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Ausgabe:

1993

Spalte:

1064-1065

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schoonenberg, Piet

Titel/Untertitel:

Der Geist, das Wort und der Sohn 1993

Rezensent:

Mildenberger, Friedrich

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1063

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

1064

zurecht gebrachten Verhältnis zwischen ihm und seinen zur
Gemeinschaft mit ihm bestimmten Geschöpfen (vgl. ÜV 28, 32,
36, 37, 40, 46, 67, 75) - etwas zu vernachlässigendes, gleichgültiges
, oder ist sie eine notwendige Bedingung für die Kommunikation
über diesen Gegenstand in der Öffentlichkeit der
Glaubensgemeinschaft (und folglich auch das notwendige, unverzichtbare
Medium für die Erklärung von Kirchengemeinschaft
)? 2. Kann die kirchliche Lehre ihren Wahrheitsanspruch
nur wahren, wenn sie sich mit ihrem Gegenstand gleich setzt,
oder muß sie sich - gerade um ihrer Wahrheitsfähigkeit und um
ihrer Wahrheit willen - selbst explizit und prinzipiell von ihrem
Gegenstand unterscheiden (und damit darauf insistieren, daß er
und nicht sie der wirkliche und uneinholbare, aber konkret -
d.h. auch in Lehre und nicht nur in Praxis - zu bezeugende
Grund des Glaubens, der Glaubensgemeinschaft ist, und darum
auch der Gemeinschaft der Kirchen)? Die Kritik von ÜV an LV
hat sichtbar gemacht: Die Zukunft der Ökumene hängt nicht
mehr an theologischer Diplomatie, sondern daran, daß sich die
Verantwortlichen und Engagierten auf beiden Seiten dabei behilflich
sind, Wege zu entdecken, um die explizite Bejahung
dieser beiden Fragen jeweils aus der Sicht ihrer Lehrtradition zu
finden und in die verbindliche Gestalt kirchlicher Lehre aufzunehmen
. Nicht eine dritte Gestalt der Lehre ist verlangt, sondern
die Selbstkonkretisierung der überlieferten Lehrgestalten
durch Selbstunterscheidung von ihrem Gegenstand. Dadurch
wird Lehre zur - unverzichtbaren und verbindlichen - Bezeugung
des von ihr unterschiedenen Grundes des Glaubens, der
Glaubensgemeinschaft und der Kirchengemeinschaft.

Gleichzeitig könnte ÜV aber auch zu einem Markstein innerhalb
der Geschichte der evangelischen Theologie werden: Der
Text zählt zu den inhaltlich und methodisch gründlichsten
Zeugnissen dogmatischer Arbeit im Bereich des deutschsprachigen
Protestantismus der letzten Jahre. Angesichts dessen
wird man es nicht hoch genug einschätzen können, daß er als
solcher nicht nur die Stimme von Einzelnen ist, sondern den
„reformatorischen Grundkonsens" des Professorenkollegiums
einer ganzen Fakultät ausdrückt; also nicht nur von Vertretern
der Systematischen, sondern auch der Exegetischen, der Historischen
und der Praktischen Theologie. Das ist ein in der jüngsten
Geschichte der evangelischen Theologie in Deutschland
einmaliger und denkbar wichtiger Vorgang. Letzteres vor allem
deshalb, weil er die solenne Feststellung impliziert, daß die
Arbeit aller Fächer und ihre Ergebnisse an diesem reformatorischen
Grundkonsens teilhaben. Was das beispielsweise für die
historische Arbeit bedeutet, wird in ÜV selbst an verschiedenen
Stellen klar, die darauf insistieren, daß kirchengeschichtliche
Ereignisse ihre Bedeutung erst gewinnen, wenn man sie im
Horizont eines Begriffs von derjenigen relationalen Daseinsver-
fassung - des Verhältnisses des Schöpfers zu seinen zur Gemeinschaft
mit ihm bestimmten Geschöpfen - betrachtet, um
dessen Realisierung und Vollendung es nach reformatorischem
Verständnis in aller Geschichte geht (etwa 126: Durchsichtigwerden
der Fakten des Ablaßstreites auf ihren religiösen Sinn
hin). Aber die geweckte Neugier des Lesers geht weiter: Wie
schlägt sich jener reformatorische Grundkonsens in dogmaticis
in der exegetischen Arbeit und für sie nieder? Wie in der praktisch
-theologischen Theoriebildung, etwa einer Theorie des
Gottesdienstes? Welches Professorenkollegium hätte das Publikum
in letzter Zeit je öffentlich zu solchen Fragen herausgefordert
!

Die Studie präsentiert sich selbst als „Kompendium zu den
Lehrpunkten Rechtfertigung, Abendmahl und Amt" (Rücken).
Das ist sie uneingeschränkt. Als solchem kann man ihr nur viele
Leser und eine reiche Wirkung wünschen; in universitären Lehrveranstaltungen
und darüberhinaus.

Mainz Ellert Herms

Schoonenberg, Piet: Der Geist, das Wort und der Sohn. Eine
Geist-Christologie. Übers, von W. Immler. Regensburg:
Pustet 1992. 221 S. gr.8». DM 48,-. ISBN 3-7917-1308-6.

Der Vf. will die Schwierigkeiten, die sich für einen verstehenden
Glauben an Jesus Christus aus der dogmatischen Tradition
der Präexistenz- und Zweinaturenchristologie ergeben, im
Rückgang auf andere biblische Möglichkeiten christologischen
Redens überwinden. Freilich soll das nicht auf Kosten der traditionellen
dogmatischen Formeln gehen; diese sollen neben den
neu zu erschließenden christologischen Möglichkeiten stehen
bleiben. Einerseits ist also der Hauptstrang in der Entwicklung
des christologischen Dogmas hin zu Chalcedon und darüber
hinaus bejahend aufzunehmen. Andererseits aber soll hinter
diese Entwicklung auch zurückgegangen werden, um dort andere
, durch diese Entwicklung abgeschnittene und verdrängte
Sprech- und Denkformen zu erfassen und neu anzuzeigen, die
dem Verstehen weniger Schwierigkeiten machen, weil sie deutlicher
sagen, daß „der Sohn Gottes" zugleich „einer von uns"
ist. Diese Zielsetzung verlangt ein doppeltes methodisches Vorgehen
: Einerseits eine kritisch-analytische Unterscheidung -
der Vf. spricht von einer „unterscheidenden Leseweise" (18) -,
die die unterschiedlichen biblischen Christologien gerade in
dieser Unterschiedenheit herausarbeitet. Andererseits aber auch
ein synthetisches Vorgehen - der Vf. spricht von der „postexegetischen
Einheitslesung", die nicht auf die naive präexegetische
Einheitslesung zurückgreife, sondern bei der die Texte mit
ihren unterschiedlichen Aussagen füreinander Kommentar seien
(96ff).

Dabei skizziert der Vf., ausgehend vom Taufbericht Jesu nach
Markus, dann aber vor allem im Rückgriff auf das Lukasevangelium
, im ersten Kapitel eine Geistchristologie; diese zeigt Jesus
in seiner Bestimmtheit durch den Heiligen Geist als den Menschen
, der seinen Weg unter der Führung des Geistes Gottes
geht; in diesem geistgeführten Christus können wir uns leichter
wiedererkennen als im Christus der traditionellen Dogmatik und
so seine menschliche Geschichte mit unserer eigenen Geschichte
zusammennehmen. Der Vf. spricht von den „theologischen und
pastoralen Vorteilen einer Geist-Christologie" im Vergleich mit
der klassischen Präexistenzchristologie, die einen „statischen
Charakter" habe (45). Freilich muß er dann, will er sein Programm
durchführen, auch diese klassische Präexistenzchristologie
so interpretieren, daß es zu einer zusammenstimmenden
Anschauung kommt. Dazu soll zunächst ein zweites Kapitel den
Ort der Geistchristologie inmitten der anderen Christologien
bestimmen, die sich im NT und der daran sich anschließenden
Entwicklung des kirchlichen Denkens finden. Dazu verweist er
vor allem auf die Verbindung von Wort und Geist in der Weisheitstheologie
und der sich an diese anschließenden Weisheit-
schristologie. Diese sei „vielleicht die Form der Christologie...,
in der die Interpretation Jesu als Wort Gottes und als Träger des
Geistes Gottes einander begegnen können" (77). Ein drittes
Kapitel, das das „postexegetische Einheitslesen" durchzuführen
sucht, einen Dialog und eine „Perichorese" theologischer Tendenzen
, die in der Schrift angeboten würden, versucht Inkarnation
als Geschichte zu verstehen. In einer mich stark an Isaak
August Dorner erinnernden Weise soll Inkarnation als die Lebensgeschichte
Jesu ausfüllender Prozeß verstanden werden, bei
welchem sich das Göttliche in Jesus „stets mehr vermenschlichte
, indem sich dieser Mensch gerade als Mensch vollendete. Und
das geschah nicht in einem einheitlichen geradlinigen Wachstum
, sondern in einerechten Geschichte" (112). Dabei muß dann
freilich wie dem Sohn so auch dem Vater in seiner Beziehung
zum Sohn eine Geschichte zugedacht werden; das Apathieaxiom
der traditionellen Gottesmelaphysik ist damit verabschiedet,
auch wenn der Vf. selbst „eine Synthese zwischen den biblischen
Gottesvorstellungen und dem scholastischen Gottesbegrill vor-