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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

872–874

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Im Auftrag des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik hrsg. v. W. Thönissen mit M. Hardt, P. Lüning, B. Neumann, J. Oeldemann. M. e. Geleitwort v. W. Kardinal Kasper.

Titel/Untertitel:

Lexikon der Ökumene und Konfessionskunde.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Herder 2007. 21* S., 1462 Sp., S. 755*–765*. 8°. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-451-29500-3.

Rezensent:

Reinhard Frieling

»Ökumene« als freundliches Miteinander von Christen, Gemeinden und Kirchen verschiedener Konfession ist in Mitteleuropa selbstverständlich geworden. Andererseits gibt es noch viel konfessionelle Selbstgenügsamkeit und beiderseitige Vorurteile. Darum ist es unerlässlich und hilfreich, dass immer wieder aktualisierte Informationen bereitgestellt werden, um zu einem noch besseren gegenseitigen Verstehen und Miteinander zu kommen. Die Vielzahl ökumenisch-theologischer Fachbücher und die Dokumentation ökumenischer Dialogergebnisse sind selbst für Experten kaum noch zu überschauen, so dass Lexika eine angemessene Orientierung für Theologen und Nichttheologen bieten.
Das Paderborner Möhler-Institut für Ökumenik hat als zentrale Arbeitsstelle der römisch-katholischen Kirche in Deutschland bereits etliche Werke hierzu vorgelegt: Das vierbändige Handbuch der Ökumenik (1985–1987) konzentrierte sich auf die historisch-theologischen Hintergründe und Implikationen von Einheit und Spaltung in der Christenheit. Die Kleine Konfessionskunde (3. Aufl. 1999) und Wolfgangs Thönissens Taschenbuch Stichwörter zur Ökumene (2003 in der Reihe Thema Ökumene Bd. 2) erschlossen allgemeinverständlich mit theologischer Substanz vielen Lesern einen angemessenen Zugang zu den ökumenischen Herausforderungen. Angesichts der bestehenden konfessionellen und ökumenischen Realitäten gibt es keinen »objektiven« überkonfessionellen Standort, von dem aus die Einzelthemen behandelt werden können. Darum ist es angemessen, dass eine Ökumene- und Konfessionskunde die jeweilige konfessionelle Herkunft der Autoren und die spezifischen Fragestellungen der erhofften Leser der eigenen Kirche nicht verleugnet. – Die Ökumenischen Studienhefte und die Konfessionskunde aus dem evangelischen Konfessionskundlichen Institut in Bensheim wählen dieselbe Methode.
Daneben hatten und haben freilich Ökumenelexika, die von einem interkonfessionellen Team gestaltet wurden, einen eigenen Wert: Die im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland entstandenen Werke Ökumene-Lexikon. Kirchen, Religionen, Bewegungen (1983) und das Taschenlexikon Ökumene (2003) enthalten sowohl eine Mischung von konfessionellen Selbstdarstellungen als auch von spezifisch dogmatischen Fragestellungen und ethisch-politischen Herausforderungen im globalen Kontext. Das interkonfessionell, interdisziplinär und interkulturell konzipierte Wörterbuch des Christentums (1988) stellt »das Christentum« in den Kontext mit anderen Religionen und mit säkularen Bewegungen und Organisationen, so dass von vornherein ein anderer Leserkreis angesprochen wird als derjenige, der hauptsächlich an der innerchristlichen Ökumene interessiert ist.
Das neue Paderborner Lexikon der Ökumene und Konfessionskunde (LÖK) basiert auf den römisch-katholischen Prinzipien des Ökumenismus, die das II. Vatikanische Konzil und die nachfol­gende interkonfessionelle Dialog- und Zusammenarbeit erbracht haben. Der Herausgeber beschreibt in der Einführung, wie heute Konfession und Ökumene »im Sinn eines wechselvollen Aufeinander-Verwiesenseins erkannt« werden, so dass »die jeder Konfession innewohnende Abgrenzungs- und Unterscheidungstendenz, ihr kirchentrennender Charakter, über­wunden werden muss, nicht jedoch die sich in ihr aussprechende ekklesiale Identität«. Dieser Ansatz führt dann im LÖK zu der logischen Konsequenz, dass die durchwegs katholisch geprägten Artikel dialogisch konzipiert sind: sei es, dass katholische Autoren die Positionen anderer Kirchen höchst kompetent und weiterführend ins Gespräch bringen oder dass gerade bei dogmatisch entscheidenden Artikeln auch Autoren der anderen Kirchen ihren konfessionellen Beitrag selber schreiben. Der dialogische Reiz solcher Konfessionskunde wäre freilich noch deutlicher geworden, wenn jeweils die Konfessionalität der Mitarbeiter genannt worden wäre.
Bei vielen rein kirchenkundlichen Artikeln über orthodoxe und evangelische Kirchen und Freikirchen handelt es sich um Selbstdarstellungen. Bei dogmatischen Stichworten wie Kirche, Rechtfertigung, Schriftauslegung usw. wird zuerst die römisch-katho­lische Tradition entfaltet und sodann die orthodoxe und evange­lische Lehre in eigenen Abschnitten ergänzt, sei es von einem katholischen oder einem anderen Autor. Häufig werden kenntnisreich im Rahmen der »Hierarchie der Wahrheiten« die Positionen geprüft, ob es sich um bleibende Gegensätze handelt oder um einen »differenzierten Konsens«, bei dem noch geklärt muss, ob auf Grund eines Grundkonsenses in der Sache die verbleibenden Un­terschiede als »versöhnte Verschiedenheiten« gewertet werden können oder nicht. Der Herausgeber Wolfgang Thönissen sieht zu Recht in dieser hermeneutischen und methodologischen Frage den entscheidenden Knackpunkt im ökumenischen Dialog.
Das LÖK »basiert auf der dritten Auflage des zwischen 1993 und 2001 erschienenen ›Lexikon für Theologie und Kirche‹« (Thönissen), d. h. dessen konfessionskundlich-ökumenische Artikel wurden »zunächst gekürzt, dann korrigiert und aktualisiert, gegebenenfalls ergänzt und mit aktuellen Literaturangaben versehen«. 50 Artikel wurden für das LÖK neu verfasst. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und ist eine gute Information für alle Interessierten.
Gemäß der katholischen Prinzipien des Ökumenismus, die sich auf die interkonfessionellen dogmatischen Fragen und die ökumenische Spiritualität konzentrieren, kommt freilich der beim Ökumenischen Rat der Kirchen stark bestimmende Bereich der sozial­ethischen, interkulturellen und interreligiösen Fragen nur gering vor. Über den »Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« gibt es nur eine Spalte, aber nicht jeweils eigene ökumenische Grundsatzartikel im interkonfessionellen und globalen Kontext. Hierfür hat die römisch-katholische Weltkirche ihre eigenen Ressorts, die jedoch nicht vorrangig zum Thema »Ökumene« gehören, es sei denn, es ergibt sich aus gegebenem Anlass eine ökumenische Zusammenarbeit und ein gemeinsames Zeugnis.
Es fällt auf, dass die »Befreiungstheologien« gar nicht eigens be­handelt werden, obwohl sie jahrelang die gesamtökumenische De­batte global bestimmt haben. Auch die Herausforderungen der sog. einheimischen Theologien kommen kaum vor. Hier zeigt sich eine eurozentrisch oder gar mitteleuropäisch konzentrierte Be­grenzung des LÖK, die eigentlich nur pragmatisch mit Platzgründen, aber nicht von der Sache her zu erklären ist – ebenso wie die völlige Zurückhaltung mit biographischen Artikeln.
Angesichts einer gewissen Ökumenemüdigkeit in den Kir­chen– an­ge­sichts mancher Vorurteile in römisch-katholischen Kreisen, die Ökumene bringe keine Vorteile, sondern nur Unruhe, indem man alle »liberalen« Fehler der Protestanten übernähme – und angesichts mancher Ängste bei Protestanten, der römisch-katholische Ökumenismus sei letztlich doch nur eine Variante früherer Tendenzen, alle Christen wieder in die Gemeinschaft mit und unter dem Papst zurückzuholen, macht das LÖK mit seiner Konzeption Mut zu weiteren ökumenischen Dialogen und zu mehr praktizierter ökumenischer Gemeinschaft. Hierzu haben sich die Kirchen übrigens in der »Charta Oecumenica« (2001) offiziell gemeinsam verpflichtet.