzipiertes Buch erfüllt, was es verspricht: Auf ausgewogene, solide und gut verständliche Weise führt es die Leserin und den Leser in die geschichtlichen Anfänge, die grundlegenden Themen und neueren Entwicklungen der reformierten Theologie ein. F.s Überblick über die Vielgestaltigkeit der reformierten Konfession sollte zur Pflichtlektüre nicht nur jedes Studierenden der reformierten Theologie werden.
Im Vorwort (5 f.) gibt F. Auskunft über die seine Darstellung leitenden Interessen: Die Kenntnisse der Traditionen und Grundlinien der reformierten Theologie sollen verständlich machen, wieso »die reformierte Theologie kein musealer Gegenstand sein will, sondern einen wesentlichen Beitrag zur Zukunft des evangelischen Christentums in seiner ökumenischen Ausrichtung liefern kann.« (5) Darum will F. die Unterschiede zwischen Reformierten und Lutheranern bzw. zwischen Protestantismus und Katholizismus zwar deutlich herausarbeiten, aber eben mit der Absicht, diese konfessionellen Unterschiede als Potential zum weiterführenden ökumenischen Gespräch zu verstehen. Auch die einleitenden »Annäherungen an die Frage: Was ist reformiert?« (11–20) unterstreichen diesen Punkt noch einmal: »Indem sich die ›nach Gottes Wort reformierte Kirche‹ ganz und ausschließlich an Gott und seinem in der Heiligen Schrift bezeugten Wort orientiert (und von diesem bleibendem Zentrum her ständig erneuern lässt), verstehen sich die Reformierten nicht als »innerevangelische Alternative zu den Lutheranern […], sondern ganz einfach als die konsequenteren und darin eigentlichen Lutheraner.« (18; F. zitiert an dieser Stelle M. Beintker.) Sie intensivieren und konzentrieren die fundamentalen »Gemeinsamkeiten mit den Lutheranern, wie sie in Melanchthons Augsburger Bekenntnis von 1530, der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 und der Leuenberger Konkordie von 1973 zum Ausdruck kommen« (19).
Der erste Hauptteil (»Anfänge«, 21–102) liefert die historischen Grundinformationen zum Entstehen der nach Gottes Wort reformierten Kirche. Im Durchgang durch das Leben und Werk von Ulrich Zwingli, Heinrich Bullinger und Johannes Calvin zum einen und anhand einer Darstellung der Geschichte und Theologie der Hugenotten und Presbyterianer zum anderen legt F. besonderen Wert darauf, dass das Entstehen der reformierten Tradition von Anfang an ein plurales Ereignis war. Dies spiegelt sich nicht nur in den verschiedenen maßgebenden Personen (Zwingli, Bullinger, Calvin) und Orten (Zürich, Genf), sondern auch in den unterschiedlichen Territorien (Teile der Schweiz, Niederlande, Schottland, Ungarn, Nordamerika usw.), in denen die reformierten Kirchen prägend wurden.
Gerade weil die reformierte Kirche darum in den kirchlichen Gestaltungsformen und theologischen Denkweisen wesentlich plural ist, sei es umso wichtiger, auch nach dem Gemeinsamen – den Grundmustern reformierten Lebens und Denkens – inmitten dieser Pluralität zu fragen. Die Ausführungen in diesem Kapitel bieten einen guten Überblick, sind aber auch recht knapp und darum vor allem für Anfänger auf dem Gebiet der reformierten Theologie von Interesse. Erfreulich ist gerade aus Zürcher Sicht, dass das Leben und Werk Heinrich Bullingers (1504–1575) ebenso umfangreich gewürdigt wird wie dasjenige Zwinglis und Calvins, so dass deutlich wird, wieso Bullinger keineswegs bloß ein Epiogene Zwinglis, sondern ein eigenständiger Theologe »von europäischem Rang ist« (43).
Der zweite und weithin umfangreichste Teil des Buches (103–352) behandelt dann im Durchgang durch einen ganzen Katalog von Themen die theologischen Schwerpunkte der reformierten Theologie: 1. Gottes Ehre bezeugen: Die ganze Heilige Schrift; 2. Glauben öffentlich verantworten: Reformierte Bekenntnisse; 3. Erkennen und vertrauen: Reformierte Katechismen; 4. Als Gottes Geschöpfe leben: Schöpfung, Vorsehung und Bund; 5. Christi Namen tragen: Jesus Christus – Prophet, Priester und König; 6. Gottes erwählendes Handeln: Prädestination; 7. Dankbar leben: Heiliger Geist, Heiligung und Gottes Gebote; 8. Befreit zum Leben: Das Geschenk der christlichen Freiheit; 9. Ein Ort von Gottes Güte: Die Kirche; 10. Auf Gott einen Reim machen: Gottesdienst und Psalmengesang; 11. Wahrzeichen und Siegel: Taufe und Abendmahl; 12. Gott auf kein Bild festlegen: Das Anliegen des Bilderverbotes; 13. In der noch nicht erlösten Welt leben: Zum Verhältnis von Kirche und Staat; 14. Einander menschlich begegnen: Sozial- und Wirtschaftsethik. Das Resultat ist ein kleines theologiegeschichtliches Kompendium reformierter Dogmatik und Ethik, das der Leserin und dem Leser die Grundmuster reformiert-theologischen Denkens auf klare Weise vor Augen führt.
Auch wenn dabei für F. der wesentliche Bezugspunkt der klassischen reformierten Theologie bei Johannes Calvin liegt (und er im Blick auf neuere Entwicklungen immer wieder vor allem auf Karl Barth und auf Barmen hinweist), werden m. E. die Differenzen innerhalb der Tradition reformierter Theologie nicht unzulässig eingeebnet: Das Gemeinsame reformiert-theologischen Denkens erscheint im ständigen Gespräch zwischen verschiedenen (von der Reformation bis in die Gegenwart reichenden) Stimmen und fordert die Leserin und den Leser damit zum – auf die Schrift in ihrer Ganzheit einerseits und auf die konkrete Gestaltung des kirchlichen, gesellschaftlichen und individuellen Lebens andererseits bezogenen – Mit- und Selbstdenken heraus. Auch dieses zweite Kapitel bietet einen guten Überblick. Durch die 14 Unterkapitel ist es klar gegliedert. Der Anfänger erhält dadurch eine klare Führung: Er wird über die einzelnen Loci der Unterkapitel gut informiert; wenn er sie überdies alle nacheinander durchgeht, lernt er kumulativ die Grundmuster reformiert-theologischen Denkens kennen. Der Fortgeschrittene wird sich wohl eher einzelnen Unterkapiteln des ›Kompendiums‹ zuwenden, um darin verlässliche Grundinformationen zu finden. Aufgrund des Einführungscharakters des Buches wird allerdings manches nicht diskutiert, was ihn wohl be­sonders interessieren würde. Um ein Beispiel zu nennen: Der usus legis in renatis wird in Zusammenhang mit dem Calvin und dem Heidelberger Katechismus zwar erwähnt (147 f.), auf dessen kontroverse Einschätzung innerhalb der evangelischen Theologie geht F. aber nicht ein.
Der dritte und letzte Teil (»Entwicklungen«, 353–418) wendet sich exemplarisch vier wirkungsgeschichtlichen Aspekten der re­formierten Theologie zu. In einem ersten Kapitel (»Impulse aus Wittenberg und ihre neuzeitliche Kritik: Philipp Melanchthon«) geht F. der Bedeutung Philipp Melanchthons für die Geschichte und Theologie des reformierten Protestantismus nach. Dass Me­lanchthon die Grenzen der lutherischen Konfession überschreitet, zeigt sich nicht nur an seinem indirekten Einfluss (durch seinen Schüler Zacharias Ursinus) auf die Abfassung des Heidelberger Katechismus und am Beispiel seiner Freundschaft mit Calvin. Auf erhellende Weise geht F. auch der Rezeption von Melanchthons theologischem Denken bei Friedrich Schleiermacher, Heinrich Heppe und Karl Barth nach (dass Barth in Blick auf Melanchthon die neuprotestantische Gefahr vermute, sei etwas voreilig). Das zweite Kapitel (»Entdeckung und Neugestaltung der reformierten Theologie: Karl Barth«) stellt Barths weniger auf Traditionspflege als auf die bleibende und aktuelle Relevanz gerichtetes Interesse an der reformierten Tradition vor. Wenn F. Barths Interesse näherhin so beschreibt, dass ›gute‹ reformierte Theologie »der Suche nach theologischer Erkenntnis den Vorrang vor konfessionellen Partikularinteressen« einräumt (373), dann entspricht dies ziemlich genau dem auch F.s Darstellung leitenden Interesse, wie er es im Vorwort beschreibt.
Unbekannteres Gebiet betritt F. wiederum mit dem dritten Kapitel, das den Titel »Bewährung der reformierten Ethik: Alfred de Quervain« trägt. Anhand dieses Schweizer Theologen und Wuppertaler Hochschullehrers im Kirchenkampf werden »Argumentationslinien einer reformierten Ethik« aufgezeigt, »die im Gespräch mit der klassischen reformierten Theologie entstanden sind und sich im Kontext des Kirchenkampfes bewährt haben« (385). Der Band schließt mit einem vierten Kapitel »Konfessionalität und Ökumenizität der reformierten Theologie: Barmen – Voraussetzungen und Wirkungen«, in dem auch die Bedeutung der Leuenberger Konkordie (1973) und des Bekenntnisses von Belhar (1982/ 1986) für die reformierte Theologie zur Sprache kommt.
F. hat eine sehr lesenswerte Einleitung in die reformierte Theologie geschrieben, der es immer wieder gelingt, auch die Gegenwartsbedeutung dieser (in sich noch einmal vielfältigen) Tradition herauszuarbeiten. Dass F. daran gelegen ist, weniger die konfessionellen Partikularinteressen als vielmehr das ökumenische Sachanliegen der reformierten Theologie in den Vordergrund zu stellen, scheint mir richtig und wichtig. Das ändert aber nichts daran, dass ich jene Passagen oft besonders hilfreich fand, in denen F. das reformierte Denken mit der lutherischen Tradition genauer verglichen und gerade so in seiner Eigenart schärfer konturiert hat (vgl. z. B. den Vergleich der Schöpfungsverständnisse von Luther und Calvin, 153 f.).
Eine gewisse Schwäche des Buches könnte darin gesehen werden, dass die theologische Reflexion manchmal früher abbricht, als man erhofft, und entsprechend auch im thematischen Teil eine Tendenz zum Narrativen hat. Allerdings darf man hier auch keine falschen Erwartungen haben, will F. doch bewusst eine Einleitung in die reformierte Theologie vorlegen. Zu überlegen wäre aber auf alle Fälle, ob dem Buch nicht auch ein Abschnitt über die vielfältigen – und zum Teil recht andersartigen – Gestalten der gegenwärtigen reformierten Theologie außerhalb Europas (insbesondere Deutschlands und der Schweiz) gut getan hätte.