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Ausgabe:

Dezember/2023

Spalte:

1240-1244

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dürnberger, Martin

Titel/Untertitel:

Basics Systematischer Theologie. Eine Anleitung zum Nachdenken über den Glauben.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet, 2. erw. Aufl. 2023. 552 S. Kart. EUR 34,95. ISBN 9783791734699.

Rezensent:

Ralf Frisch

Es gibt Menschen, die kein Buch lesen können, ohne sich zuvor ein Bild von dessen Autor gemacht zu haben. Das trifft auch für den Rezensenten dieser Besprechung zu. Bei der Internetrecherche nach Martin Dürnberger, der an der Paris Lodron Universität Salzburg Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie lehrt, stieß er unter dem Link https://www.plus.ac.at/wp-content/uploads/2023/02/Duernberger-CV-Basics-v22a.pdf auf eine bemerkenswerte Fotografie. Sie zeigt D. hemdsärmelig an einem Tisch vor einem hintergrundfüllenden Bibliotheksregal sitzend. Das Foto ist gänzlich in Unschärfe getaucht und verstärkt so den Eindruck einer beinahe woodyallenesken Verlorenheit des daraus Hervorblickenden. Der Verdacht, es könne sich um eine Tiefgründigkeit suggerierende existenzialistische Pose handeln, hält sich allerdings nur so lange, bis man der Mozartgummibadeente auf einem Bücherstapel im Vordergrund gewahr wird. Sie ist das einzig Nichtschwarzweiße und Nichtunscharfe auf dem Foto. Grellbunt springt sie ins Auge. D. hat offenkundig einen ausgeprägten Sinn für Komik und Inszenierung. Wer aber glaubt, das, was er schreibt, sei darum theologisch eher halbseriöser und leichtgewichtiger Natur, geht einem Vexierbild auf den Leim. Das zeigt sich bei der Lektüre dieser »Basics Systematischer Theologie«, einer glänzenden, metaphorisch grell-bunten, sehr coolen und zugleich sehr ernstzunehmenden Einführung in die Grundfragen des Glaubens.

Das Buch ist eine Anleitung zum Selberdenken, genauer gesagt eine Navigationshilfe für den Aufbruch ins Gottesabenteuer der Welt. Sie »wurde«, so ihr Verfasser, »aus dem Vertrauen heraus geschrieben, dass in Jesus das unbedingte Ja Gottes zu uns verwirklicht ist […] und dass der Glaube daran Welt, Kirche und Leben bleibend neu und heilsam zu erschließen, zu orientieren vermag – auch heute noch, in kirchlich und gesellschaftlich disruptiven Zeiten […] Damit ist auch die tiefe Überzeugung verbunden, dass dies redlich nicht ohne Theologie möglich ist: Leben aus dem Vertrauen auf Gott heraus zu gestalten, impliziert das sapere aude – die Suche nach Reflexion, Argument, Diskurs. Zu dieser Suche will dieses Buch einen kleinen Beitrag leisten« (23). Es bewegt sich dabei in der Tradition einer römisch-katholischen Fundamentaltheologie, die sowohl vernunftgemäß als auch glaubensbasiert, also charakterlich gewissermaßen bipolar, nämlich rationalitäts- und evangeliumsorientiert ist und dabei einer Einsicht Karl Rahners folgt: »Je näher man [Gott] kommt, um so wirklicher wird man; je mehr er in einem und vor einem wächst, umso eigenständiger wird man selber.« (154) D. nennt diese Einsicht die »Je mehr Gott, desto mehr Mensch«-Regel« (153).

Der gegenüber der ersten Auflage um 42 Seiten gewachsenen zweiten Auflage hat der Autor noch vor dem Vorwort einen Beipackzettel mitgegeben. Er trägt die Überschrift »20 Ausflüge: Ein Reiseplan durchs Buch« (18–19) und zeigt die Struktur des mit sieben Zwischenreflexionen durchsetzten Ganzen, das mit einer virtuosen philosophisch-theologischen Erörterung der Grund- und Anfangsfragen des christlichen Glaubens beginnt. Dort wird gefragt: »1) Theologie treiben? 2) Religiös glauben? 3) Vernünftig sein? 4) Gott definieren? 5) Gott beweisen? 6) Gott beschreiben? 7) Gott anthropologisch freilegen? 8) Gott genealogisch entlarven? 9) Gott sprachlich dekonstruieren? 10) Gott rechtfertigen?«

Es ist nun nicht so, dass dem Rezensenten nach der zehnten Station die Augen zugefallen wären – allenfalls ganz kurz, genauer gesagt für ein Augenzwinkern, mit dem er sich gefragt hat, ob es über diese mit scharf geschliffenem Florett souverän tänzelnd den Glauben verteidigende und zugleich raffiniert zum Angriff übergehende Gotteslehre hinaus überhaupt noch eines zweiten und dritten Artikels bedurft hätte. Denn die Zwischenreflexion des ersten Teils, wonach Theologie und Glaube auf der Basis des Vertrauens geschehen, dass Gott Liebe und Frieden ist (267), liest sich fast schon wie eine Schlussreflexion.

Aber es geht natürlich noch weiter – und zwar mit der Christologie, die freilich in der Tat puristischer daherkommt. Ihre Fragen lauten: »11) Jesus lebt? 12) Christus erlöst? 13) Hypostatisch vereint? 14) Trinitarisch eins?« Auf die Christologie folgt nicht etwa die Pneumatologie – oder eben nur insofern, als sie sich ins Gewand einer Ekklesiologie römischen Stils kleidet, die nichts Geringeres als Soteriologie zu sein beanspruchen kann. Die Fragen des dritten Teils lauten denn auch: »15) Heil verkörpern? 16) Heil performen? 17) Heillos zerstritten? 18) Heil monopolisieren?«

Am Ende – oder besser gesagt: fast am Ende – steht mit nur einer einzigen Frage, in der es gleichwohl um alles geht, die Eschatologie. »19) Leben erhoffen? Was meint die christliche Hoffnung auf ein ewiges Leben?« Den Abschluss bildet das dramaturgisch nicht ganz glücklich platzierte, wenngleich als Klammer gedachte, also die ersten Stationen nochmals aufgreifende »minimalistisch wissenschaftstheoretische« (463) Kapitel 20 mit dem Titel »Theorie-theorien entwickeln«. Dort werden unterschiedliche Spielarten der vernunftgemäßen Verantwortung des Glaubens (463) vorgestellt.

Gegen Schluss folgt noch eine letzte »Zwischenreflexion«. Sie steht unter der ungewöhnlichen Überschrift »Wir Hobbits« (477) und ist insofern vollgesogen mit Eschatologie, als sich in ihr die theologische Hoffnung eines engagierten Hochschullehrers verbirgt, der nicht von ungefähr 2018 mit dem Ars docendi, dem österreichischen Staatspreis für exzellente Lehre ausgezeichnet wurde. Zwar lasse sich, so D., »seriös nicht sagen« (477), wie die Zukunft aussehen werde. »Das kann Angst machen, weil Ungewissheit und Transformationen üblicherweise Angst machen, aber es stecken darin immer auch Möglichkeiten und neue Aufbrüche – gerade im Vertrauen auf den Gott Jesu.« (477) Und so artikuliert D. »ganz leise« (477) die Hoffnung, dass das Beste noch kommt. Und im selben Satz wendet er sich seinen Leserinnen und Lesern mit der ebenso leisen wie großen Ermutigung zu, »dass Ihre eigenen theologischen Arbeiten dazugehören werden: zum spannendsten und erhellendsten, was die Theologie der Zukunft zu bieten hat, wenn sie über Gottes unbedingtes Ja an alle Menschen nachdenkt« (477). Wenn aber die von diesem Ja Gottes herkommenden Wirklichkeitsdeutungen der Theologie zu jenem Besten gehören, das da kulturell noch kommt, dann – so wird man ergänzen dürfen – tut die Theologie gut daran, sich nicht für vorgestrig, der Vergangenheit angehörend und überwunden zu halten. Sie tut gut daran, sich von welchen vermeintlich alternativlosen und normativen Rationalitätsdominanzen auch immer nicht den Schneid abkaufen zu lassen. Sie tut gut daran, zuversichtlich, tapfer, eigensinnig und überzeugend ihres Weges zu gehen und der Devise des Hobbits Bilbo Baggins zu folgen, der in J. R. R. Tolkiens Epos »The Lord of the Rings« nachdenklich heiter singt: »The Road goes ever on and on.« D. gibt diesem Vers denn auch das letzte Wort seines Buchs – lässt man den Anhang mit den instruktiven Lektüre- und Arbeitsaufgaben zu allen zwanzig Stationen einmal beiseite.

D. hätte auch einen anderen Hobbithelden Tolkiens, Samwise Gamgee, zitieren können. Der sagt einmal – und zwar an einer wenig zukunftsversprechenden Station des Kreuzwegs nach Mordor – auf Frodos Frage hin, warum um alles in der Welt er denn noch immer Salz dabeihabe, wo es in dieser Hölle auf Erden doch nichts zu jagen, zu kochen oder zu essen gebe: »You never know!« Man weiß also nie: Am Ende könnte der christliche Glaube doch das Wahre, womöglich sogar das einzig Wahre, nämlich das Salz der Erde sein. Es wäre der Theologie, also dem Nachdenken über diesen Glauben, daher zu wünschen, dass sie das, was sie auf dem Weg in die Zukunft anrichtet, ihrerseits nicht all zu unterwürzt serviert.

Und genau in diesem Zusammenhang gilt es, nochmals auf die Mozartgummibadeente auf dem eingangs erwähnten Foto von D. zurückzukommen. Was hat diese Ente mit diesem Buch zu tun? Und warum hält sie der Rezensent des Buches überhaupt einer Erwähnung wert? Die Antwort wird an dieser Stelle niemanden mehr überraschen. Das Buch ist diese Ente. Natürlich quiekt es nicht, wenn man es zusammendrückt. Und man sollte es auch nicht mit ins Wasser nehmen, es sei denn an den Strand. Aber man kann es mit großem Vergnügen, um nicht zu sagen quietschvergnügt lesen. Und zwar deshalb, weil D. ein begnadeter Bebilderer, ein süffiger Elementarisierer, ein virtuoser Metaphernjongleur und nicht zuletzt ein scharfsinniger Kenner des theologischen Terrains ist. Die Überschriften seiner Kapitel machen derart neugierig, dass man selbst im Augenblick des Übermanntwerdens von biorhythmisch bedingten Müdigkeiten einfach weiterlesen muss, um zu enträtseln, was sich dahinter verbirgt. Dass raffinierte und rätselhafte Bilder an nahezu jeder Wegstelle des Buches danach schreien, enträtselt zu werden, ist ein didaktisch äußerst raffinierter Spannungsgenerator. Denn bekanntlich lernt man nur durch Begegnung mit dem Fremden und durch die Brechung bekannter Muster. D. weiß das. Und daher purzeln »vogelwilde Szenarien« (21) aus fast jeder Seite des Buches heraus. So ist – um nur ein paar Beispiele zu nennen und einen Eindruck von der galoppierenden Imaginations- und Denkprovokationslust D.s zu vermitteln – von »Wellensittichen, Teenagern, Gott« (78) die Rede, von »Kant und dem Sméagol-Gollum-Problem der Vernunft« (114), davon, dass Plotin »nur an das Eine« denkt (124), von »Gott als Mafia-Pate« (143), von »Gott, einem Fahrerflüchtigen, der später Schmerzensgeld zahlt« (253), vom »Kreuz als Quantum der Liebe Gottes: Über Poolpartys und Knochenmarkspenden« (284), von der »äußerst subtilen Traurigkeit nach dem Kauf von Sneakers« (300), vom »Problem mit Plastikringen aus Kaugummiautomaten« (302), von »Scones und Rosen zum Tee: Das revolutionäre Moment der Trinitätstheologie« (337), von »Zigarettenstummeln und Gnadenanämie« (379), von »Brot, Wein und Außerirdischen« in einem »extraterrestrischen Exkurs« (382), von »Rahners Razor und dem christologischen Sparsamkeitsprinzip« (439). Besonders hübsch ist D.s Illustration der Prozesstheologie. Deren »Gott«, so D., der ein Kapitel »Aufwärmen mit lockeren Pässen« (78) überschrieben hat, »ist der Pep Guardiola der Welt (der sich in der Menschwerdung selbst einwechselt, um dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken und die Spieler mitzureißen – wenn man sich diese wilde Assoziation erlaubt).« (222)

An einer Stelle zitiert D. eine »Warnung der Glaubenskongregation in Rom, aus der Tradition empfangene und pastoral bewährte Vorstellungen nicht vorschnell über Bord zu werfen: Dadurch ›werden die Gläubigen verwirrt, weil sie ihre gewohnte Sprechweise und die ihnen vertrauten Begriffe nicht mehr wiederfinden‹« (448). Man könnte dieses kuriale Admonitum sicherlich auch D.s überbordender Bebilderungsbegeisterung vorhalten, die fast nie der Versuchung widerstehen kann, allzu Vertrautes oder schwer Eingängiges um der besseren Verständigung und um größerer Aha-Erlebnisse willen irritierend zu verfremden. Und man könnte, wäre man Nachfolger der Heiligen Inquisitoren, folgern, hier werde der Pfad seriöser wissenschaftlicher Darstellung um der billigen Effekthascherei willen verlassen. Aber so sehr D.s Gabe und Wille zur Inszenierung manchmal mit ihm in Richtung Slapstick durchgehen und so wenig Spektakuläres sich hinter seinen spektakulären Sprachbildern manchmal verbirgt, so überzeugend ist diese Darstellungsstrategie trotz des ihr inhärenten Risikos gelegentlich enttäuschender, am Kalauernden haarscharf vorbeischrammender Pointen.

Der österreichische Literaturkritiker Karl Kraus riet einmal, Paare müssten in alltagsentzauberungsbedingten erotischen Öden »Feste des Nichtwiedererkennens« miteinander feiern. Genau diese Feste des Nichtwiedererkennens feiert D.s »Anleitung zum Nachdenken über den Glauben«. Sie rückt das Fremd- und womöglich Langweilig- und Nichtssagendgewordene wieder ins Licht des Existenziellen. Sie entreißt das, was so lange her scheint, dass es – mit Hegel zu reden – schon bald nicht mehr wahr ist, dem Bannkreis des Vergessens und der Irrelevanzunterstellung. Man lese nur den Abschnitt »Be a better version of yourself! Luther und die Gnadenlosigkeit der Selbstoptimierung« (394 f.)! Dass ausgerechnet ein römischer Katholik die Gegenwartsrelevanz der Rechtfertigungslehre derart erhellend und elementar auf den Punkt bringt, ist für Protestantinnen und Protestanten fast ein wenig beschämend, aus ökumenischem Blickwinkel aber umso verheißungsvoller.

Was D. über die »Performance« des Heils in der Feier der Sakramente schreibt, dass sie nämlich »nicht ohne Momente eines subversiven Exzesses« geschieht, »der gottesgemäß menschenfreundlich ist« (386), trifft auch auf sein Schreiben zu. Es ist gottesgemäß, weil es der Wahrheitssuche der Theologie die Treue hält. Und es ist menschenfreundlich, weil es neugierig macht, Augen öffnet und insbesondere Studierenden eigene Wege der intellektuellen und existenziellen Reflexion des göttlichen Geheimnisses zeigt. Ob D. selbst Fußball spielt, ist dem Rezensenten nicht bekannt. Aber er ist zweifellos ein guter theologischer Trainer, vielleicht sogar der Jürgen Klopp der katholischen Theologie.

Apropos Studierende! Das sicherste Zeichen dafür, dass ein evangelischer Rezensent, der seinerseits systematisch-theologischer Hochschullehrer ist, Feuer an einem katholischen Buch gefangen hat, dürfte darin bestehen, dass er sich überlegt, in einem der kommenden Semester einen Grundkurs des Glaubens anzubieten, der sich an D.s »Basics Systematischer Theologie« orientiert.