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Ausgabe:

1995

Spalte:

248-249

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Homolka, Walter

Titel/Untertitel:

Jüdische Identität in der modernen Welt 1995

Rezensent:

Becker, Hans-Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 3

248

Zeittafel (456-488). Die meisten Beiträge stammen aus den Jahren
1988-1992. Besonderes Interesse verdienen jene früheren
Beiträge, die wegen der Zensur in der DDR vor 1989 nicht
gedruckt werden durften.

Heino Falcke hatte 1972 in Dresden auf der 4. Tagung der
ersten Bundessynode den Hauptvortrag gehalten „Christus befreit
- darum Kirche für andere" (14-33). In Vorbereitung der
5. Vollversammlung des ORK in Nairobi 1975 hatten Günter
Jacob, Joachim Wiebering, Ulrich Kühn und Reiner Bohley
eine Studie erarbeitet „Rechenschaft über die Hoffnung, die in
uns ist" (60-76). Stellungnahmen zur Thematik Konfirmation
und Jugendweihe wurden 1973-1975 diskutiert (94-110). Der
Ausschuß „Kirche und Gesellschaft" gab 1973 Anregungen zur
Diskussion mit dem Papier „Zeugnis und Dienst der evangelischen
Kirche und Christen in der sozialistischen Gesellschaft
der DDR" (172-192). Derselbe Ausschuß formulierte für die 2.
Bundessynode in Potsdam-Hermannswerder 1974 die Fragen:
„Wie wird das Evangelium über die Motivation hinaus für das
Engagement von Christen im gesellschaftlichen Leben wirksam
? Wie ist das Verhältnis des christlichen Glaubens zu Ideologien
zu bestimmen?" (192-217).

Frühzeitig wurde das Thema Menschenrechte vom Ausschuß
„Kirche und Gesellschaft" bearbeitet, zuerst in Vorbereitung
auf die ÖRK-Konferenz in St. Pölten 1974 (253f.). Bischof
Schönherr begrüßte 1975 das KSZE-Abkommen von Helsinki
(255-257). Es folgt eine Information für evangelische Gemeinden
über Menschenrechte 1977 (258-266). Am 19. Juni 1978
wurde dem DDR-Ministerpräsidenten ein am 20. Mai 1978 in
Kühlungsborn beschlossenes Dokument überreicht: „Anrede
der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR
an die Gemeinden zu der Sondersitzung der UNO-Vollversammlung
zu Fragen der Abrüstung" (272f.).

Zu Spannungen führte die Einführung des „Wehrkundeunter-
richts" in den Schulen der DDR zum 1. 9. 1978. Schon am 14.
Juni 1978 gab es eine Orientierungshilfe, die am 25. Juni von
der Kanzel verlesen werden sollte (273-283). Am 13. 9. 1980
wurde das Konzept „Erziehung zum Frieden" beschlossen (284-
289). Anfang 1981 gab das Sekretariat des Kirchenbundes den
Auftrag zu Arbeiten über „Grundfragen eines politischen Wirksamwerdens
von christlichem Friedensdienst" (289-318); Die
Konferenz der Kirchenleitungen empfahl im November 1981
besonders jenen Teil einer Studie, der den in der DDR verpönten
Pazifismus ausführlich würdigte (304-318). 1981/82 kam es
zu der spannungsvollen Aktion „Schwerter zu Pflugscharen"
(3191.) sowie zu dem wenig konformen „Leitfaden zur seelsorgerlichen
Beratung in Fragen des Wehrdienstes und der Wehrerziehung
" (321-332).

In die Anfänge der Wendezeit gehört (jedenfalls im Rückblick
) ein Gespräch am 21. Mai 1987 mit Klaus Gysi, damals
Staatssekretär für Kirchenfragen in der DDR. Die Vertreter der
Kirche verwiesen auf Gorbatschow und „die Bewegung, die
durch Vorschläge der Sowjetunion seit 1986 in die Politik gekommen
sei" (218). Gysi warnte vor dem Motto „alles oder
nichts" (221). Ganz deutlich sind neue Töne am 3. März 1988
in einer Ansprache von Bischof Leich bei einer Begegnung mit
dem Staatsratsvorsitzenden: „Uns begegnen Menschen, die sich
wund gerieben haben und Veränderungen in der sozialistischen
Gesellschaft suchen. Uns begegnen Staatsbürger, die in der
Ausbürgerung für das eigene Leben den einzigen Ausweg
sehen... Die Zahl der Menschen, die unser Land verlassen wollen
und dies beantragt haben, hat erheblich zugenommen. Wir
sind darüber betroffen. Wir sehen eine Entwicklung, für die wir
als Kirche keinerlei Impulse gegeben haben, der wir - im
Gegenteil - öffentlich und eindeutig widersprochen haben"
(229). Ganz knapp zeichnete Werner Krusche im März 1988 die
Zeit vom 6. März 1978-1988 als einen komplizierten Lernweg
nach (33-60).

Auch die Dokumente über den Konziliaren Prozeß 1987-
1991 enthielten brisante Formulierungen (232-252). Die 6. Synode
des Kirchenbundes in Eisenach erinnerte am 25. 9. 1990 an
„Erfahrungen der gewaltfreien Revolutionen und Veränderungen
in den mittel- und osteuropäischen Staaten" (242). Insgesamt
zeigen die Dokumente des Bandes, daß der Bund der
Evangelischen Kirchen in der DDR tapfer seinen Weg gesucht
und gefunden hat.

Rostock Gert Haendler

Homolka, Walter: Jüdische Identität in der modernen Welt.

Leo Baeck und der deutsche Protestantismus. Mit einer Einleitung
von A. H. Friedlander. Übers, von S. Denzel u. S.
Naumann. Gütersloh: Kaiser/Gütersl. Verlagshaus 1994. 160
S. gr.8». Kart. DM 64,-. ISBN 3-579-00259-7.

Der Kampf deutscher Juden um bürgerliche Gleichstellung im
Gefolge der Emanzipation, die „liberale Theologie" und ihre
Wesensbestimmungen des Christentums und des Judentums,
die jüdische Wiederbelebung des Neukantianismus (Hermann
Cohen), „klassische" und „romantische" Religion nach Leo
Baeck und die Theologie Martin Luthers - dies sind nur einige
der Themen, die dieses Buch auf knapp 150 Seiten anreißt.
Historische und theologisch-systematische Fragestellungen
wechseln dabei ab und gehen ineinander über.

H. beginnt in Kap. 1 mit einer Kurzbiographie Leo Baecks
und einer ersten Beschreibung seines Verhältnisses /um Christentum
. Kap. 2 skizziert den weiteren historischen und ideen-
geschichtlichen Rahmen dieser Biographie. Im Mittelpunkt stehen
dabei die „Wissenschaft des Judentums" und ihr Verhältnis
zur Hegeischen „Idee", Hermann Cohen und die Suche nach
dem „Wesen" des Judentums, Emanzipation und Antisemitismus
im Zweiten Deutschen Reich und die Frage, was „liberale"
Theologie sei (19 Seiten).

In den Kapiteln 3 und 4 geht es vor allem um Baecks apologetische
Wesensbestimmung des Judentums im Gegenüber zu
Harnacks „Wesen des Christentums", die nach H. in die konservative
Linie der Definition jüdischer Identität im Spannungsfeld
zwischen traditioneller religiöser Bindung und moderner Freiheit
der Forschung einzuordnen ist.

In Kap. 5 (..Judentum und Christentum zwischen Affinität
und Abgrenzung") bemüht sich der Autor vor allem darum, ein
„Bild der Interaktion zwischen jüdischen und christlichen Denkern
von der Aufklärung bis in die Zeit nach dem Zweiten
Weltkrieg" entstehen zu lassen (12 Seiten). Kap. 6 behandelt
Baecks Verhältnis zur Denkweise Cohens, Diltheys, zur Mystik
und zum Mythos, sodann seine Polarisierung von Judentum und
Christentum in den Kategorien der klassischen und der romantischen
Religion. Das siebte Kapitel beschäftigt sich u.a. mit
Baecks Lutherrezeption. Ein Abschnitt („Leo Baeck und Martin
Luther im Widerstreit") handelt kontrovers die Rechtlertigungs-
lehre, die Erbsündenlehre, freien Willen und Gesetz, die Zwei-
Reiche-Lehre, die Prädestinationslehre sowie „Gesetz und Gnade
" ab (8 Seiten).

Die beiden abschließenden Kapitel greifen unter den Überschriften
„Vom .Wesen' zum .Sein' - Identität aus der Existenz
" und „Von der Identität zum Dialog" einige vorher angesprochene
Punkte noch einmal auf, um schließlich zum „kritischen
Ausblick" unter der Fragestellung „Inwiefern hat Baecks
Bild vom Christentum auf den christlich-jüdischen Dialog eingewirkt
?" hinzuführen.

Es ist unmöglich, hier auf die Fülle der in diesem Buch angeschnittenen
Themen auch nur ansatzweise kritisch einzugehen.
Schon die Darstellung seines Inhalts hat mit dieser Vielfalt,
aber auch mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß H. um seine