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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

193–195

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kohnle, Armin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Helmar Junghans (1931–2010) als Kirchenhistoriker. 2. Leipziger Arbeitsgespräch zur Reformation aus Anlass seines 80. Geburtstags.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 128 S. 24,0 x 16,7 cm = Herbergen der Christenheit, Sonderbd. 20. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-03072-9.

Rezensent:

Gert Haendler

Am 16. Mai 2010 verstarb Helmar Junghans, am 25. Mai 2010 fand ein Trauergottesdienst statt, der wichtige Lebensstationen nannte: 1955 be­gann das Theologiestudium in Leipzig, 1964 Promotion bei Franz Lau, der ihn krankheitshalber 1971 als Lehrstuhlvertreter und als Herausgeber des Lutherjahrbuchs vorschlug. 1981 folgten die Habilitation, 1983 die Ernennung zum a.o. Professor und 1990 zum o. Professor. Die sächsische Akademie der Wissenschaften nahm ihn 1995 auf, zwei amerikanische Universitäten verliehen ihm die Ehrendoktorwürde. Im Grußwort zur Eröffnung der Ar­beitsgespräche am 31.10.2011 erinnerte Dekan Klaus Fitschen an Helmar Junghans »mit seiner Schaffenskraft, seinem Humor und seiner Freundlichkeit« (13).
Die Beiträge zum Arbeitsgespräch eröffnet Gerhard Müller: »Helmar Junghans als Reformations- und Lutherforscher«. Junghans wurde 1971 Herausgeber des Lutherjahrbuches, aber »an den Sitzungen des Vorstandes der Luther-Gesellschaft durfte der junge Leipziger Gelehrte wegen der Staatsgrenze nicht teilnehmen« (16). Die Luther-Gesellschaft war ein Verein im Westen, ihr Lutherjahrbuch jedoch wurde in Leipzig erarbeitet. Ein Grund für die DDR zur Tolerierung dieses ungewöhnlichen Verfahrens war, dass das Lutherjahrbuch international angelegt war (19). Für Junghans stand freilich schon immer die Lutherforschung in Nordeuropa und den USA mit im Blick. Früh hatte er sich der Informationstechnik geöffnet, was jetzt zur Einstellung der Lutherbibliographie in das Internet führt (23). Müller würdigt die Editionen und seine verschiedenen Arbeiten zum Thema »Luther und der Humanismus«, die stets »die historischen und räumlichen Umstände beachten« (32).
Johannes Schilling nennt drei Momente, die Junghans zur le­benslangen Arbeit an Luther geführt haben: der Charakter der Theo­logie Luthers, der politische Kontext, d. h. »die DDR, die ihm Hindernis und Antrieb zugleich für seine Arbeit war«, sowie sein Lehrer Franz Lau (33). Zum Thema Luther und die Humanisten »hat Junghans wissenschaftliches Neuland betreten und neue Wege zum Verständnis Luthers gebahnt«. Seine Ergebnisse wurden »von der Forschung rezipiert« (37). Irene Dingel wertet bei dem Thema »Helmar Junghans als Melanchthonforscher« seinen Literaturbericht über das Melanchthonjahr 1997 aus. Sie »entdeckt seinen feinen Humor, in den er seine Kritik einzeichnete« (41). Immer wieder zeigte Junghans, »wie sehr Luther und Melanchthon in ihrer Theologie aufeinander bezogen waren«. Er bekämpfte das Klischee vom »furchtsamen Melanchthon«, der sich zur Scholastik zurück­gesehnt habe. Melanchthon blieb »bis an sein Lebensende ein Kritiker der römischen Kirche«, der zur Wittenberger Reformatorengruppe und in die kursächsische Reformationspolitik hineingehört (46).
Über Helmar Junghans und die Territorialkirchengeschichte referiert Armin Kohnle. Einer Zeitschriftenschau Territorialkirchengeschichte 1969 folgten weitere Studien. Der Band »Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen« zum 450. Jahrestag der Lutherischen Kirche Sachsens war »die größte Leistung von Junghans« auf diesem Gebiet (53). Ebenso gehört sein Wittenberg-Buch hierher, zumal die Neufassung von 1996 mit dem Kaiptel zu Wittenberg als Er­innerungsort der lutherischen Reformation. Aber auch über Leipzig, die Universität, die Theologische Fakultät und die Forschungen zur Kirchengeschichte hat er wichtige Beiträge geliefert.
Siegfried Bräuer beginnt seinen Beitrag »Helmar Junghans und die Müntzerforschung« mit dem Mai 2010: Mit Junghans hatte er »einen regelmäßigen, oft täglichen E-Mail-Kontakt«, um die kritische Edition des Müntzerbriefwechsels zu beenden, die einen Tag vor seinem Tod gelang. Beide beschäftigten sich mit Müntzer, weil die marxistische Publizistik und Pädagogik »von der antikirchlichen Tradition der Arbeiterbewegung geprägt war und weithin nicht den historischen Quellen entsprach« (59). Zum Müntzer-Jubiläum 1975 wies Junghans auf verschiedene theologische Voraussetzungen bei Luther und Müntzer hin und widersprach damit der »Auffassung von Müntzer als einem abgefallenen Schüler Luthers« (61). Auf einem Müntzer-Kolloquium 1988 benannte er den Ertrag des Gedenkens für evangelische Christen (63). Später schildert Siegfried Bräuer »Helmar Junghans als Zeitgenossen«, dem er jahrzehntelang eng verbunden war. Als Junghans in seinem Wittenberg-Buch die Formel »frühbürgerliche Revolution« erwähnen und Errungenschaften der DDR preisen sollte, war Bräuer bei ihm. »Wir haben die Alternativen ausgelotet. Eine ganze Kette ähnlicher punktueller Erinnerungen ließe sich anfügen« (74). Bräuer erinnert an das »Kirchen-Abitur« in Hermannswerder 1955, das staatlich anerkannt wurde, weil Walter Elliger als Dekan der Theologischen Fakultät Berlin dabei war. Die Zulassung in Leipzig 1955 geschah mit Hindernissen. 1960 wollte Lau ihn als Assistenten einstellen, zwei Stasimitarbeiter der Fakultät warnten. 1971 setzte sich Sektionsdirektor Hans Moritz durch: Junghans konnte Dozent werden. Bräuer und Junghans nahmen 1981–1990 an Expertengesprächen mit marxistischen Historikern teil (81).
Michael Beyer erinnert an Helmar Junghans als akademischen Lehrer, den er 1973–1977 erlebte. Die Professoren waren als Berater für ihre Studienjahre verantwortlich, sie hafteten »bei politischem Fehlverhalten« (67). Junghans und Wartenberg »funktionierten das System stillschweigend um, verrieten uns nicht, sondern schützten uns« (69). In Laus Tradition begann er bestimmte Vorlesungen mit Luthers Morgensegen oder dem Choral »Ein feste Burg«. Eine Rede Junghans’ zu seinem 75. Geburtstag am 19. Oktober 2006 ist von Dank durchzogen (83–88). Ein Interview am 3. März 2010 mit Leonore Lobeck gilt primär seiner Haftzeit 1946–1951. Michael Beyer hat ein Literaturverzeichnis zusammengestellt. Mehrfach erinnern Fotos an den heimgegangenen Jubilar, dem sich auch der Rezensent nach Jahrzehnten guter Zusammenarbeit dankbar verbunden weiß.