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Ausgabe:

1995

Spalte:

430-432

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Osten-Sacken, Peter von der

Titel/Untertitel:

Katechismus und Siddur 1995

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 5

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tralisation (die jüdisch um die Zeitenwende durch den Tempel
in Leontopolis in Frage gestellt ist) ist für Personen heidnischer
Herkunft nicht verbindlich (A New Altar of a Godfearer?, 65-
72). Ein letzter Beitrag modifiziert das jüdische Bild der Frauen
in der Antike: Es gibt nicht nur die bekannten abwertenden
Stellungnahmen durch Männer, sondern in VitAd eine Entlastung
Evas vom Ursprung des Bösen, im LAB eine tragende
Rolle von Frauen in Israels Geschichte und in TestHiob 47-52
eine die Männer überbietende Auszeichnung der Töchter Hiobs
durch von ihnen aussprechbare Himmelskenntnis (so daß H.
sogar die Frage stellt, ob diese - ihren Autor/ihre Autorin verdeckenden
- Schriften von Frauen verfaßt sein könnten). In der
Diaspora folgen gut 20 Inschriften Uber Frauen als Haupt, Mutter
oder Altesie der Synagogen, die nicht mehr wie früher als
Ehrentitel, sondern als Funktionsbeschreibungen gelesen werden
müßten. Wie allgemein, kennzeichnet auch im antiken Ju-
dentum nicht eine einzelne Linie die Einschätzung der Frauen,
sondern eine Vielfalt der Meinungen (Conflicting Images of
Women in Ancient Judaism, 73-95).

Der zweite Komplex befaßt sich mit Berührung und Auseinandersetzung
von Judentum und Christentum bis zur Spätantike
. Ein Forschungsbericht über die Birkat-ha-Minim, der nach
den für den deutschen Sprachraum weichenstellenden Studien
von Stemberger und Schäfer einsetzt, bespricht den Wandel in
der Auslegung dieses früher als genereller Synagogenausschluß
der Christen im späten 1. Jh. angesehenen Textes: Die alte
Grundlage, die sich auf die innere Einheit des Judentums konzentrierte
, kann nur auf Judenchristen - neben anderen Gruppen
- angewandt werden. Die Wendung gegen die „noz.rim"
(Christen) allgemein wächst erst im 4. Jh. ein und gibt so eine
Folge, nicht die Ursache der Trennung zwischen Judentum und
Christentum wieder (The Birkat-ha-minim in Recent Research,
99-1 I 1). Der Umgang mit Ex 22,28 LXX („du sollst die Götter
[!] nicht schmähen" [diff. 22.27 MT]) ab Philo (spec. leg. I 53)
bietet ein Lehrstück über die Souveränität einer Religionsbegegnung
, die im Judentum leichter möglich war als in der Alten
Kirche und die auf das Schmähen fremder Götterverehrung verzichtet
("Thou shalt not revile the gods", 112-121). Die divergierende
Rezeption von Ez 20,25 in Christentum (gegen die
Tora gewandt) und Judentum (nur gegen rabbinische Regeln
und pagane Gesetze gewandt) führt weiter in die Religionsaus-
einandersetzung ("I gave them Laws (hat were not Good". 122-
145). Den Abschnitt beschließt eine Vorstellung der bislang fast
unbekannten Legende über Jesu Eintragung in das Jerusalemer
Priesterregister aus der Suda (entstanden vielleicht kurz nach
Justinian). die - ebenso aufschlußreich für das Verständnis Jesu
als priesterlicher (!) Sohn Gottes wie für die Auseinandersetzung
mit dem Judentum in der späten Alten Kirche - der näheren
wissenschaftlichen Erschließung harrt (Jesus and the Jews
accOrding to the Suda. 151-161: ob der Text antijüdisch intendiert
ist, wie 151 andeutet, w äre dabei auch zu überprüfen).

Der Komplex über Hellenismus und Christentum stellt sich
zunächst dem religionsgeschichtlichen Ort von Apg 17,23: Der
luk Paulus greift die antike Bemühung, durch Altäre für unbekannte
Götter alle Götter zu erlassen, auf. um seine eigene, die
Umwelt zugleich korrigierende Verkündigung des unbekannten
Gottes einzuführen (The Altar of the 'Unknown god' in Athens
[Act 17:23]..., 165-202). Der anschließende Beitrag über Hebr
11.11 stärkt vor einer Nebenlinie der antiken Biologie die in der
Auslegung bislang kaum auftauchende Meinung, „kalabole
spermatos" lasse sich wörtlich als Samenerguß Saras lesen
(Sarah's Semina] Emission. Hebrews 11:11 in the Light of
Ancient Embryology. 203-223).

Ein letzter Komplex gilt religionsübergreifenden Motiven.
Dankenswert überprüft ein erstveröffentlichter Beitrag die Evidenz
für die Weltenbrandvorstellung von der Stoa (wo sie aufkomme
) über das Judentum (wo H. sie nur in den ägyptischen

Sibyllinen um die Zeitenwende stark ausgeprägt sieht, während
die seit ihrer Edition immer wieder herangezogenen 1QH 3.29-
34; 6,18 allenfalls partiell hierher gehörten) und 2Pt 3.5-13 (wo
demnach neben jüdischen Elementen doch von einer deutlichen
Verpflichtung an stoische Ideen auszugehen wäre) bis zum
3. Jh.; die Vorstellung setzt sich demnach jüdisch wie christlich
nur partiell und unter zunehmender Änderung ihres Gesichtes
durch ("The Elements Will Be Dissolved with Fire", 227-251).
Der nächste Beitrag erhellt die Geschichte des Gebets: Die
Antike sprach das Gebet weitgehend laut. Pagan gewann das
stille Beten in der frühen Kaiserzeit durch philosophische Impulse
etwas Anerkennung. Jüdisch wurde das Gebet Hannas
ISam 1.121'ein Ausgangsimpuls. Christlich sind die Ansätze im
Neuen Testament nur rudimentär (Mt 6,6 meint eher lautes
Beten in geschlossenem Raum), verbreitete sich die Praxis allmählich
von den Kirchenvätern bis zur Durchsetzung im frühen
Mittelalter ("Silent Prayer in Antiquity", 252-277).

Insgesamt bestätigt der Band die Breite von van der Horsts
Quellenerschließung. In den Ergebnissen stehen Summierungen
der bisherigen Forschung neben neuen Anregungen. Ein Ge-
samlanliegen wird sichtbar: Die antike Welt bildet über alle
Religionsgrenzen hinweg einen übergreifenden Raum, der in
vielen Punkten noch der Erschließung harrt. An der Erschliessung
weiterzuarbeiten, ermuntert van der Horst seine Leser und
Leserinnen, indem er ihnen vorführt, wie fruchtbar sich diese
Aufgabe angehen läßt.

Wuppertal Martin Karrer

Osten-Sacken, Peter von der: Katechismus und Siddur. Aufbrüche
mit Martin Luther und den Lehrern Israels. 2.. Überarb
, u. erw. Aufl. Berlin: Institut Kirche und Judentum 1994.
504 S. 8° = Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und
Judentum, 15. geb. DM 34,-. ISBN 3-923095-26-0.

Hermann Cohen, der große deutsche Philosoph und jüdische
Religionsdenker, hat, als man mit Verwunderung seine Teilnahme
am jährlichen Marburger Reformationsgedenken zur Kenntnis
nahm, auf seinen Heimatort verwiesen: Coswig in Anhalt
liegt auf der Mitte zwischen Dessau und Wittenberg. Mendelssohns
Geburtsort und Luthers Wirkungsstätte repräsentieren für
ihn neuzeitliches Judentum und lutherische Reformation. Er hat
diese Zuordnung gewiß im Zeichen idealistisch begriffener
Freiheitsgeschichte gesehen und wäre wohl nicht wenig erstaunt
gewesen, daß man ein Jahrhundert später zwei zentrale
Zeugnisse der jeweiligen Glaubensgeschichte direkt zueinander
in Beziehung gesetzt hat. Die Auswahl ist freilich signifikant
genug: nicht dogmatisch-religionsphilosophische Summen,
sondern das liturgische Gebetbuch der einen und das katechetische
Elementarbuch der anderen Seite.

Peter von der Osten-Sacken, Berliner Neutestamentier und
im Prozeß christlich-jüdischer Begegnung vielfältig engagiert,
hat anläßlich des Jubiläumsjahrs 1983 diesen Versuch gewagt
und die Frucht seiner Arbeit nunmehr in veränderter Gestalt
einem größer gewordenen Interessentenkreis vorgelegt. Der
Band ist Mitarbeitern im Verkündigungsdienst und der pädagogischen
Praxis zugedacht, bietet jedoch angesichts der hervorragenden
wissenschaftlichen Fundierung, von der nicht zuletzt
die 1903 Anmerkungen im Anhang zeugen, auch den am lachlichen
Gespräch Beteiligten wertvolle Informationen und gedankliche
Anregungen.

Die stoffliche Anordnung ergibt sich aus dem praktischen
Verwendungszweck. Wäre das die Darstellung leitende Interesse
ein liturgiewissenschaftliches oder glaubensgeschichtliches
gewesen, so hätte es nahegelegen, bei dem der Substanz nach
älteren Dokument, dem Siddur. dem jüdischen Common Prayer