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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

830-832

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Alkier, Stefan u. Thomas Paulsen [Eds].

Titel/Untertitel:

Die Evangelien nach Markus und Matthäus. Neu übersetzt und mit Überlegungen zur Sprache des Neuen Testaments, zur Gattung der Evangelien und zur intertextuellen Schreibweise sowie mit einem Glossar.

Verlag:

Paderborn: Brill | Schöningh 2021. 289 S. = Frankfurter Neues Testament, 2. Geb. EUR 56,00. ISBN 9783506704351.

Rezensent:

Beate Kowalski

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Alkier, Stefan u. Thomas Paulsen [Eds].: Die Apokalypse des Johannes. Neu übersetzt. Paderborn: Brill | Schöningh 2020. 137 S. = Frankfurter Neues Testament, 1. Geb. EUR 42,90. ISBN 9783506702814.
Alkier, Stefan u. Thomas Paulsen [Eds].: Das Evangelium nach Johannes und die drei Johannesbriefe. Neu übersetzt. Paderborn: Brill | Schöningh 2022. 169 S. = Frankfurter Neues Testament, 3. Geb. EUR 49,90. ISBN 9783506704368.


Die ersten Bände der neuen Übersetzungsreihe »Frankfurter Neues Testament« (FNT) sind erschienen. Das Übersetzungsprojekt wird vom Neutestamentler Stefan Alkier und dem Altphilologen Thomas Paulsen (Goethe-Universität Frankfurt am Main) geleitet; bis 2025 wird das Neue Testament komplett übersetzt und mit Kurzkommentierungen zu zentralen Fragestellungen ergänzt sein. Fachtagungen begleiten das Übersetzungsprojekt. Interessanterweise legen die beiden Übersetzer als erstes die Übersetzung der letzten Schrift des Neuen Testaments, der Apk, 2020 vor. Es folgen die Evangelien nach Mk und Mt 2021 und die joh Schriften 2022.

Warum eine neue Übersetzung? Die leitenden übersetzungstheoretischen Leitlinien werden in einem einleitenden Essay in FNT 1 vorgestellt. Das FNT beansprucht – ebenso wie das MNT vom Collegium Biblicum München e. V. –, die erste deutsche Übersetzung zu sein, die sich konsequent am griechischen Urtext orientiert. Eine zentrale philologische Leitlinie ist es, kirchliche Traditionen und ideologische Vorentscheidungen nicht zu berücksichtigen sowie alle Schriften nach denselben Leitlinien (konkordant) zu übersetzen. Die Autoren folgen dem übersetzungs-theoretischen Leitsatz von Wolfgang Schadewaldt: »So wörtlich wie möglich, so frei wie nötig.« Diesen beziehen sie auf die Semantik und Syntax; die Wortstellung des griechischen Originals wird nach Möglichkeit beibehalten. Des Weiteren will die Übersetzung vollständig sein und nichts hinzufügen; die ursprünglichen Vorstellungen des Autors werden in ihrer Reinheit und Eigenart bewahrt und die Abfolge der Vorstellungen beibehalten.

Jeder Band beginnt mit einer Einleitung in die philologischen und theologischen Charakteristika der jeweiligen Schrift. Bezüge zur aktuellen Forschungsdiskussion werden aufgenommen. Die Übersetzung der neutestamentlichen Schriften wird sowohl in einer Lesefassung – wie in den griechischen Handschriften unter Verzicht auf Kapitel- und Verseinteilung – und einer Studienfassung mit Kapitel- und Verseinteilung (aber ohne Überschriften) präsentiert. Beide Versionen laden dazu ein, den Makrotext als ganzen und nicht vorgegebene Perikopen selektiv zu lesen. Diese erfrischende Lektüreweise steht in Kontrast zum kirchlichen, schulischen und exegetischen Verfahren, Bibeltexte zu sezieren und abschnittweise zu lesen, die dazu führt, die Komposition und Theologie des Makrotextes nicht zu erkennen.

Zu Band 1 (Apk): Grammatische Irregularitäten im Griechischen des Johannes werden als bewusste Gestaltung angesehen und nicht als Ausdruck einer mangelnden Beherrschung der Sprache. Insgesamt betonen die Übersetzer mehrfach (in allen Bänden), dass es kein spezifisch ntl. Griechisch gibt, sondern die Koine das Neue Testament geprägt hat. Im Epilog mit ausgewählten philologischen, literaturwissenschaftlichen und theologischen Beobachtungen zur Intertextualität und den Götternamen (Apollon, Artemis, Asteria) wird in die Komplexität der Apk eingeführt; zudem werden die Konsequenzen für die theologische Interpretation aufgezeigt. Die Autoren gehen davon aus, dass der Autor Johannes ein hoch gebildeter kleinasiatischer Autor war, dessen intertextuelle Anspielungen (mit Pro- und Analepsen) sich auf kosmologisches, theologisches und mythologisches Wissen beziehen (Beispiel: Transformation der Dreizeitenformel). Die Theologie des Johannes wird als kühn und interkulturell eingeschätzt; die Kompositionsgestalt ist zudem durch Leserinstruktionen geprägt. Ein abschließendes Glossar listet wichtige Begriffe auf.

Zu Band 2 (Mk, Mt): Einleitend wird die These vom neutestamentlichen Griechisch zugunsten der Verwendung der Koine durch neutestamentliche Autoren widerlegt. Sprache und Stil des Mk (bewusst schlichter Gestaltungswille des Autors, dennoch vielseitiges Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten) und Mt (Main-Stream-Koine) werden näher untersucht: Mk sei dramatischer, Mt eher romanhafter. Aufgrund dieser Beobachtungen entscheiden sich die Autoren für das Konzept der semantischen Isotopie von Greimas. Im Epilog geht es um die Textsorte (Mk als Tragikomödie, deren Lektüre zu einem apk Akt wird) und intertextuelle Schreibweise der Evangelien. Es wird zwischen produktionsorientierter, rezeptionsorientierter und generativer Intertextualität unterschieden. Intertextualität dient im Mt der Einschreibung des Mt in die Heilsgeschichte, einem gemeinsamen Diskursuniversum mit dem Alten Testament, der Problembeschreibung, der Legitimierung, der Narration des Wunderbaren und der Gleichnisse, des Diskurses des Konflikts, der Eröffnung neuer Perspektiven und der Hermeneutik. Abschließend wird die Autorenschaft beider Evangelien diskutiert, wobei die Schwerpunkte bei der altkirchlichen Überlieferung und der impliziten Autorenschaft liegen. Im Glossar werden zusätzliche Informationen zum Griechischen sowie zum Münzgeld geboten.

Zu Band 3 (Joh, 1–3Joh): Im Einleitungsteil werden Sprache und Stil im Corpus Johanneum (nachfolgend abgekürzt: CJ) diskutiert. Das Verhältnis der vier joh Schriften zueinander und zur Apk ist die leitende Fragestellung. Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass die Bezeichnung als CJ aufgrund zahlreicher intertextueller Bezüge gerechtfertigt ist. Als relative Chronologie der Schriften wird die Reihenfolge Joh, 1Joh, 3Joh, Apg, 2Joh angenommen. Grundsätzlich entscheiden sich die beiden Übersetzer für Lösungen, die mit wenigen Hypothesen belastet sind (»Ockhams Rasiermesser«). Der Stil des Joh interessiert besonders aufgrund seines geringsten Vokabulars unter den Evangelien, für das eine bewusste Entscheidung des Autors angenommen wird. Der sprachliche Vergleich mit der Apk ist spannend, insofern die Übersetzer von Wandlungen eines Autors bzgl. Sprache und Stil ausgehen; sie schließen sich dennoch der Mehrheit der Exegeten/-innen an, die von zwei verschiedenen Autoren ausgehen. Im Epilog geht es um den intertextuellen Zusammenhang der fünf joh Schriften, da das CJ nicht als Buch wie etwa das Corpus Paulinum gelesen werden kann. Es wird das Konzept intertextueller Dispositionen vertreten (Susanne Holthuis) und sowohl Auto-, als auch Hetero-Intertextualität angenommen. Eine Rehabilitierung der Apk nach einer langen Diffamierungsgeschichte ist ein wichtiges Fazit. Zudem wird die These einer christologischen Kosmologie für das CJ vertreten, bei der drei Spannungsbögen miteinander verbunden werden: der kosmologische, der antagonistische und der martyrologische Spannungsbogen.

Die Neuübersetzung des Neuen Testaments in der Reihe FNT ist trotz ihrer Treue zum Originaltext gut und flüssig lesbar und stellt damit zum MNT, das das Griechische bis in den deutschen Satzbau hinein nachahmt und Partizipien nicht in Nebensätze auflöst, eine gute Ergänzung dar. Die Übersetzung ist bestens dazu geeignet, laut vorgelesen zu werden (https://www.youtube.com/watch?v=tMtQbSoL76A). Die Nutzung dieser Übersetzung in Liturgie, Schule und Wissenschaft ermöglicht ein aufmerksameres Hinhören bzw. Lesen; zudem fördert die Textpräsentation die Lektüre der Gesamtschrift und damit das Erkennen von Komposi-tionslinien. Einleitung und Epilog beinhalten sehr gute Hinweise für weitere Forschungsprojekte und Qualifikationsarbeiten. Die ersten Bände in der Reihe FNT sind vielversprechend und machen auf die weiteren Übersetzungen neugierig.