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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1087–1088

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Denke, Andrea

Titel/Untertitel:

Konrad Grünembergs Pilgerreise ins Heilige Land 1486.Untersuchung, Edition und Kommentar.

Verlag:

Köln/ Weimar/Wien: Böhlau 2011. XI, 587 S. m. Abb. 23,0 x 15,5 cm = Stuttgarter Historische Forschungen, 11. Geb. EUR 74,90. ISBN 978-3-412-20608-6.

Rezensent:

Stefan Timm

Was Konrad Grünemberg aufgeschrieben hat, nachdem er 1486 von Konstanz als Pilger ins Heilige Land gereist war, entspricht vielen Pilgerberichten des 15. Jh.s. Es geht aber darüber hinaus, indem auch der Besuch in einem Hamam in Jerusalem geschildert ist (nur in der Handschrift Gotha) und seinem Text mehr als 40 Zeichnungen beigegeben sind, die das Erlebte vor Augen führen. J. Gold­fried­rich und W. Fränzel hatten den Bericht 1912 in einer gemeinverständlichen Reihe neuhochdeutsch publiziert, sich in Wortwahl und Syntax bewusst eng an das Original haltend: Ritter Grünembergs Pilgerfahrt ins Heilige Land 1486 herausgegeben und übersetzt, mit 24 Nachbildungen der Handzeichnungen Grünembergs, Voigtländers Quellenbücher 18, Leipzig o. J. Es gab also von Grünembergs Pilgerbericht seit 100 Jahren eine neuhochdeutsche Übersetzung, aber keine kritische Textedition und keinen Kommentar dazu. Die vorliegende Arbeit liefert beides. Andrea Denke ist mit ihr 2007 in Stuttgart im Fach Geschichte promoviert worden.
Der erste Teil enthält allgemeine Erörterungen zu den Pilgerreisen im späten Mittelalter. Dann folgt, was über Konrad Grünemberg als Autor ermittelt worden ist: Er ist berühmt durch sein Wappenbuch (1483), in dem er 2000 Wappen der Herrscher- und Adelshäuser wiedergegeben hat – bis heute eine Fundgrube der mittelalterlichen Heraldik. Weiter geht D. dem nach, was über Mitglieder der Kaufmannsfamilie Grünemberg bekannt ist und wie deren Aufstieg ins städtische Patriziat oder noch Weiteres gelang, vgl. Ritter Grünemberg. Das wird breit erörtert (32–92), aber nicht, wie Konrad Grünemberg zu seiner Bildung gekommen ist, der schon in der Einleitung seines Berichts Archytas aus Tarent zitiert (280 [War der damals noch bekannt?]) und manch anderes Bildungsgut in seinen Text einfließen ließ.
Nach den Darlegungen zum Autor und zur Familie Grünemberg beschreibt D. die beiden Handschriften des Reiseberichts: die kürzere, ältere, in Karlsruhe, und die längere, jüngere, in Gotha, wohl beides Autographen aus verschiedenen Jahren, sowie die späteren Abschriften davon (92–105). Inwieweit Grünemberg vorgegebene Quellen benutzt hat, ist teilweise noch unsicher.
Seit 1482 lag der Reisebericht des Hans Tucher aus Nürnberg vor (er war 1476 im Heiligen Land). Viele Passagen bei Tucher klingen wie eine Übersetzung der »Peregrinationes totius terrae sanctae« (L. Wild, Regensburg um 1471), deren Ursprung der Rezensent bei den Franziskanern in Jerusalem vermutet. Es müsste noch untersucht werden, wie weit die »Peregrinationes« (mit ihren Angaben zu den Ablässen) nicht nur die Abfolge dieser Stätten in den Pilgerberichten bei Tucher, Grünemberg u. a. geprägt haben, womit deren Gleichförmigkeit erklärt wäre, sondern auch deren Wortlaut bei der Beschreibung der Loca Sancta. – Für die jüngere Fassung seines Reiseberichts in der Handschrift Gotha hat Grünemberg nachweislich weite Partien aus Bernhard Breydenbachs Peregrinatio in Terram Sanctam (11.2.1486) übernommen, die seit 21.6. 1486 auch deutsch vorlag. Die berühmten Darstellungen bei Breydenbach, die Erhard Reuwich zu danken sind, haben die Bilder in Grünembergs jüngerem Manuskript stark beeinflusst.
Etliche Kirchen und Klöster hatte Grünemberg schon in Venedig aufgesucht. Bei jedem Landgang war es ihm ein Anliegen, zu den Kirchen am Ort zu gelangen. D. versucht – löblich! – sie alle mit ihren Patrozinien und Heiltümern (Reliquen) zu identifizieren (291–300.317–364).
Im Heiligen Land, auf dem Weg von Jaffa nach Jerusalem, in Jerusalem mit der Grabeskirche (als zentraler Ort der Reise wurde sie dreimal aufgesucht), auf dem Ölberg, am Jordan oder in Bethlehem haben die Pilger alle Stätten besucht, die aus katholischer Sicht (sie hatten ja Franziskaner als Führer) seit Jahrhunderten als Loca Sancta galten, wo es auch Ablass gab (vgl. die »Peregrinationes«). Alles, was Grünemberg dort gesehen hat, war für ihn eindrücklich und bewegend. Aber es findet sich fast alles so auch in anderen Pilgerberichten des 15. Jh.s.
Für den Rückweg von Bethlehem nach Jerusalem beschrieb Grünemberg u. a. die Kirche des Hirtenfeldes »do der engel den hirten verkunt die geburt Christy« (zum Hirtenfeld bei Bethlehem vgl. C. Kopp, Die Heiligen Stätten der Evangelien, 2. Aufl. Regensburg 1959, 53–66), dann eine Kirche »da ligent zwelff proffeten«, dann »das huß Zacharÿe, inn das unser liebe frow gieng, als sÿ zu ir frundinn sant Elissabetten inn das gebierg gieng« (445). Zacharias’ Haus und damit die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth waren nie bei Bethlehem lokalisiert, sondern seit alters in ῾Ēn Kārim westlich von Jerusalem. Nach ῾Ēn Kārim gehören auch das Magnificat und das Benedictus, deren Entstehung Grünemberg in diesem Zusammenhang gedenkt, sowie die Stätte = Kirche, da Johannes der Täufer geboren war, auch wenn die Heiden »ÿetzen nun rinder und essel dar in stelt« (446). D. hätte darauf aufmerksam machen sollen, dass hier – nach der Kirche von Migdal ῾Ēder (bzw. Grünemberg »der Zwölf Propheten«), die noch in den Bereich des Hirtenfeldes von Bethlehem gehört – der Textverlauf gestört ist (so auch bei Tucher, 437, der nach dem »grab der XIj propheten« noch den Ort einfügt, wo David mit seinem Schleuderstein Goliath niederstreckte und tötete).
Unter der Überschrift »Die Wahrnehmung des Fremden« verhandelt D. noch die anderen Ausprägungen des Christentums, den Islam, die fremden Sitten und Gebräuche, fremde Sprachen, Frauen und Tiere (170–212) sowie die Abbildungen in der kürzeren und längeren Fassung (222–268).
Für den zweiten Teil ihrer Arbeit, die Textedition (275–482), hat D. die jüngere, längere Handschrift in Gotha zugrunde gelegt. Deren Eigenheiten, Abkürzungen, hochgestellte Buchstaben u. Ä. hat sie sorgfältig registriert, Unterstreichungen sind nicht er­wähnt. Wiewohl der vorangegangene Teil ein ausführlicher Kommentar ist, wird vieles nun in Anmerkungen wiederholt, womit sich manche Redundanzen ergeben. Hier hätte oft ein »s. o.« mit Seitenangabe genügt. Leider konnte D. (aus Kostengründen?) in dieser Druckfassung die Karlsruher Handschrift nicht auch edieren, die in der Maschinenfassung ihrer Dissertation noch enthalten war (vgl. Vorwort). Noch mehr bedauert man, dass sie nicht alle Bilder, der Karlsruher und der Gothaer Handschrift, in farblicher Wiedergabe publiziert hat. Ihre 16 Abbildungen (zwischen 260 und 261) erweisen, was heute an vorzüglichen Reproduktionen möglich ist – und in dieser Qualität nun doch weiter fehlt! Teil 3: Bildprogramm mit Edition der Abbildungsinschriften (483–508) überbrückt das insoweit, dass hier zusammengestellt ist, wo die Bilder anderswo in minderer Qualität geboten worden sind. Hilfreich ist hier auch die Wiedergabe der Abbildungsinschriften, die im Original in kleinster Schrift geboten werden und daher nur sehr mühsam zu lesen sind.
Der Rezensent, der Alttestamentler ist, hätte gern belegt gesehen, welche deutsche Bibelübersetzung Konrad von Grünemberg benutzt hat (z. B. 389: Lk 23,28; 393: 2Makk 2,7; 399: Lk 19,41; 399: Mt 28,7; 440: Mt 21,2; Mk 11,2; Lk 19,3), besonders auffällig (407): »E der han zwirent singet, so hăstu min dristund verlougnet« (Mk 14,30).
Die Edition, die D. vorgelegt hat, ist etwas Neues. Der Kommentarteil leuchtet vieles aus. Wer nun weiter an und mit Konrad Grünemberg arbeiten will, dem hat D. etwas zur Hand gegeben, für das ihr Dank gebührt!