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Ausgabe:

1995

Spalte:

679-681

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Besier, Gerhard

Titel/Untertitel:

Der SED-Staat und die Kirche 1995

Rezensent:

Glenthøj, Jørgen

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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wort ist etwas undeutlich, meint aber vermutlich das Bemühen
des Vt'.s um die religiöse und geistliche Komponente des Geschehens
. Freilich sind hierzu aus Westfalen nur relativ wenig
Quellen überliefert (wie überhaupt die westfälische Reformationsgeschichte
sich von derjenigen anderer deutscher Regionen
durch Quellenarmut abhebt), und so kann auch St. hierzu nicht
sonderlich viel beitragen (wenn man von den ausführlichen
Paraphrasen der Kirchenordnungen absieht); eine deutliche
frömmigkeits- oder theologiegeschichtliche Prägung läßt das
Buch nicht erkennen.

Vielmehr machen, wie schon bemerkt, alles in allem genommen
die Mitteilungen über Ereignisse und Personen den Wert
des Buches aus. Allerdings läßt sich nicht verhehlen, daß das
eingangs genannte Werk von Schröer auch in dieser Hinsicht
einen Vorsprung hat.

Göttingen Bernd Moeller

Kirchengeschichte: Neuzeit

Besier, Gerhard: Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in

die Anpassung. München: Bertelsmann 1993. 927 S. 8°.
ISBN 3-370-02080-0.

In Fortsetzung vieler kleinerer Studien zur Kirchengeschichte
des Dritten Reiches und der DDR und des umfangreichen
Buches von G. Besier/S. Wolf [Hrsg.] „Pfarrer, Christen und
Katholiken". Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen
DDR und die Kirchen, Neukirchner-Vlyn Verlag, 1992, 2.,
durchgesehene und erweiterte Auflage, 959 S., macht Besier
nun „eine Reise durch die Geschichte des Verhältnisses zwischen
Staat und Kirche in der DDR" (11). „Auf breiter Quellengrundlage
" wird geschildert, wie durch die „Entwicklung des
Verhältnisses von Staat und Kirche in den Jahren zwischen
1945 und 1969"(l7f) „die Bildung einer Staatskirche neuen
Typs... in freilich eigentümlicher Ausprägung" Wirklichkeit
geworden war. „wo kaum noch eine wichtige Sach- und Perso-
nalentscheidung... nicht zuvor mit SED-Staatsfunktionären .beraten
'wäre" (18). Dem Vf. zufolge hat sich diese Anpassung
teils durch eine neo-lutherische Art der Zwei-Bereiche-Lehre
(Thüringische Kirche), teils durch „Kräfte der bruder-rätlichen
Flügel der Bekennenden Kirche" unter Einfluß von Karl Barth
und einem einseitigen Gebrauch von Dietrich Bonhoeffer als
„Kirche im Sozialismus" etabliert.

B. geht chronologisch vor, wobei Schwerpunkte mit großen
Hauptstationen und kleineren Haltestellen unterwegs aufgesucht
und wie von einem Reiseführer vorgestellt werden. Ganze
Landschaften (die Massenvertreibungen, Verhaftungen und
Hinrichtungen, der Aufstand 17. Juni 1953) dazwischen aber
werden leider, um nicht von dem Hauptlhema abzulenken, im
Vorbeifahren kaum erörtert. Betont wird mehrmals, daß die
„Differenzierungspolitik tiefe Widersprüche zwischen den offiziellen
Verlautbarungen der Partei" und deren „Praxis in den
untersten Gliederungen" (33) bedeutete.

Die Entwicklung wird in drei große Etappen gegliedert:

1. Von der Staatsgründung bis zum ersten Gespräch zwischen
Staat und Kirche im Juni 1953.

2. Von der Berliner Viermächtekonferenz bis zum Mauerbau
1961.

3. Vom Mauerbau bis zur Gründung des Bundes der
Evangelischen Kirchen in der DDR.

Dank der anfänglich wohlwollenden Haltung der sowjetischen
Besatzungsmacht konnte man „stabilisierte volkskirchliche
Strukturen" hinüberretten. Dank der britischen Truppen

wurde die DC-Kirchenleitung in Mecklenburg abgesetzt. Dank
der sowjetischen Militäradministration wurde in Sachsen die
Kirchenleitung ebenso neubesetzt.

In den ersten Jahren nach 1945 erwartete man einen Friedensvertrag
wie nach dem ersten Weltkrieg, und man (auch die
SED) forderte die Wiedervereinigung. Dibelius wurde zur Symbolgestalt
für die Konfrontation mit dem SED-Staat, Propst
Grüber zur Symbolgestalt für die vergeblichen Versuche, zu
einer Verständigung zu kommen. Mit der neuen Staats- und
Verfassungsbildung wurden die Rahmenbedingungen, unter
welchen die Kirche sich zu bewegen hatte, festgelegt. Offiziell
gab es Glaubensfreiheit, aber die „Differenzierungspolitik" bedeutete
, daß die Jugend und die Gemeinden unter den Druck
des ideologischen Staates gesetzt wurden, mit dem Ziel, einen
Keil zwischen Volk und Kirchenleitung zu treiben. Es kam
wohl zu vielen Gesprächen der Kirchenleitungen mit dem Staat
und auch zu einzelnen, ausgleichenden „Kommuniques" (Juni
1953, eine Woche vor dem Arbeiteraufstand), aber wegen des
„dynamischen Verfassungsverständnisses" des sozialistischen
Staates nie zu einem normalisierenden Kirchengesetz.

Am 8. Aug. 1947 verabschiedete eine Minderheit innerhalb
des Reichsbruderrates das „Darmstädter Wort" als eine Vertiefung
des „Stuttgarter Schuldbekenntnisses" nach der politischen
Seite hin mit dem mehrfachen: „Wir sind in die Irre gegangen
...". Dieses Wort stieß aber im Osten zunächst auf Kritik:
Zwar wurde die Berechtigung des Anliegens, die Bindungen
der Kirche an Nationalsozialismus und Konservatismus zu
überwinden, gesehen, aber es schien letztlich doch im Blick auf
den Marxismus ein peinliches „Einstimmen in den lauten Chor
des Zeitgeistes" (Otto Pereis) darzustellen, das allzu deutlich
von „Westperspektiven" gepräg t (Günter Jacob) sei. Das
„Darmstädter Wort" wurde dann dennoch, seit den Gesprächen
mit Otto Grotewohl und der „gemeinsamen Erklärung" vom
21. Juli 1958 (2790, von 1958 bis 1987 zur theologischen „Beru-
fungsgrundlage für die wesentlichen theologischen Verlautbarungen
der Kirchen im östlichen Deutschland" (46).

Mit dem Scheitern der Viermächtekonferenz in Moskau Jan./
Febr. 1954 schwand die Hoffnung auf ein neutrales Gesamtdeutschland
und die Zweistaatenlösung zeichnete sich ab. Die
Remilitarisierung Westdeutschlands und die Einordnung in die
Nato-Politik, besonders aber der Militärseelsorgevertrag vom
Februar 1957, bedeuteten eine Veränderung der kirchenpolitischen
Lage im Osten. Die SED-Politik forderte die Trennung
auch auf dem kirchlichen Gebiet und forderte eine Loyalitätserklärung
der Kirchen, die diese nicht geben wollten. Dennoch
war die „Gemeinsame Erklärung" vom 21.7.1958 von einer
wachsenden Erkenntnis der neuen Lage gekennzeichnet. Mit
dem Mauerbau 1961 gewannen die kirchlichen Kräfte, die die
organisatorischen Konsequenzen für die Kirchen voraussahen,
in den Synoden und Kirchenleitungen an Boden. Der sogenannte
Aufstieg Albrecht Schönherrs (mit Manfred Stolpe) zum leitenden
Bisehof symbolisiert diese Entwicklung. Die Bestrebungen
des Ministeriums für Staatsicherheit, in die Kirche mittels
Kadergruppen aus Theologen und Pfarrern und „Inoffiziellen
Mitarbeitern" einzudringen, zielten vor allem auf die politische
Parteinahme für die „Friedens"-Politik des SED-Staates, d.h.
die Stellungnahme gegen die westdeutsche „NATO- und
Militärkirche" sowie gegen die Atomaufrüstung der USA und
die Akzeptanz der Militärpflicht. Dazu war die Teilnahme an
der Gründung der „Christlichen Friedenskonferenz" im Juni
1958 aber ein zweideutiges Instrument, was Albrecht Schönherr
erfahren mußte, als er sich in einem Brief an die Tschechischen
Brüder wegen der Teilnahme der DDR-Truppen an der Niederschlagung
des tschechischen Frühlings kritisch äußerte, wie er
auch den staatlichen Druck gegen seine Familie, besonders gegen
seinen Sohn, über sich gehen lassen mußte, weil er dessen
Übersiedlung nach Berlin gegen den Staat durchsetzte.