26.02.2020

»›Der politische Barth‹ – Herausforderungen der Theologie Karl Barths für die Gegenwart: Hannoveraner Symposium mit Ringvorlesung, Lehr- und Forschungsprojekten zum Barthjahr 2019«

Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Erscheinens des wirkmächtigen Römerbriefkommentars aus der Feder des reformierten Theologen Karl Barth (1886–1968) haben Prof. Dr. Marco Hofheinz und Dr. Kai-Ole Eberhardt (Systematische Theologie, Leibniz Universität Hannover) dazu eingeladen, die gesellschaftliche und politische Gegenwartsrelevanz des Œuvres des Jubilars in Universität, Kirche und Gesellschaft mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Kirche und Politik sowie Studierenden, Schülerinnen und Schülern und einer breiten Öffentlichkeit intensiv zu besprechen. Durch die großzügige Förderung der Hanns-Lilje-Stiftung war es nicht nur möglich, eine internationale Ringvorlesung an der Leibniz Universität Hannover zu organisieren, sondern diese zudem mit einer Reihe weiterer Veranstaltungen zu bereichern:


1. Öffentliche Ringvorlesung im Wintersemester 2019/20: »Römerbrief und Tageszeitung! Politik in der Theologie Karl Barths«
2. Begleitseminar zur Ringvorlesung für Theologiestudierende
3. Öffentliche Ausstellung »Gott trifft Mensch – Eine Ausstellung zu Leben und Werk von Karl Barth« (Gefördert durch das Moderamen des Reformierten Bundes)
4. »Karl Barth und Kampfdrohnen – Zur ethischen Legitimierung unbemannter Waffen« – Öffentlicher Festvortrag und Begegnungsabend im Rahmen der Ringvorlesung mit StR Björn Schütz zur Ausstellungseröffnung
5. Finissage: »Frühstück mit Karl Barth« – Symposium zu Ausstellung und Barth mit Prof. Dr. Marco Hofheinz und Pfarrerin Angelika Wiesel
6. »Gottes fröhlicher Partisan« – Ein Filmabend über Karl Barth
7. »Freedom is not Free«: Karl Barth and American Politics – Öffentlicher Festvortrag und Begegnungsabend im Rahmen der Ringvorlesung mit Prof. Dr. W. Travis McMaken (Lindenwood University of St. Charles, Missouri/USA) in der Reformierten Gemeinde Hannover


Die im Wintersemester 2019/20 an der Leibniz Universität Hannover unter der Leitung von Prof. Dr. Marco Hofheinz durchgeführte Ringvorlesung bildete den Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe. Sie bot den Rahmen für den kritischen Austausch der kooptierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Politikerinnen und Politiker und der Verbindung von Forschung, Lehre und gesellschaftlichem Diskurs:

22.10.2.19: »›Es wird regiert‹. Gottes Regierung und die politischen Krisen der Gegenwart« (Referent: StR André Jeromin, Doktorand an der Leibniz Universität Hannover)

29.10.2019: »Herrenlos! Karl Barth und die ›Mächte und Gewalten‹ im Raum des Politischen« (Referentin: Dr. Margit Ernst-Habib, Universität Saarbrücken; Habilitandin an der Leibniz Universität Hannover)

12.11.2019: »Karl Barth und Kampfdrohnen – Zur ethischen Legitimierung unbemannter Waffen« (Referent: StR Björn Schütz, Doktorand an der Leibniz Universität Hannover)

19.11.2019: »Barth for Future? Eine Barth-Relektüre vor dem Hintergrund der Bewegung ›Fridays for Future‹« (Referentin: Dr. Raphaela J. Meyer zu Hörste-Bührer, Universität Mainz)

26.11.2019: »Eine politische Kirche? Karl Barths Ekklesiologie« (Referent: Dr. Markus Hofer, Universität Zürich)

10.12.2019: »›Freedom is not free‹: Karl Barth and American Politics« (Referent: Prof. Dr. W. Travis McMaken, Lindenwood University of St. Charles, Missouri)

07.01.2020: »Theologische Existenz und politische Relevanz – Die Theologie Karl Barths als Herausforderung der Politik« (Referentin: Christine Lieberknecht, Pastorin und Ministerpräsidentin a. D.)

21.01.2020: »Der politische Barth und liberale Politik im Diskurs« (Referentin: Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin a. D., Präses der Synode der EKD)


Die Mischung der Vortragenden aus dem theologischen Nachwuchs insbesondere des Hannoveraner Instituts für Theologie, renommierten Expertinnen und Experten aus Deutschland, der Schweiz und den USA sowie aus Stimmen der politischen und kirchlichen Öffentlichkeit machte den Reiz der Vorlesung aus, kam insbesondere bei den Studierenden sehr gut an und hat sich für das Gespräch über Barth zwischen wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Deutung sehr bewährt. Die Vorträge haben in der Regel ein aktuelles gesellschaftlich relevantes Thema zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen gemacht und dieses dann mit einem bestimmten Text Barths diskutiert. Jeder Vortrag wurde mit einer ausführlichen Diskussion abgeschlossen, in die sich Studierende und interessierte Öffentlichkeit ebenso wie Fachvertreterinnen und -vertreter einbringen konnten. Die teilweise sehr lebendigen Gespräche waren eine gelungene Abrundung der Vortragsabende.
Die Erträge von Vortrag und Diskussion bilden die Grundlage für einen zum 3. Quartal 2020 konzipierten Sammelband, der die Ergebnissicherung des Projektes gewährleistet.


Zu den Vorträgen selbst sei skizzenartig das Wesentliche berichtet:

Die Ringvorlesung bot für den akademischen Nachwuchs einen idealen Rahmen, wertvolle Erfahrungen als Vortragende zu machen. Die Eröffnung der Veranstaltungsreihe durch StR André Jeromin war ein voller Erfolg. Jeromin konnte aus dem Schatz seiner bald abgeschlossenen Dissertationsarbeit schöpfen und hat einen breit angelegten Vortrag über die Providenzlehre mit Bezügen zu Barths Christengemeinde und Bürgergemeinde geboten. Diese wurden mit einer Reihe aktueller gesellschaftlicher Probleme (bes. der Migrationsthematik) verknüpft.
Der friedenstheologische Impuls von StR Björn Schütz eröffnete die Barthausstellung und ermöglichte es, ein sehr spezielles, aktuelles Thema mit der historischen Situation Barths und den Anliegen seines Denkens zu kontrastieren. Schütz hat die Relevanz Barths für gegenwärtige ethische Probleme der Kriegsführung einem breiten Plenum eindrücklich vor Augen führen können.
Die Beiträge von Dr. Margit Ernst-Habib und Dr. Markus Höfner boten wertvolle strukturierende Gedanken zur allgemeinen Verortung der Themenfelder Macht, Gewalt und Herrschaft zwischen Politik und Kirche und werden daher voraussichtlich in den geplanten Sammelband einleiten. Dabei sind sie in ihrer Barthauslegung konträr akzentuiert und bilden so das breite Spektrum der Forschung ab. Beide Vorträge stellten gewissermaßen die Version 2.0 der alten Kontroverskonstellation Links- versus Rechtsbarthianismus dar. Während Ernst-Habib aus einer postkolonialen Perspektive heraus argumentiert hat, ist Höfners Zugang zu Barth deutlich traditioneller gewesen.
Dr. Raphaela J. Meyer zu Hörste-Bührer hat sich mit der Klimathematik einem der innovativsten Zugänge zum Barthschen Denken gewidmet, was besonders von den Studierenden sehr honoriert wurde.
Zu den Highlights der Veranstaltungsreihe gehörte zweifelsohne der Besuch von Prof. Dr. Travis McMaken, der tiefe Einblicke in die US-amerikanische Barthforschung und die dortige politische Lage geben konnte. Ein weiterer Höhepunkt war die Begegnung mit Christine Lieberknecht, die ihre Auseinandersetzung mit Barth so anschaulich biographisch einholen konnte, dass die politischen Dimensionen seines Denkens an konkreten Beispielen diskutiert werden konnten.


Das von Prof. Dr. Marco Hofheinz jeweils im Anschluss an die Ringvorlesung veranstaltete Vertiefungsseminar ermöglichte einen intensiven Austausch für Studierenden mit den Vortragenden. Von Experteninnen- und Expertengruppen in die Diskussion von Vortrag und zugehörigen Barthttexten integriert, konnten die sonst hinderlichen Hemmschwellen, die von Studierendenseite gegenüber dem Gespräch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bestehen, abgebaut werden. Die Studierenden erhielten so Einblick in die aktuelle Barthforschung.


Die mit dem Forschungsprojekt verbundenen weiteren Veranstaltungen zum politischen Barth lassen sich in drei Gruppen bündeln:

1. Einen besonderen Höhepunkt der Veranstaltungsreihe stellte die Barthausstellung »Gott trifft Mensch – Eine Ausstellung zu Leben und Werk von Karl Barth« dar, die der Reformierte Bund zum Barthjahr organisiert und uns zur Verfügung gestellt hat. Die nahezu ausgebuchte Ausstellung, die unter den Schlagworten »Schweizer! Ausländer! Hetzer! Friedestörer!« stand, in der Kreuzkirche präsentieren zu können, war eine wunderbare Gelegenheit, eine Reihe von Veranstaltungen zusammenzuführen. Die wesentlichen Informationen zur Ausstellung finden sich online unter https://www.karl-barth-jahr.eu/%C2%BBSchweizer_Auslaender_Hetzer_Friedestoerer%C2%AB-19593-405-0-65.html.
Prof. Hofheinz und Pfarrerin Wiesel haben im Rahmen eines Frühstücksvormittags die Ausstellung ausklingen lassen, an dem zum Gespräch über Barth eingeladen wurde. Prof. Hofheinz hat dies mit einem Vortrag eingeleitet, der die Verbindung seiner Biographie mit der Theologie Barths zu einem anschaulichen Gesprächsanlass hat werden lassen. Im Rahmen der Ausstellungswoche hat Pfarrerin Angelika Wiesel von der ESG einen Filmabend zu Barth organisiert und den Film »Gottes fröhlicher Partisan« gezeigt und mit Studierenden und Gemeindemitgliedern diskutiert.

2. Der Besuch von Prof. Dr. W. Travis McMaken, Lindenwood University of St. Charles, Missouri/USA, wurde insbesondere dadurch gewürdigt, dass sein prominenter Vortrag zur gezielten Öffnung der Veranstaltungsreihe für die Öffentlichkeit genutzt wurde und in Kooperation mit der Reformierten Gemeinde Hannover stattfand, die ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Inhaltlich ermöglichten die Ausführungen von McMaken die Auseinandersetzung mit Barth in besonders konkreter Form, da Bezüge zur Tagespolitik zentral waren. Er kündigte seinen Vortrag wie folgt an:
»Die Vereinigten Staaten bezeichnen sich selbst gerne als ›das Land der Freien und Heimat der Tüchtigen‹; Karl Barth sagte indes einst, dass Amerika eine ›Theologie der Freiheit‹ benötigt. Was aber meint Freiheit? Und meint Freiheit in Barths Theologie dasselbe wie in den gegenwärtigen politischen Diskursen, die in Amerika geführt werden?« Eine Antwort auf diese Fragen entfaltete Prof. McMaken in seinem Vortrag entlang der wichtigen Unterscheidung zwischen »Freiheit von« und »Freiheit für andere(n)«. (https://www.theo.uni-hannover.de/de/institut/news-und-veranstaltungen/news/aktuelles-detailansicht/news/karl-barth-and-todays-politics-in-the-usa/)

3. Die beiden abschließenden Vorträge, von denen der letzte durch seine Veranstaltung im Hanns-Lilje-Haus sich noch einmal besonders an die Öffentlichkeit gewendet hat, wurden von zwei theologisch besonders musikalischen Stimmen aus der Politik gestaltet. Christine Lieberknecht, Pastorin und Thüringer Ministerpräsidentin a. D., hat sich dem für das Jubiläumsjahr 2019 besonders prominenten Tambacher Vortrag Barths, »Der Christ in der Gesellschaft« (1919), gewidmet und ihn vor dem Hintergrund ihrer eigenen politischen und kirchlichen Biographie einer spannenden Relektüre unterzogen. Dabei kommen »Theologische Existenz und politische Existenz« in ein konstruktives Gespräch.
Die ehemalige Bundesministerin und amtierende Präses der EKD-Synode Irmgard Schwaetzer deutete ihrerseits aus der Perspektive einer liberalen Politikerin Barths Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat unter besonderer Berücksichtigung von Christengemeinde und Bürgergemeinde (1946).
Während die ersten Vorträge den akademischen Nachwuchs, oft an der Schnittstelle von Universität und Schule, in die Veranstaltung integriert haben, weiteten die letzten damit das Feld der Vortragenden über den theologischen Fachbereich hinaus.


Dr. Kai-Ole Eberhardt, Leibniz Universität Hannover