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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

699–701

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

George, Stephan

Titel/Untertitel:

Bestattung und katholische Begräbnis­liturgie in der SBZ/DDR. Eine Untersuchung unter Berück­sichtigung präskriptiver und deskriptiver Quellen.

Verlag:

Würzburg: Echter 2006. XLVIII, 362 S. gr.8° = Erfurter Theologische Studien, 89. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-429-02834-3.

Rezensent:

Eberhard Winkler

George geht in seiner Erfurter katholisch-theologischen Dissertation von der plausiblen und anregenden These aus, dass liturgiewissenschaftlich zwischen den in liturgischen Formularen vorliegenden präskriptiven Quellen und den tatsächlich vollzogenen, deskriptiv erhobenen liturgischen Handlungen zu unterscheiden ist. Er untersucht das Verhältnis zwischen vorgegebenen Formularen und vollzogener Liturgie am Beispiel der katholischen Begräbnisliturgie in der SBZ/DDR, also in einer (vom Eichsfeld und Teilen der Lausitz abgesehen) durch die Diaspora und durch zunehmende Entkirchlichung geprägten Situation. Als deskriptive Quellen dienen außer gedruckten Publikationen kirchliche und staatliche Archivmaterialien, besonders des Instituts für Kommunalwirtschaft Dresden, das staatlicherseits für Bestattungen und Friedhöfe zuständig war, sowie Befragungen katholischer Pfarrer. Die Leitfrage heißt: »Wie wird sich eine Feier verändern, bei der kaum Glauben­de anwesend sind, die durch ihr Dasein, ihr Beten und Mittun den Gottesdienst tragen?«
Auf einführende Hinweise zum Forschungsstand und -gegenstand sowie zur Vorgehensweise folgen 2. »Anmerkungen zur Ge­schichte der Bestattung und zur Darstellung des Bestattungsritus in den liturgischen Büchern« mit einem Exkurs: Unterschiede in der Theologie und Praxis katholischer und evangelischer Bestattung. Die alte Kontroverse über die Zielgruppe der Bestattung wird als beigelegt angesehen: »Katholische und evangelische Begräbnisliturgie verstehen mit einigen Nuancen die Bestattung als Dienst am Verstorbenen und als Trost der Trauernden« (24). Die konziliare Reform brachte den österlichen Sinn der Totenliturgie zur Geltung­ und ermöglichte bessere Anpassung an örtliche Gegebenheiten sowie eine stärkere Berücksichtigung der persönlichen Erwartungen und Bedürfnisse. Der Gerichtsgedanke tritt zurück. Es fällt auf, dass selbst in der extremen Diasporasituation die Eucharistiefeier weiterhin als Höhepunkt des christlichen Begräbnisses gilt, obwohl sie immer seltener mit der Bestattung verbunden werden kann.
Das 3. Kapitel widmet sich den Grundlagen und der Durchführung weltlicher Bestattungen in der DDR. G. schildert, wie die Marxisten sich nach langer Tabuisierung den Themen des Sterbens, der Trauer und der Bestattung annäherten und wie sie sozialistische Ersatzriten einführten, wobei sie bekanntlich mit der Jugendweihe nachhaltige Erfolge erzielten. Im Unterschied zu dieser stellte die weltliche Bestattung kein antireligiöses Kampfmittel dar. Ge­fördert wurden aus ökonomischen Gründen die Kremation, die in Bezirken Thüringens auf bis zu 97,6 % (Suhl) anstieg, und die Be­stattung in Urnengemeinschaftsanlagen, nicht aber die Beisetzung ohne Redner, die in einer ungenannten Stadt Thüringens 1988 die Hälfte der Bestattungen ausgemacht haben soll. Ein Grund lag in der schlechten Qualität vieler Reden, die durch ge­druckte Anleitungen verbessert werden sollte, denen Texte zur Rezitation, Mu­sikvorschläge und dergleichen beigefügt wurden.
Den Besonderheiten katholischer Begräbnisliturgie in den verschiedenen Diözesen geht G. im 4. Kapitel nach. Er zeigt, wie der soziokulturelle Kontext das Verständnis der Liturgie, die Rezeption der liturgischen Bücher und die Prägung der Feiern beeinflusst. Zunehmend musste berücksichtigt werden, dass die theologische Annahme, es handle sich um eine gottesdienstliche Feier der Ge­meinde, nicht der Realität entsprach. Es wuchs das Bedürfnis nach Formen und Inhalten, die möglichst vielen Nichtkatholiken zugänglich sind. Dazu gehört die in manchen Begräbnisordnungen nicht erwähnte Predigt mit der Bezugnahme auf die verstorbene Person. Das Konzil und die folgenden in Dresden tagenden Synoden förderten diese Entwicklung, die zugleich eine Annäherung an die evangelische Praxis brachte.
Das 5. Kapitel ist der empirischen Erkundung der Praxis gewidmet, wie diese sich in Experteninterviews mit Priestern widerspiegelt. Die zwölf Interviews repräsentieren das Gebiet der DDR von Rügen und Rostock bis ins Erzgebirge, vom katholischen Eichsfeld bis zur extremen Diaspora. Alle Befragten nutzten die vorgegebenen liturgischen Texte variabel und selektiv, um der jeweiligen Situation zu entsprechen und möglichst auch anwesende Nichtkatholiken bzw. Nichtchristen zu erreichen. Der Ablauf des Rituals wurde durch örtliche Gegebenheiten beeinflusst. Die Eucharistiefeier gilt theologisch als Höhepunkt des Begräbnisses, kann oft aber nicht in zeitlicher Nähe gefeiert werden, weil keine Gemeinde vorhanden ist. In der häufigen Trennung von Eucharistie und Begräbnis sieht G. eine Annäherung des katholischen an den evangelischen Bestattungsritus.
Generell gilt, dass die präskriptiven Texte umso variabler ge­braucht werden mussten, je weniger katholisches Milieu der Pries­ter voraussetzen konnte. Die theologischen Intentionen der Texte und die real gefeierte Liturgie fielen oft auseinander. Das theologische Verständnis des Begräbnisses als eines Handelns der Gemeinde kollidierte mit der Sicht der Hinterbliebenen, die es als Familienangelegenheit betrachteten. In volkskirchlichen und ländlichen Gebieten war der Gemeindecharakter eher erfahrbar als in Großstädten.
Im Schlusskapitel (6.) zieht G. ein Resümee aus den Befunden, in dem er noch einmal die Unterschiede zwischen volkskirchlich-katholischen Gemeinden und Diaspora betont. Für Letztere gilt, dass sich eine verstärkte Personalisierung und Privatisierung des Begräbnisses vollzog, die Wortverkündigung wichtiger wurde, die Ebene der liturgischen Zeichen dagegen einen Bedeutungsschwund erlitt. Die Anwesenheit von Nichtchristen beeinflusste das liturgische Handeln zunehmend. G. schließt mit knappen Leitlinien für das künftige Handeln der Kirche bei Todesfällen. Er hält daran fest, dass die Bestattung ein Gottesdienst der Gemeinde ist, für den er die gemeindliche Solidarität pflegen und fördern will. Als grundlegendes Datum christlichen Lebens betont er die Taufe und damit das wichtigste ökumenische Einheitsband. Haben bereits die Berichte aus der Praxis eine starke Annäherung der Konfessionen angesichts von Todesfällen belegt, kann der Hinweis auf die Taufe dazu dienen, diese Annäherung theologisch solide zu be­gründen. Im Anhang stellt G. einiges Material über weltliche Be­stattungen in der DDR zusammen, das geeignet ist, ex opposito die ökumenische Verbundenheit im Dienst angesichts des Todes zu bekräftigen. Der wissenschaftliche Wert dieses Buches liegt darin, dass für eine bestimmte Zeit und einen begrenzten Raum ge­zeigt wird, wie präskriptive liturgische Quellen unter dem Druck der sich wandelnden gesellschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse variabel und selektiv zu gebrauchen sind.