Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

566-569

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

King, Ursula

Titel/Untertitel:

Women and spirituality 1995

Rezensent:

Janowski, Johanna Christine

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

565

Theologische Literatur/.eitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

566

Mutige Bekennerinnen. 3. Frauen in der Verkündigung: Charismatische
Prophetinnen. 4. Erlösung durch Erkenntnis: Kluge
Lehrerinnen. Es dürfte kein Zufall sein, daß die Autorin die
untersuchten Frauengestalten in drei Grundvollzügen von Kirche
darstellt. Im ersten Kapitel setzt sich J. u.a. mit der christlichen
Apologetik auseinander, die ehelos und asketisch organisierte
Frauen als Marken/eichen des Christentums beansprucht.
Sie zeichnet nach, daß „asketische Lebensformen... in der
Spatantike sowohl im Judentum wie im Hellenismus und zwar
in vorchristlicher Zeit" (69) sich großer Beliebtheit erfreuten:
Asketische Frauen sind demnach nicht nur als ein typisch christliches
Phänomen anzusehen, selbst wenn Witwen und Jungfrauen
im Christentum der erste kirchliche .Stand' waren, für den
freiwillige Ehelosigkeit bezeugt ist (74). Diese Koppelung von
Ehelosigkeit und kirchlichem Amt überprüft J. ebenfalls für das
Diakonat von Frauen (141-177) und kommt zu einer auf den
ersten Blick sehr überraschenden These. „Die Einrichtung des
weiblichen Diakonats in der Kirche ist also der Tendenz nach
eine einengende und bevormundende Tatsache gewesen" (164).
Die Autorin kommt zur Qualifikation dieses Amtes als Bevormundung
, weil Bischöfe, Presbyter und Diakone noch im 5. Jh.
verheiratet sein durften, wohingegen diese Freiheit nicht für
Diakoninnen galt. Anderseits folgert sie: „Offensichtlich war es
letztlich dieses sehr bescheidene Amt, daß es wenigstens einigen
Frauen ermöglicht hat. namentlich in die Historiographie einzugehen
" (ebd.l. Mit dem Verschwinden dieses Amtes war das
Zurückdrangen von Frauen vorprogrammiert. D.h. die Verweigerung
kirchlicher Ämter für Frauen ist „ein sicheres Mittel, das
weibliche Geschlecht in der Kirche unsichtbar zu halten" (165).

Das zweite Kapitel skizzier! nicht nur die Märtyrerinnen
Blandina, Perpetua und Felicitas, sondern zeigt auch die verfälschenden
Strategien patriarchaler Geschichtsschreibung, die
durch Auslassen. Übersetzung und verzerrte Kommentierung
die Sonderstellung von Frauen als Bekennerinnen und Märtyrerinnen
in den frühchristlichen Gemeinden entstellen.

Im dritten Kapitel untersucht J. die Abdrängung der Prophe-
tie und des Charismas zugunsten hierarchischer Leitungsämter
anhand der Bedeutung von Prophetinnen. Priska und Maximilla
stehen als .Gewährsfrauen' im Zentrum des Interesses. Die
Autorin konstatiert für die nachpaulinisehe Zeit zwei Lager:
eines, das die Verkündigung von Frauen ablehnt (Paulusbriefe),
und ein anderes, das diese befürwortet (Paulusakten). Vor dem
Hintergrund des Verschwindens der prophetischen Autorität in
der Jesusbewegung zugunsten der Herausbildung episkopaler
Strukturen bedeutete diese Entwicklung eine Eliminierung der
Frauen.

Das vierte Kapitel widmet sie der gnostischen Lehrerin Phi-
lumene. Das für diesen Teil gesichtete Quellenmaterial ist beachtlich
, der Versuch. „Konturen der prophetischen Botschaft
Philumenes" (383) nachzuzeichnen, obwohl keine schriftlichen
Zeugnisse dieser Lehrerin erhalten sind, ist gelungen.

Anne J. hat den Frauen und der Theologie einen großen
Dienst erwiesen: Christenfrauen erkennen mit Hilfe dieses
Buches, daß es zu Beginn der Christentumsgeschichte eine Phase
gab. die den Frauen wesentlich günstigere Voraussetzungen
hol als die heutige Situation (in der katholischen Kirche). Innerhalb
der theologischen Diskussion räumt diese Studie mit mindestens
zwei apologetischen Vorurteilen auf Das erste besagt,
daß das frühe Christentum relativ frauenfreundlich gewesen sei,
sich aber dann der putriarchalcn Umwelt habe anpassen müssen
. Die Autorin zeigt, daß die hellenistischen .heidnischen'
Römerinnen, Jüdinnen und Griechinnen schon emanzipierte
l iaucn waren, bevor sie Christinnen wurden. D.h. diese trugen
ein emanzipiertes Bewußtsein ins Christentum hinein. „Ihre
Zurückdrängung erfolgte massiv erst zu einem Zeitpunkt, als
von .notwendiger Anpassung' nicht mehr die Rede sein konnte"
(435). Der eiste Teil der These stimmt also, wenn auch nicht

exklusiv fürs Christentum, der zweite Teil der These ist falsch.
Als irrig weist die Autorin ebenfalls das zweite Vorurteil
zurück, daß nämlich Häresien frauenfreundlicher als die Groß-
kirehen waren. „Auch in den bekämpften .häretischen' Kirchen
konnte sich ein konsequentes egalitäres Ethos nicht lange halten
. Die Demarkationslinie zwischen Frauenfeindlichkeit und
Frauenfreundlichkeit in der Spätantike war also weder mit den
Religions- noch mit den Konfessionsgrenzen identisch" (ebd.).
Bleibt zu hoffen, daß J.s ausgewogene und oft sehr vorsichtige
Rekonstruktion frühchristlicher Frauen- und Christentumsge
schichte ihr als Habilitationsschrift die Chance eröffnet, diesen
Beitrag auch in Forschung und Lehre zu vermitteln. Denn die
Anwesenheit von Frauen an katholisch-theologischen Fakultäten
scheint heute immer noch nicht erwünscht, ja noch nicht
einmal rekonstruierbar.

Nijmegen Hedwig Meyer-Wilmes

King. Ursula: Women and Spirituality. Voices of protest and
promise. Houndsmills, Basingstoke: Macmillan Education
1989. XII, 273 S. 8° = Women in Society.

Ursula King, Professorin für Theologie und "Rcligious Studies"
in Bristol und gegenwärtig Präsidentin der „Europäischen Gesellschaft
für theologische Forschung von Frauen", führt mit diesem
Buch - wie sie vorbemerkt - Gedanken ihrer Hibbert Lec-
ture zum Thema "Voices of Protest, Voices of Promise: Spirituality
Cor a New Age" weiter, die 1984 mit großem Echo im BBC
gesendet wurden. Es beruht nicht zuletzt auf jahrelangen Lehr-
und Gesprächserfahrungen von K. in England, Deutschland, Holland
, Indien und den USA. Es präsentiert sich als eine „nicht
primär akademisch... interessierte, aber distanzierte" Untersuchung
, sondern als „sympathetische und kritische" Darstellung
von „unterschiedlichen feministischen Stimmen" der Gegenwart,
die auf einer „positiven Identifikation mit der Erfahrung von
gegenwärtigen Frauen beruht" (Xlf). Und es zeichnet sich aus
durch breite Kenntnis (vgl. auch Bibliographie. 236-258). durch
Zurückhaltung im Urteil über z.T. sehr unterschiedliehe feministische
Erscheinungen bzw. Ansätze und - abgesehen von Hilfestellungen
zur weiteren Orientierung (vgl. 233ff: "Further Rea-
ding", 259IT: Index) - vor allem durch das systematische Interesse
am Verhältnis von Feminismus und ..Spiritualität". Denn
genau dieses Interesse und nicht etwa ein essentialistisches oder
bloß historisches Interesse am Thema „Frauen und Spiritualität"
(vgl. Titel) bestimmt die Gesamtanlage dieses Buches:

Im Vorwort wird nach einer Reflexion auf Differenzen zwischen
gegenwärtigen und früheren Frauenerfahrungen zunächst
unter der Überschrift "Showing one's face and Unding a voice
of one's own" (1-3) das feministische Grundthema: die Suche
nach einer „neuen Identität" (hier also nicht einfach nach „der
Identität"!) von Frauen im mehr als nur persönlich-privaten
Sinn überführt in das feministische „Gesamtziel" einer „Veränderung
des Bewußtseins und der Organisation, der Machtstrukturen
und fundamentalen Werte in unserer Gesellschaft - einer
neuen Kultur und Zivilisation", in die „Vision der Möglichkeiten
eines neuen Zeitalters (new age) und des Kommens eines
neuen Geistes (new spirit)". Dem entspricht nicht nur der Ausgang
von „einem weiten Verständnis von Feminismus" (3-5).
das „verschiedene politische und ideologische Orientierungen",
ja ..jede Form von Opposition gegen jede Form sozialer, persönlicher
und ökonomischer Diskriminierung von Frauen aufgrund
ihres Geschlechts umfaßt" und eben deshalb nicht nur
Frauen als Trägergruppe voraussetzt. Dem entspricht auch die
These, daß nach K. trotz damals relativ geringem positiven
feministischen Interesse an „Religion und Spiritualität" von
expliziter Art eine entsprechende „implizite Dimension und spi-