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1995

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Neues Testament

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Neuerscheinungen

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805

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 9

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baldige Kommen des eschatologischen Richters (Gott) hin. Das
lustrierende Wasserbad ist eine endzeitliche Symbolhandlung
gewesen. Es eröffnete dem Bußwilligen die Möglichkeit, dem
drohenden göttlichen Strafgericht zu entrinnen. Damit übernahm
Johannes eine Funktion, die nach Mal 3,1.23f Elia besitzt,
nämlich die Wiederherstellung des durch die Sünde Israels
belasteten Gottesverhältnisses beim Anbruch der Endzeit. Nach
Johannes' Überzeugung besaß alleine seine Taufe sühnende
Kraft und bewahrte so vor dem ansonsten unabwendbaren
Zorngericht Gottes. Damit trat sie faktisch in Konkurrenz zu
anderen Entsündigungsriten. wie sie z.B. am Tempel praktiziert
wurden (36). Indem sich Jesus von Johannes taufen ließ, bejahte
erdessen Wirken. Die qualitative Nahrungsaskese und Bekleidung
des Täufers konnten von seinen Zeitgenossen als typische
Attribute eines Propheten verstanden werden (2Kön 1,8;
Sach 13,4 u.ö.). Sein gewaltsames Ende resultierte aus seiner
scharfen Ablehnung von Herodes Antipas' Ehe. Sie widersprach
der Tora und machte das Land kultisch unrein (59). Mit
dieser Kritik am Ehebruch des Tetrarchen erweist sich Johannes
als Verteidiger des mosaischen Gesetzes (63.249). Ihre Motivik
ist in der atl. Prophetie präformiert (Jer 2.23; Ez 23,7; Hos 5,3).

Die Täufertraditionen in Q (Ml 3.7-12/Lk 3,7-9.16f; Mt 11,2-19/Lk 7.18-
35 [Mt I I.12/Lk 16.16]) bestätigen weithin den vormk. Befund. Zuverlässig
, d.h. im Kern vorchristlich, sind sie besonders dort, wo ihre Rezipienten
zugunsten der eigenen Aussageabsicht erhebliche Eingriffe vorgenommen
haben (103). Auch Q zeichnet Johannes als einen zur Reue und tätigen
Buße aufrufenden Prediger. Seine Taufe bot den Umkehrwilligen Reuung
vor dem eschatologischen Vernichtungsgeschehen an. Ein Lehrerverhältnis
zu Jesus ist wahrscheinlich. Erst christliche Interpretation hat ihn zu dessen
Vorläufer gemacht (Mt 3.11/Lk 3.16. vgl. Mk 1.7). Jesus selbst anerkannte
Johannes als Propheten, der seine göttlich autorisierte Gerichtsbotschaft
kompromißlos ausrichtete und auch vor dem Herrscherhaus nicht zurückschreckte
(Mt 11.7ff./Lk 7.24ff).

Das Ik. Sondergut (Lk lf; 3.10-14) ergänzt dieses Bild. Die Täufernachrichten
innerhalb der Kindheitserzählungen sind traditionsgebunden. Obwohl
sie seiner heilsgeschichtlichen Konzeption zuwiderliefen, konnte
Lukas sie aufgrund der Hochschätzung des Täufers in seiner Gemeinde
nicht unterdrücken. Er entschärfte sie aber und „christianisierte" sie (118).
Erkennbar ist noch, daß die in der Geburtslegende (1.5-25) verarbeiteten
Traditionen Johannes' Auftreten nach dem Vorbild Isaaks, der Nasiräer
Simson und Samuel, vielleicht auch Jeremias' deuten (Zeit und Ort der Geburtsankündigung
. Alkoholverzicht. Geistbegabung). Zudem lassen die
Wüste als Ort seiner göttlichen Beauftragung (vgl. 3,2 mit 1,80) sowie die
Notizen in 1,15 und 1.76 darauf schließen, daß der Täufer ursprünglich
..den Heroen der Zeit Israels", den Propheten, an die Seite gestellt wurde
(135). Die Verse 3.10-14 enthalten weitere „Bestandteile einer... zeitgenössischen
Interpretation des historischen Täufers". Ihre konkrete sozialethische
Paränese aktualisiert die der biblischen Propheten (bes. Micha. Arnos)
und zieht sie weiter aus (138-141). Insgesamt ergibt sich: Die Täuferstücke
in den synoptischen Ew. haben eine Fülle traditioneller Motive aufbewahrt,
die in ihrer Summe den Schluß nahelegen, daß Johannes sich als Prophet
verstand und von seiner Umwelt als ein solcher akzeptiert wurde.

Damit ist die Grundlage für den nächsten Schritt gelegt. Um
den bisherigen Ertrag abzusichern, benötigt T. ein historisches
Widerlager, das für ihn die oben genannten Quellen bereitstellt.
Erst wenn sich zeigen läßt, daß das aus der synoptischen Uberlieferung
gewonnene Prophetenbild des Täufers im Verständnis
seiner Zeit dem entspricht, was nach den Vergleichstexten zu
einer vorbildhaften Prophetenbiographie gehört, wird die Ausgangsthese
bestätigt. Kurz gesagt, das Ergebnis fällt positiv aus.
Die Targumim, VitProph. ParJer sowie das MartJes bezeugen
eine zunehmende Stereotypisierung und Idealisierung der prophetischen
Überlieferungen. Wer ein Prophet ist und was seinen
Anspruch legitimiert, steht zur Zeit des Täufers fest. Mit diesen
Vorgaben stimmen die als ursprünglich erkannten synoptischen
Täufertraditionen überein. Die Nachrichten von Johannes' Herkunft
und Berufung, seine demonstrative Bekleidung und Nahrungsaskese
, die Wahl des Ortes seiner Verkündigung (Wüste)
samt deren wesentlichen Inhalten (Gerichtsansage, Bußruf, kultkritische
Implikation der Taufe. Herrscherkritik) und selbst sein
gewaltsames Ende lassen sich in den Rahmen eines „idealen"

Prophetenlebens einordnen. Daraus folgt, daß nicht erst die spätere
christliche Überlieferung Johannes „als einen Propheten interpretierte
und ihn nachträglich mit dementsprechenden Zügen
ausstattete, sondern daß er von seinen jüdischen Zeitgenossen
als prophetischer Bußprediger verstanden wurde und sich
auch selbst als ein solcher sah" (236).

Die grundlegende These des Buches hat mich weitgehend
überzeugt. Sein Aufbau ist methodisch klar strukturiert, es ist
auch didaktisch vorbildlich angelegt. Auf jedes Kapitel folgt ein
knappes Resümee, das die wichtigsten Teilergebnisse konzentriert
bündelt. Gleiches gilt für die abschließende Zusammenfassung
(248-255). In Einzelfragen kann man durchaus anders
urteilen, ohne daß sich das Gesamtbild deswegen änderte.

Ich beschränke mich auf zwei Beispiele: Mit Recht betont T. den Symbolcharakter
von Johannes' öffentlicher Wirksamkeit „in der Wüste". Dabei
wäre noch stärker zu berücksichtigen gewesen, daß der Täufer am Osntjer
des Jordans auftrat, also dort, wo sich das Israel der Exodusgeneration vor
seinem Einzug in das verheißene Land befand. Auch damit wollte Johannes
zeichenhaft verdeutlichen, wie das Volk in Wahrheit dran war. Ob seine Mk
l.6par. genannte Speise im Sinne einer „qualitativen Nahrungsaskese" verstanden
werden muß. halte ich für nicht so sicher (vgl. H. Stegemann. Die
Essener. Qumran. Johannes der Täufer und Jesus. 1993. 298). Sollte sie es
nicht sein, fiele dieses Element als prophetisches Identifikationsmerkmal
womöglich aus. Ein anderer Punkt ist wichtiger. Daß die christlichen Rezipienten
bzw. Redaktoren authentische und z.T. vorchristliche Täufernach-
richten aufgenommen und bearbeitet haben, in denen Johannes als eigenständige
prophetische Gestalt begegnet, die Jesus noch nicht subordiniert
ist, trifft m.E. zu. Doch daß sie diese mit ihrer christologischen Konzeption
konkurrierenden Notizen nur redigiert, nicht aber unterdrückt haben, weil in
ihren Gemeinden eine Kontrollinstanz, in Form von ehemaligen Täuferjüngern
bestand, die ihnen andernfalls Zensur bzw. Unglaubwürdigkeit vorwerfen
konnten (87.116f.125f.l31.l35f.142f.248f.). ist kaum wahrscheinlich
. Soll man sich wirklich vorstellen, daß vormalige Mitglieder der Täuferbewegung
in frühester Zeit nicht nur geographisch weit verbreitet waren
(bei Lukas Rom'.'), sondern als zahlenmäßig gewichtige Adressatengruppe
der Evangelien bzw. einzelner ihrer Teilsammlungen (0) in dieser Weise
maßgeblich den Überlieferungsprozeß beeinflußt haben? Eine solches,
zudem recht spekulatives historisches Widerlager seiner literarkritischen
Analyse benötigt der ansonsten erfreulich behutsam und abwägend argumentierende
Vf. m.E. nicht.

Diese Schlußbemerkung soll T.s Leistung freilich nicht
schmälern, im Gegenteil. Ich frage mich, warum dieses Thema
nicht schon früher aufgegriffen und bearbeitet worden ist.
Jedenfalls belegt T.s Untersuchung, daß vermeintlich bare
Selbstverständlichkeiten wie „Johannes war ein Prophet" bei
näherem Zusehen gar nicht so selbstverständlich sind. Auch
dafür ist T. zu danken.

Gießen Dieter Sänger

Aschim, Anders: Verdens eldste bibelkommentar? Melkisedek-teksten
fra Qumran (TTK 66. 1995, 85-103

Borchrevink, Tordis: Det praktiske mirakel. Ritualer pä grensen mellom
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Hase, Thomas: Waeo - die inszenierte Apokalypse (ZfR. 3, 29-48)

IKiligenthal, Roman: Aktuelle Akzente neutestamentlicher Forschung
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Iersel, B. M. F. van. J. Nuchelmans: De zoon van Timeüs en de zoon van
David: Marcus 10, 46-52 gelezen door een grieks-romeinse bril (TTh 35.
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