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Ausgabe: | 1995 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Ethik |
Titel/Untertitel: | Neuerscheinungen |
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Theologische Literaturzeilung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2
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T. wählt bewußt nicht die strenge begriffsgeschichtliche Methode
, die einem Begriff epochal eindeutige semantische Konnotationen
zuweist, sondern den kontextuell-funktionalen Zugriff:
dem „Joker" ähnlich sucht Naturrecht in verschiedenen Kontexten
die ..Vernunft des Ethischen" zu wahren (I0f.). Dadurch
gelingen ihm für den Geschichtsdurchlauf(s. v.a. 120-144) wie
für die Analyse der Gegenwartsphilosophie plausible und aufschlußreiche
Interpretationen, wenngleich das, was man intuitiv
unter Naturrecht zu verstehen meint, zwischendurch dem Blick
entgleitet.
Über die Aufarbeitung des Naturrechtsbegriffs im Protestantismus
und die eindringliche, heuristisch wertvolle Darstellung
von Troeltschs Ansatz hinaus besteht das Neue und Überraschende
v.a. darin, daß T. den Streit um das Naturrecht in der
Postmodernediskussion verortet - und damit im Spannungsfeld
zwischen Diskursethik und Kommunitarismus, zwischen kantischer
Pflichtethik und (neo-(aristotelischer Ethik des „guten
Lebens", zwischen auf universale Unbedingtheit drängender
und das „Vielspältige", partikulare Bedingtheiten und Kontingenzen
akzeptierender Ethik. In beiden Polen findet sich - zumindest
implizit - Naturrechtliches als das der menschlichen
Vernunft oder durch die menschliche Vernunft Vorgegebene:
im Streben nach universalen Regeln ebenso wie im Einlassen
auf das Sachhafte, Faktische und Funktionale. Trotz dieser mitunter
aufregenden und spannenden Analysen bleiben Fragen
offen: Hätte nicht gegenüber Troeltsch stärker hervorgehoben
werden müssen, daß der Naturrechtsbegriff in der Geschichte
oft gerade dvnamisch und progressiv ausgelegt war? Hätte sich
der Vf. nicht doch zu einer eigenen Definition entschließen sollen
, über die er sich beispielsweise zu den eingangs erwähnten
katholischen und rechtsphilosophischen Ansätzen hätte in Beziehung
setzen können? Dennoch: Die Arbeit, einem im ehemaligen
Jugoslawien gefallenen Freund gewidmet, verdient die
Aufmerksamkeit der Mitforscher und aller am Thema Interessierten
!
München Wolfram Winger
1 Vgl. die Sammelbände F. Böckle/E. W. Böckenförde [Hg.], Naturrecht
in der Kritik, Mainz 1973. B. Fraling [Hg l, Natur im ethischen Argument.
Freiburg i. Ue. - Freiburg i.Br. - Wien 1990; sowie M. Heimbach-Steins
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zur Normtheorie von W. Korff und G. W. Hunold, in: A. Hertz/W
Korff/T. Rendtorff/H. Ringeling, Handbuch der Christlichen Ethik, Freiburg-
Basel-Wien 1993 (aktualisierte Neuausgabel, Bd. I. 114-167, und W. Korff,
Zur naturrechtlichen Grundlegung der katholischen Soziallehre, in: G.
Baadte/A. Rauscher [Hg.], Christliche Gesellschaftslehre. Eine Ortsbestimmung
. Graz-Wien-Köln 1989. 31-62. hier 33: ..Von Natur aus gerecht ist, was
dem Menschen als Person gerecht wird" und „Naturrecht ist Personrecht".
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Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie
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und Praxis der Seelsorge, 14. Kart. DM 72,-. ISBN 3-
429-01563-4.
In den vergangenen dreißig Jahren hat sich die Erkenntnis wieder
weitgehend durchgesetzt, daß die Reflexion über Seelsorge
des Dialogs mit humanwissenschaftlicher Theorie bedarf .
Dabei war wie selbstverständlich die Psychologie und dann
insbesondere die Psychotherapie die gewählte Bezugsdisziplin.
In seiner bei Josef Müller in Freiburg entstandenen Dissertation
greift Thomas Henke nun stattdessen auf die Soziologie zurück.
Als Gründe dafür kann er darauf verweisen, daß in der letzten
Zeit immer deutlicher Problematiken der therapeutisch konzipierten
Seelsorge benannt worden sind: Die Konzentration auf
die innerpsychischen individuellen Krisen wirkt systemstabilisierend
und entpolitisierend. Die Asymmetrie in der seelsorgerlichen
Beziehung zusammen mit der Professionalisierung der
Seelsorge unterläuft den dialogischen Impetus und schafft neue