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Ausgabe:

1995

Spalte:

267-271

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Guardini weiterdenken 1995

Rezensent:

Hübner, Hans

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 3

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sehen Darstellungsmitteln Eingang in das Philosophieren: Wittgensteins
häufige Verwendung von Beispielen und aphoristischen
Elementen sperrt sich gegen den Versuch einer systematischen
Festlegung der Gedankengänge und macht durch die
Besonderheit der Darstellungsweise klar, daß er sich selbst
nicht dem üblichen philosophischen Diskurs, dessen sachlichmethodischen
Anforderungen und fachphilosophischer Terminologie
verpflichtet sieht. Aus diesen Grenzgängen des Philosophen
, die eine philosophische Tradition kritisiert, zugleich den
Sinn dieser Tradition freizulegen und sich selbst in ihren Sinnhorizont
einzuordnen versucht, ergibt sich das bereits in Wittgensteins
Darstellungswei.se angelegte Scheitern jeglichen Versuches
, seine „aphoristisch-philosophischen Ausfahrten im
sicheren Hafen einer systematischen Theorie glücklich enden
zu lassen".

Wittgensteins Klärung philosophischer Probleme ist zugleich
die Klärung des Sinns dieser Klärungen. Mit der Unterordnung
seiner Untersuchung unter dieses Leitmotiv gelingt K. eine klare
, verständliche Gesamtdeutung der oftmals in Wittgenstein I
und Wittgenstein II aufgeteilten Gedankengänge des Philosophen
. Das Programm, eine Gesamtdeutung von Wittgensteins
Äußerungen zu Religion und Theologie vorzunehmen, bleibt
allerdings schwierig, da Wittgensteins Zugang zu theologischen
Werken eklektisch und sporadisch, seine Äußerungen zu theologischen
Fragen inkohärent und teilweise unklar sind: beispielsweise
hat Wittgenstein seinem Freund Drury gegenüber
Barths Theologie einmal als arrogant bezeichnet, war Jahre später
jedoch beeindruckt von der religiösen Erfahrung, die er in
Barths Werk ausmachte. Das Programm Klarheit als Selbstzweck
läßt wenig Raum für solche Brüche, Widersprüche und
Ungereimtheiten in Wittgensteins Denken.

Basel Regine Münz

Schuster, Hermann Josef [Hg.|: Guardini Weiterdenken.

Berlin: Guardini Stiftung 1993. 289 S. 8« = Dreieck. Schriftenreihe
des Forum Guardini, t. Kart. DM 28-. ISBN 3-
9803395-0-5.

Zuweilen erlebt man als Hochschullehrer an einer evangelischen
theologischen Fakultät eigentümliche Überraschungen.
Da kommt eines Tages eine meiner Doktorandinnen und erzählte
mir begeistert von Guardinis (G.) früher Schrift „Vom Geist
der Liturgie" (1918). Ein studentischer Mitarbeiter an meiner
Forschungsabteilung für biblische Theologie wünscht sich als
Geburtstagsgeschenk einen Band von Hans Urs von Balthasars
„Herrlichkeit". Junge evangelische Theologen finden also von
sich aus zu diesen beiden Männern, sind fasziniert von ihrem
theologischen Werk, ohne daß sie etwa „katholisierende" Neigungen
hätten. Daß meine Doktorandin G.s Schrift so hoch
schätzt, hörte ich gerne. Und daß ich gerne die Bitte meines
Mitarbeiters erfüllte, sage ich hier ausdrücklich. G. und von
Balthasar haben nämlich in enger geistiger und geistlicher Verwandtschaft
theologisch Hervorragendes geleistet, wobei der
erste der Anreger des anderen war. Beide haben der evangelischen
Theologie sehr viel zu geben, auch wenn manche ihrer
theologischen Urteile für den evangelischen Theologen zuweilen
recht harte Kost sind.

Nun gibt es eine Guardini Stiftung, von der zu wenig bekannt
ist, daß sie ökumenischen Charakters ist. Von ihr erschien 1993
der 1. Bd. der „Schriftenreihe des Forum Guardini" mit dem
oben angegebenen Titel „Guardini Weiterdenken". Um es
schon sofort zu sagen: Ein ausgezeichneter Informationsband!
Der Hg., Dr. jur. Hermann Josef Schuster, früher u.a. Kanzler
der Universität Saarbrücken und Staatssekretär für Wissenschaft
und Forschung in Berlin (bis 1986), nennt in der Einleitung
zu diesem Bande als Aufgabe der Veröffentlichung den
„Versuch..., das Wirken Romano Guardinis während seiner
Berliner Zeit (1923 bis 1943) in den Blickpunkt zu rücken und
Anstöße zum Weiterdenken zu geben". Die Beschränkung auf
diese Jahre wird zwar nicht ganz durchgehalten, ist aber für den
größeren Teil des Buches bestimmend. Sch. motiviert diese
Beschränkung damit, daß es nach G.s eigenem Urteil diese Jahre
waren, in denen seine Weltsicht und sein Werk entscheidend
geprägt wurden. Es ist im wesentlichen diejenige Zeit, in der er
Inhaber des Lehrstuhls für ,,Religionsphilosophie und katholische
Weltanschauung" war. 1939 hat das braune Terrorregime
diesen Lehrstuhl aufgehoben und G. zwangspensioniert.

Die zumindest für den größeren Teil des Buches vorgenommene
Beschränkung auf G.s Berliner Zeit hat ihren guten Sinn.
Für die gesamte vita G.s liegt die gut informierende Biographie
aus der Feder von Hanna-Barbara Gerl vor: Romano Guardini.
Leben und Werk 1885-1968.' Das hier zu rezensierende Buch
vertieft diese Biographie in theologischer und geistesgeschicht-
licher Hinsicht in erheblichem Maße. Das konnte deshalb auf so
hohem Niveau geschehen, weil die Beiträge von besonders qualifizierten
und sachkundigen Autoren geschrieben sind.

Die Übersicht zeigt deutlich die Konzeption des Hg.s. Das Buch ist in 6
Abschnitte gegliedert. Nach der Kinleitung des Hg.s I. Der geistesgeschicht-
liche Hintergrund: Heinrich Fries, Nachwort und Deutung; Matthias Lutz-
Bachmann, Christlicher Glaube und Weltanschauung. II. Das Weltanschau-
ungskonzept und seine Entfaltung: Günther Wirth, Wie es zum Guardini-
Lehrstuhl kam; Hans Mercker, Vorlesungen und Schritten Guardinis in seiner
Berliner Zeit; Hans Maier, „Katholische Weltanschauung" - die Fort-
setzung in Tübingen und München. III. Nachdenken über Bildung; Hanna
Renale Launen, Guardini sprengt das Klassenzimmer; Dieter Höltershinken
, Mitte und Maß. Zur pädagogischen Bedeutung der Gegensatzlehre R.
Guardinis; Albert Gerhards, Romano Guardini als Prophet des Liturgischen
. Eine Rückbesinnung in postmoderner Zeit. IV. Menschenbildung
und Politik: Alexander Schwan, Politik aus dem Geist des Personalen.
Theologisch-politische Überlegungen im kritischen Anschlul.1 an Romano
Guardini; Man/red Hermann-,, Guardinis soziologisches Denken im Berlin
der Vorkriegszeit. V. Kultur im Umbruch: Hunna-Harbara Gerl, Unterscheidung
aus Verstehen. Romano Guardini und Nietzsche; Hans-Dieter
Mutschier, Guardini und das Problem der Technik; Walter Zahner, Wir stehen
in der Wende von zwei Kulturen: Hans Maier. Romano Guardini - ein
Nachwort. VI. Anhang: Dokumente zur Einrichtung des „Guardini I.ehr
Stuhls" (zusammengestellt und einleitend erläutert von Günter Wirth): Vorlesungen
und Lehrveranstaltungen Romano Guardinis in Berlin. Tübingen.
München.

G. soll also weitergedacht werden! Einem großen Geist kann
nichts Besseres widerfahren, als daß seine Gedanken weitergedacht
werden. Und auch der Nachwelt eines großen Geistes
kann gleicherweise nichts Besseres widerfahren. Jegliches Denken
ist ja ein Prozeß. Und dieser Prozeß kann und darf nicht
durch den Tod des Denkers beendet werden. Jedes Denken, das
den Namen ..Denken" wirklich verdient, will über sich hinaus
gedacht werden. Und so ist der Titel des Buches der Guardini
Gesellschaft für den theologischen und weltanschaulichen Denker
R. G. glücklich gewählt! Zu den ..Weilerdenkern" gehört
u.a. auch der eben schon genannte, vor wenigen Jahren erst
gestorbene Hans Urs Balthasar, zu dessen Tod die Theologische
Literaturzeitung eine „theologische Erinnerung" brachte:
Traugott Vogel, Die Herrlichkeit des Gekreuzigten.2

Natürlich ist es nicht möglich, hier auf alle Autsätze des Buches einzugehen
. Das ist bedauerlich, weil eine Auswahl, natürlich ein recht subjektives
Gesehehen, immerein Moment der Willkürlichkeit enthält und somit auch
ein gewisses Moment der Ungerechtigkeit. Trotzdem, es ist dem Leser dieser
Rezension m.E. besser gedient, wenn auf die Auslührungen einiger
Autoren ausführlicher hingewiesen wird.

Zu nennen ist vor allem der Beitrag von Heinrich Fries? Ihm
geht es zunächst um die geistesgeschichtliche Einordnung der
frühen Schrill G.s ..Vom Wesen katholischer Weltanschauung
"4, wobei er auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg verweist
, die „nicht nur... durch einen bemerkenswerten Aufbruch
von großer geistiger, philosophischer und religiöser Lebendigkeit
, sondern auch durch eine besondere Intensität der wellan-